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The Village - Das Dorf

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BESESSENE Dietmar Kesten 10.9.04 20:36
BESESSENE Fan 18.9.04 22:20

THE VILLAGE- DAS DORF

BESESSENE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 10. SEPTEMBER 2004.

Manchmal sieht man nur eine Seite der Sache, nur eine
Seite eines Gesichts, und die andere, vielleicht
Wesentlichere, bleibt verborgen.
In Filmen zeigt man deshalb oft nur diese eine Seite,
die nicht eindeutig ist und im Verborgenen bleibt. Im
Horrorfilm ist es der Treibsatz für den Obskurantismus
und die damit verbundene Kastration der Erkenntnis.
Und da im Wald nicht nur die Räuber sind, sondern auch
gespenstische Wesen, werden Gesichter zu mysteriösen
Kreaturen, die keine Verletzung ihres Territoriums dulden.
„The Village - Das Dorf“ handelt von einem kleinen
amerikanischen Dorf im 19. Jahrhundert, das durch einen
riesigen, nahezu undurchdringlichen Wald von der Außenwelt
und von diesen Gesichtern abgeschnitten ist.
Der Wald gewährt Schutz und ist Drohung zugleich.
Und da diese kitschige Tröstung eine Verbindung von
Einsamkeit und Entrückung darstellt, stellen die
Verfremdungseffekte hier eine Art Säuberungsaktion dar,
die manchem zwar nicht den Deutungseifer nehmen,
der aber simpel erscheint: der Film stellt eine Art
übersinnliche Prüfung dar. Angesiedelt ist diese Geschichte
der Gesichter in Pennsylvania anno 1897.
Ivy Walker (Bryce Dallas HOWARD), eine junge blinde Frau
wagt es, den Weg in die Stadt zu suchen, um das Leben ihres
Verlobten Lucius Hunt (Joaquin PHOENIX), der schwerverletzt
wurde, zu retten.
Und nun beginnt nach altbewährtem Strickmuster der
Schockthriller von M. Night SHYAMALAN, der bereits
für die dubiosen übersinnlichen Streifen “The Sixth Sense“ (1999),
„Unbreakable“ (2000) und „Signs“ (2002) verantwortlich
zeichnete.

Tatsächlich scheint die Paranormalität im Film Konjunktur
zu haben. Das 21. Jahrhundert beflügelt scheinbar die
filmischen Geister.
Die, die sich mit Prognosen und kühnen Einschätzungen
beschäftigen, die, die Trends vorherzusagen wagen, und die,
die sich der apokalyptischen Schau zuwenden.
Bereits zur Millenniumswende kamen sie aus ihren Löchern
gekrochen, die Weissager, die Propheten, die Seher, Sekten,
Grübler und Enthusiasten. Sie malten Schreckensvision an die
Wand, verkünden das Ende der Welt, verbreiten Angst und
Schrecken, kürten sich zu neuen Hoffnungsträgern.
Das Dunkle an sich ist dort der gewaltige Schritt nach vorn,
der die kommenden Mysterien in den Schatten stellt.
Die Prophezeiungen des Propheten rasen auf die Erde zu.
Jene illusionäre Feuersbrunst von der die „Offenbarung des Johannes“
zu berichten weiß: „Da entstand Hagel und Feuer, mit Blut vermischt,
und wurde auf die Erde geworfen, und der dritte Teil der Erde
verbrannte, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles
grüne Gras verbrannte.“ (vgl. Offenbarung des Johannes, 8/7)
Die Schrecken sind personifiziert; der Totenschädel, der die
apokalyptische Rolle einzunehmen hat, steht dem Guten
gegenüber.
Alles andere ist nur Geplänkel. Und darum ist dieser Film ein
Film voller Ressentiment: gegen Stadt und Zivilisation, ein
Mythos der Gegenmoderne, Antimodernismus, eine
Mischform von verkappter Sehnsucht und einer längst
verlorenen Unschuld. Selbst das kann ihn nicht retten.
Er hat keine Poesie, keine Wirkung, wer schuldig wird, bleibt
offen, und wer schuldig ist, wird nicht hinterfragt.
Der Versuch, HITCHCOCK nachzuahmen, bleibt
eine Karikatur. Und Stanley KUBRICK, den SHYAMALAN
verehrt, hätte sich hier im Grabe umgedreht.

