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Troja

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Troja Dietmar Kesten 14.5.04 14:17

TROJA

IMPORT ANTIKE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 14. MAI 2004.

Monumentalfilme haben es in sich.
Eigentlich war es schon „Gladiator“ (Regie: Ridley SCOTT, 2000)
mit Russel CROWE, der mit Schlachten, Getöse, dem
zerquälten Gebrüll, ein bisschen Widerstand gegen die
herrschenden Verhältnisse (der vermeintlichen
Rebellion), Fremdbestimmung und Profitmaximierung
antrat, um die Kinowelt zu verzücken, und postmodern,
oder schon wieder nach-postmodern die Import-Rebellen
auf ihrer Suche nach Gier, Gold und Macht zu begleiten,
um am Ende festzustellen, das die Mitbringsel aus der
großen, weiten Welt zwar keine Filmsubkultur
hervorbrachten, dafür aber ein Comeback an Design,
Mode, alten Inszenierungen, Schickeria, Heldenepos,
Klischees, Rückkehr der alten Sehnsüchte, und dem
ausgesprochenem Bedürfnis, einer kranken Welt neue
Orientierung zu geben.

Dem kritischen Filmbetrachter konnte nicht verborgen
bleiben, dass mit der Trilogie „Der Herr der Ringe“
(Regie: Peter JACKSON, 2001 - 2003) das Festival der
Bedeutungslosigkeit und der Mythenverkitschung im Kino
munter fortgesetzt wurde.
Das, was alle Welt feierte, war doch nur die Verzückung
des Blicks in die schon bis zum Erbrechen überstrapazierten
Motive, Stoffe, Drehbücher, Sagen und Mythen, des Kitsches.
Diese neuen Mainstream-Produktionen erfanden das alte
Kino auf natürliche Weise neu.
Sie drangen in das Alltagsleben des Publikums ein, erzeugten
eine Wahrnehmung, in die man sich fernab von jeglicher
Realität verkriechen konnte, die irgendwo zwischen dem
spektakulären, den vorpostmodernen (Ur-)Gewalten,
der digitalen Revolution, überladenen Schicksalen und
Dramen angesiedelt war.
Die Kulturindustrie spekulierte hier womöglich auf einen Schub,
in der sie ihre Weltsicht mit jener bizarren Definition von ‚Kunst’
zu erneuern gedachte, die in den vernetzten Metropolen
jede/r an den Zaun hängen konnte.
Die einzige ‚Kunstfigur’, die übrigbleiben konnte, wäre dann nur
der Produktionsapparat Hollywoods, der, ob tot oder lebendig,
sich wie im Rausch vermehrte, anderen Großproduktionen
zum scheinbaren Sieg verhalf.

„The Last Samurai“ (Regie: Edward ZWICK, 2004) und
„The Passion of Christ“ (Regie: Mel GIBSON, 2004), die
unlogischen, aber auch unerträglichen Fortsetzungen
des Zwangs, Einspielergebnisse zu toppen, mit der
Rückblende auf Materialschlachten, Blutexzessen,
Action-Spektakel, Gewaltkino, diffusen Fronten,
wankelmütigen Helden, Computereffekten und
Bilderspektakel, warf die Traumfabrik nicht aus der Bahn.
Sie schwang sich auf zu neuen Taten, die sie gedachte
auszuschlachten, um die Krise des modernen Kinos
mit der alten Welt und vor aller Welt zu retten.
Die Antike ist der verlorene Sohn, die gleichwohl
nicht nur auf dem Büchermarkt für Furore sorgt, sondern
auch in Zeitschriften, in Magazinen, in Romanen, im
Fernsehen und anderswo den gebildeten Leser
beeindruckt.
Hollywood, stets mit einer Stimme sprechend, wenn es
darum geht, den leeren Acker Woodstocks zu füllen,
Gräber zu öffnen, Perser, Kelten, Ägypter, Pharaonen,
Athener und Pompeji, die Welt Homers zu entdecken,
sie zu mythologisieren, das ganze Altertum zu verklären,
nicht nur die Kinoerlösung in mystischen Symbolen zu
suchen, sie zum Gegenstand der Verneigung und
Verehrung zu machen, in Gedichten und Ikonen
Hoffnungen zu finden, oder gar seltsame Rätsel zu
entdecken, konnte den Leistungskurs nur noch in
hochgesteckten Zielen finden, um bei erstbester
Gelegenheit anfliegende Gedanken, Wasserglas,
Sterbesessel, Tunika, Toga, Säulen, Sandalen,
Speere, Helme, Lanzen, Pfeil und Bogen, Schild, Ruinen,
Baströckchen und Wettkampfstätten in neuen Filmen
zu platzieren.

Eine Reihe neuer Produktionen soll helfen, das
(Kunst-)Stück perfekt zu machen: die Suche nach einer
neuen Kinoidentität.
Mit „Troja“ von Wolfgang PETERSEN („Das Boot“
1979-1981/Erstaufführung 1981, „Die unendliche Geschichte“,
1983, „Geliebter Feind“, 1985, “Tod im Spiegel”, 1991,
„In the Line of Fire“, 1993, “Outbreak” 1995,
“Air Force One”, 1997, “Sturm”, 2000) erreicht der
Systematisierungswahn, um jeden Preis, den Zugang
zum ‚Wunderbaren’ zu finden, eine zweifelhafte Klimax.
Weitere Großproduktionen sind geplant. In Bälde
sollen Filme über Alexander den Großen, Hannibal,
King Arthur folgen. Ein weiterer Gladiator-Film
ist im Gespräch. Mel GIBSON, der Hollywood Jesus,
gibt keine Ruhe und kündigt überraschendes an.

Heißer Sand und ein verlorenes Land, Leben in
Gefahr- mit ca. 200 Millionen Dollar startet jetzt ein
Kinospektakel, bei dem Pixel-Krieger in geschlossenen
Formationen sich am Horizont formieren, und über alle
selbstquälerischen Zweifel hinweg, in gutmütige Schimmer
gehüllt, dem Zauber Kleinasiens eine eigene Stimme
geben.
Die Metamorphorik des Fressens und
Gefressenwerdens- diese kaum überraschende
Rückkehr der frühen Schicksale, die schon seit langem
in den Kinopop drängen, in der Populärkultur seit eh
und je einen nicht zu unterschätzenden Platz hatten,
die mit Bildern und Erzählungen ihr Publikum banden,
mit bemerkenswertem technischen Aufwand Geschichten
inszenierten, die in unsicheren Zeiten das Einheitserlebnis
der Menschenkinder weltumspannend mit Idylle und
Apokalypse der griechischen Sagenmythologie buchstäblich
aus dem Wüstensand formten, um alles in das Innere
seiner Helden zu verlagern, hat viel mit Abartigkeit,
Dekadenz, unbeherrschter Gewalt, Manipulierbarkeit
und Katastrophenszenario zu tun.

Warum aber das Kino voller Kriege sein muss, was
„Troja“ bestätigt, und warum er bis in die letzten
Winkel der Welt getragen wird, kann nur die bürgerliche
Gesellschaft selbst erklären.
Sie ist es dann auch, die Kämpfe und Katastrophen
weltpolitisch verinnerlicht.
Als Dramaturg auftretend, verleiht sie der Obsession,
und dem ständigen Drang nach neuen Kriegsschauplätzen,
die unverwechselbare Aura, authentisch zu sein, zumindest
vorzugeben.
„Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg’ zuerst dem
anderen zu.“
Diesem geflügelten Wort aus „Van Helsing“ (Regie:
Stephen SOMMERS, 2004) ordnen sich in „Troja“ alle
unter. Angefangen von Brad PITT, Orlando BLOOM,
Sean BEAN, Brian COX, über Eric BANA, Diane KRÜGER
bis zu Peter O’TOOLE, Julie CHRISTIE und Nigel TERRY.

Das barbarisch-antike ist hier der Ort, an dem man
verweilt.
Mit Schwert, Dreizack und der Lanze stürmt man voran,
um zu kämpfen. Und das wegen einer Frau, Helena,
oder auch nicht; denn die Sage ist wie das ‚Trojanische Pferd’:
Mythologie.
Der Männlichkeitswahn im Film lässt wider aller Vernunft
Blüten sprießen, und die Filmgeschichte lehrt, dass ein
abgestorbener Stumpf noch lange nicht das Ende aller
Weisheit ist. Da erinnert man sich an „Black Hawk Down“
(Regie: Ridley SCOTT, 2001) oder an „Wir wahren Helden“
(Regie: Randall WALLACE, 2002): „Wir sind gekommen,
um unseren Auftrag zu erledigen.“ Sie kommen, wofür sie
ausgebildet wurden, sie kommen um emphatische Siege
zu feiern, Niederlagen zu verdrängen, die ins Trauma
führen- das sind die Augenblicke, wo man im Sessel innehält.
Männerfilme, die hemmungslos sind, die ihr individuelles
Handeln aus einem angeblichen rationalen Impuls ableiten,
auf ‚innere Erfahrungswerte’ verweisen, oder sich in der
Verzweifelung äußern, sind für die Gegenwart im Kino
Kitsch.
Sie sind an den Corpus gebunden, an Erhabenheit des
Körpers, an das Erscheinungsbild, und der Lust sich zu
produzieren.
In allen Monumentalfilmen (vgl. auch „Quo Vadis“
(Regie: R. Mervyn LEROY, 1951 oder „Ben Hur“,
Regie: William WYER, 1959) ist diese Sucht unstillbar.
Der frömmelnde amerikanische Schinken
„Ben Hur“, oder der monströse Fabelfilm „Quo Vadis“
sind der Summe nach nicht vom Männlichkeitskult
eines Film wie „Troja“ zu unterscheiden.
Nur: in „Troja“ ist er besonders ausgeprägt.
Zeigt sich doch am Beispiel von Brad PITT, der den
Achilles spielt, dieses ursprünglich-männliche.