Die große Hollywood-Tradition feiert in „The Village“ eine
Auferstehung, die man kaum glaubt.
Nicht „am Anfang war das Wort“, sondern „am Anfang war die Liebe“.
Der Dilettantismus in diesem Film bewahrt immer eine Überraschung.
Was hier als neuer Anfang beschrieben wird, ist jener
Verblendungszusammenhang, den die Bewusstseinsindustrie
ständig produziert. Damit das System weiterfunktionieren kann,
muss es auf die gesellschaftliche Reproduktion zurückwirken.
Insofern sie den Menschen eine Identität anbietet, in die sie
hineinschlüpfen kann, ist es egal, ob der Retter auf der Strecke
bleibt, oder als Sieger aus der konterkarierten Willensfreiheit
hervorgeht.
Es geht irgendwo immer um Spiritualismus, um eine
grundlegende Geisteshaltung, um Sinneserfahrungen,
die leugnet, dass die Welt der Objekte eine Realität besitzt,
die unabhängig vom wahrnehmenden Subjekt ist.
Hier wird an die Frühlingswinde appelliert, an die Instinkte,
das Gefühl, den Geist, das Spirituelle, an die ‚wahren’
Gefühle im Menschen.
Die globalisierende Weltgesellschaft sitzt auf dem
Scheiterhaufen und der brave Konsument soll sich endlich im
Film entscheiden, wofür er eigentlich eintritt.
Sich mit den ‚Guten’ zu identifizieren und das ‚Böse’
zu verabscheuen, das ist der Thrill.
Die Kulturindustrie packt die Menschen bei ihrer Angst, zu
fallen, aufzufallen, letztlich bei der Furcht, sich sozial zu
isolieren und ausgestoßen zu werden .
Der gesellschaftliche Tod naht, und das wissen all diejenigen,
die da munter weiter machen, wo vielleicht einst
Roman POLANSKI („Rosemaries BABY“, 1967) angefangen hat:
Mystifikation und Teufelsfilm, Besessenheit, Triebabfuhr,
Schuldgefühle, finstere Häuser, Totenköpfe, undurchdringliche
Gestalten und Gesichter.
Die Reinigung der Seele, das ist der psychologische Mechanismus
der wirkt, der den Antichristen aus „Das Omen“(Regie:
Richard DONNER, 1975) Detailreal als Voyeurristen entlarvt.
Und überall sind satanische Kräfte am Werk, die eine zusätzliche
Quelle von Beunruhigungen und Ängsten hervorrufen, hier
ein entstelltes dämonisches Monster, dort als Teufel im
Tier.

Die satanische Welteroberung mit teuflischen Anlagen und
Handlungen steht der apokryphen biblischen Weissagung des
Endes der Welt gegenüber; denn wenn ein Satan auftritt, darf
auch die Wiedergeburt eines Christus nicht weit sein, damit
sich alles die Waage hält, und die Blitzkarrieren der
akademisch-wirtschaftichen Oberschichten ‚gerettet’
werden. Wieder mag es POLANSKI gewesen sein, der der
filmischen Pathologie neuen Odem eingehaucht hatte.
Sein Schlüssel zur Dunkelheit war in „The Ninth Gate“ (1999)
zu bewundern.
Die Welt bleibt rätselhaft, nichts ist zu durchschauen, gar
zu analysieren. Beunruhigende Ereignisse werden als
Handlungsstränge verkauft. Hier erfahren wir etwas über
religiöse Symptomatik, Teufels Wiederkehr.
Zudem ist das ganze Leben noch versteckt in Sammlungen alter
Stiche, die man zum Konflikt erwachsen lässt.
Es ist kaum zu glauben, dass das dieser POLANSKI ist,
der mit dem Meilenstein „Der Pianist“ (2002) tatsächlich einen
Film abgeliefert hatte, der tiefe Gedanken über den Faschismus
und das Leiden der Menschen unter diesem entstehen ließ.
Doch hier ist er jemand, der das „Kabarett der Täuschungen“
(Martin GARDNER) durch die Vordertür betritt und mit Riten und
exotischen Drogen spielt.

Was soll man bitte schön mit dieser janusköpfigen Seelenheilung
anfangen?
Das Individuum sinkt hier zu einem bloßen Mittel herab,
zu einem notwendigen Übel, zu einem bloßen Exekutor,
einer oberflächlichen Charaktermaske ohne eigenen Willen.
Der Versuch einer Synthese aus Romantik und Unheimlichem
herzustellen, hat unter dem Gesichtspunkt der Irrationalität
verschleierten und illusionistischen Charakter.
In diesem Film gibt es keine eigene Möglichkeit, sich seiner
Individualität zu erinnern, weil ständig das Gesicht
auftaucht, welches uns eine selbstverschuldete
Unwürdigkeit suggeriert. Selbst wenn die Auflösung zu
einer anderen Struktur Zuflucht nimmt, so bleibt das Kino
des Unheimlichen, ein Horror-Reißer mit
King-Kong Aspekten. Man darf den Wald nicht betreten
und man darf vor allem nicht den hier massenhaft
verbreiteten Botschaften, dass wir nur arme Kreaturen
sind, widersprechen.
Was sind das für Geschichten, die erzählt werden?
Eine Gemeinschaft in Abgeschiedenheit, bei der am
Ende in einem Liebesschub nur noch Romantik
übrigbleibt. Das ist modellbildend, aber für eine
Konzeption des Alltags nicht tauglich.

„The Village“ hat mehr mit Spiritualität zu tun, als wie es
auf den ersten Blick erscheint. Der Angst- und Gruselfaktor
hat mehrere verschachtelte Ebenen, die roten Zeichen an Türen
sind, gemeucheltes Vieh, Glocken läuten und der Spuk, der um
die Häuser zieht.
Das wird so lange aufrecht erhalten, bis das Unsichtbare
(das Gesicht) zum finalen Überraschungscoup ansetzt.
Soll man hier einen Stil akzeptieren, der den reißerischen Effekten
des heutigen Hollywood-Kinos mit einer Besinnung auf die
Ohnmächte und Schwächen entspricht?
Das, was sich im aktuellen Unterbewusstsein sedimentiert hat
(was soll ich nur machen?) zieht sich durch diese Geschichte
wie ein roter Faden. Und rot ist auch die vordergründige
Farbe in diesem Film, die auch zu den gesichtslosen Wesen
passt wie der Dorfrat zu verstehen gibt.
Hier hat niemand den Glauben an eine ‚gütige Vorhersehung’
verloren. Die Übersinnlichkeit ist allerdings auch ein
Mysterium besonderer Art.
Der Regisseur setzt nämlich einfach den Weg seiner bekannten
fantastischen Geschichten fort. „Ich sehe tote Menschen!“
war in „The Sixth Sense“ der Beginn des Schreckens, der
erfolgreich eingespielt wurde. Hier wirkt alles nur noch
aufgesetzter: Luftblasen mit einem existenzphilosophischen
Unterbau, die allerdings durch die Beimengung mit der
zentrale Liebesromanze nichts am Irrationalismus ändern.

„The Village“ ist in den letzten drei Jahren geschrieben,
gedreht, verworfen und überarbeitet worden.
Von einer gewissen Empfindlichkeit im Hinblick auf den
weltweiten Terror einmal abgesehen, kann man
dem Film jedoch nicht bescheinigen, dass er
Schlüssel-Geschichten erzählt oder erzählen will.
Was Angst heißt, erfahren immer nur die, die unmittelbar
am aktuellen Geschehen beteiligt sind oder waren.
Es immer und immer wieder filmisch zu kolportieren, zeigt
eine der größten Schwächen des modernen Kinos.
Es geht auch um eine Welt ohne Angst.
Emotionen können nicht erkundet werden, wenn man
im Film ständig auf der Suche nach den Guten und den
Bösen ist.
Die Versessenheit, das beständig im Film zu hinterfragen,
ist die Besessenheit schlechthin.
Wenn man der Angst entkommen will, dann kann man
nicht immer mit ihr leben. Und keinesfalls akzeptieren.

Fazit: Außenseitertheorien sind manchmal amüsant
und phantasievoll.
Wenn allerdings die Wissenschaft scharfsinnig wird,
wird man in diesem Film kein Körnchen Wahrheit
finden.

Dietmar Kesten 10.9.04 20:36