Mit seinen eigenen Bildern aufzutreten, männlich,
gesund, stolz und stark, Brustpanzer, die auf- und
abwippen, schwingende Schwerter und schwitzende
Männer mit ausgeprägtem Sinn für manische
Produktionswut, wird die Männerdomäne des
Patriarchats einmal mehr verklärt.
Das, was sich am „Herrn der Ringe“, „Gladiator“.
oder im „Letzten Samurai“ ins kritisierbare
verwandeln musste, nämlich dass das extreme
Heldentum und die Heldenschlacht zum Impuls des
Tötens wird, wo die (dunklen) biologischen Kräfte
siegen, setzt sich mit ungeminderter
Blutopfermystik in „Troja“ fort.
Denen muss musstraut werden, die sich hier gegenseitig
befeuern, beschießen, liquidieren, oder auf den Lippen
den Kampfesruf führen.
Wenn das Ideal, das sich wie ein roter Faden durch
„Troja“ zieht, der animalische Trieb ist, Leben zu nehmen,
dann ist es kein Zufall, dass sich der Irrationalismus
der angeblichen Würde und des fatalen Männermutes
barbarisch zu Töten, in einer Ganzkörperkultur fortsetzt.

Alle Monumentalfilmer erzählen von Angst, Beherrschung,
Unterdrückung, Erlösung, sie glauben an das Gute, verachten
das Böse. Und weil das Maskuline im Kino überwiegt
und PETERSEN das Subjekt in „Troja“ im Detail
beschreibt, wird das Genre Kino des
‚Männlich - Monumentalen’ zum Code, zur Theorie und
der Repräsentanten, die ihre Männer auch als
bildende Werke, Wandplakate oder Comics verkaufen
könnten. Wenn sich die Werbung mit dem
Fußballstar BACKHAM so viel an HOMER herausnehmen
kann, dass man vor lauter Halbgötter und Baströckchen „Ilias“
als U-Bahn Netz oder als Platzpatrone interpretieren
könnte, dann ist das schon der Aufbruch zur Jammerkultur.

Brad PITT ist strenggenommen Russel CROWE
aus „Gladiator“ oder Aragorn aus dem „Herrn der Ringe“.
Sie alle sind weltfremd, zermürbend, zerknirscht,
deprimierend, enttäuschend, fad und destruktiv.
Die Analogie zu den antiken Helden ist verblüffend:
die Ästhetisierung des Körpers, die stilisierte
Vergangenheit, die Züchtung dieser Gussteile im
Film, all das löst Beklemmung und Nachdenklichkeit aus.

Am Ende der Schlacht werden die Toten gezählt.
PETERSEN gehört filmisch zu ihnen.
Nichts in diesem Film, vor dem man Achtung
haben könnte, vielleicht nur vor der farbenprächtigen
Armada, Kamerafahrten übers Meer sind interessant,
die imposanten Stadtmauern.
Überall Kriege und Vernichtung. Der Weg in „Troja“
ist mit Särgen zugestopft. Es ist ein Weg der
Hochglanz-Götter, die morgen schon wieder im
„Ben Hur“ Effekt Panorama Effekte erzeugen,
damit die Wirklichkeit reinste Erfindung bleibt.

Die Bewährung des Mannes im Angesicht des Feindes
zu schildern, das gipfelt in der Reinkarnation dieser
Popgesichter, die martialisch dazu bereit sind, dem sinnlosen
Welttheater ein jähes Ende bereiten.
Die Kriegsmaterialschlachten der Moderne unterscheiden
sich kaum noch von diesen Sandalenschlachten.
In „Troja“ geistert der Mann des ganzen Jahrtausends
mit seiner Technik, die er geformt und entwickelt hat,
durch die (alte) Kulturgeschichte des Krieges.
Während dort die Kämpfe dem Höhepunkt entgegenstreben,
gehen die realen Kriege weiter. Ein Ende ist nicht
abzusehen.

Fazit: Die schriftlich überlieferte Weltgeschichte
ist weitgehend Kriegsgeschichte.
Wenn am Ende alle Angelegenheiten dieser Welt
stets weiter durch Gewalt geregelt werden sollten, dann
muss das Kino auch die Aufgabe haben,
sich gegen diese Eroberungen, den
Kämpfen und der Kriegsethik zu wenden.
Die großen Männer der überlieferten Geschichte
waren im allgemeinen gewalttätige Männer, wenn
nicht selber Krieger. Sie verstanden sich auf den Einsatz
von Gewalt und scheuten nicht davor zurück,
sie für ihre Zwecke einzusetzen.
Der Film gibt nur die Innenansichten einer von
Männern geprägten (alten) Gesellschaft wieder.
Mit diesen falschen Gewohnheiten, die im Film
gestreut werden, kann man nicht überleben.
Nicht der Geist der Konfrontation, sondern der
friedvolle Umgang miteinander hält die Welt in
Bewegung. Selbst im Kino sollte das angekommen
sein.

Dietmar Kesten 14.5.04 14:17