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Troja

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Eine gelungene Interpretation? Dietmar Kesten 1.6.04 17:17

TROJA

EINE GELUNGENE INTERPRETATION DES MYTHOS?

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 1. JUNI 2004.

Ist „Troja“ eine gelungene Interpretation des Mythos?
Hinter "Troja" verbirgt sich die popkulturell überglänzte
stilisierte Vergangenheit des neuen Monumentalkinos.
PETERSEN taucht wie JACKSON konsequent in archaische
Mythen ein. Der Kampf der Menschen gegen die
Götter (die im Film im übrigen kaum vorkommen, ja eine völlig
unbedeutende Rolle einnehmen) ist in "Ilias" von zentraler
Bedeutung.
Bei PETERSEN fehlt diese Dimension völlig. Und die
Adaption des gewaltigen Versepos ist absolut nicht gelungen,
sondern in Konsequenz ein aufgesetztes kleinasiatisches
Gezeter.
PETERSEN und Drehbuchautor David BENIOFF strichen im
übrigen alles, was den Anschein von Mythologie erwecken
konnte. Homer ist für den Film kaum mehr als plumper
Ideenlieferant für spektakuläre Schwertgefechte, die auch auf
dieser Ebene mit dem tatsächlichen "Troja" und Homers
Erzählung (vermutlich) wenig zu tun haben.
Die gigantische Schlachtplatte, die PETERSEN entfaltet,
ist Hollywoods Mittelalterlichkeit. Der Kampf zwischen Gut
und Böse, Sieg und Rache wird im Blitzkrieg entschieden.
Der maskuline Code obsiegt, und das macht die Rache- und
Eroberungsfeldzüge in "Troja" unerträglich.
Hollywood trägt die Verunsicherung mit dem Monumentalfilm
ständig vor sich her. In diesen neuen Mainstream-Produktionen
erklärt es den Krieg zum Paradigma männlicher Existenz.
Zumindest auf der Leinwand scheint klar zu sein, dass man mit
Homer machen kann, was man will.
Aber es nützt nichts: das Selbstverständnis des Griechen,
die "Ilias" so dauerhaft geprägt hat, wird im Film absolut nicht
erwähnt.
Und daran hatte PETERSEN auch kein Interesse.

"Ilias" und und "Odysee" wurden zu Grundlagen griechischer
Erziehung. Die mykenische Zeit des 8. Jahrhunderts wird in
"Troja" ebenfalls kaum reflektiert.
Aber es war doch die Quelle schlechthin. In "Troja" gibt es z. B.
keine Lehmhütten, keine Landwirtschaft, unwesentlichen
Ackerbau. Diese Mischform von Ackerbau und
Viehzucht (vgl. "Ilias")- das Handwerk ist ein bedeutender
Stützpfeiler der Mythologie.
Mich verwundert es immer wieder, dass in diesen Filmen
ein geschichtlicher Horizont nur aufgesetzt erscheint, und er
gar nicht für die eigentlichen Handlung in Betracht gezogen
wird.
Bei "Last Samurai" war es ähnlich, oder „Cold Montain".
Immer wieder ist es dieser Verzicht auf die wesentlichen
Dinge. "Troja" wird dargestellt als ein räuberischer Feldzug.
"Troja" war kein Krieg der Städte untereinander. Athener und
Spartaner z.B. waren nicht unbedingt auf Krieg aus. Sie waren
auch Adelige, die über die Stadtgrenzen hinaus miteinander
verbunden waren. Davon erzählt Homer auch in seinen
Mythen. PETERSEN erzählt nicht davon.
Was diese "Interpretation des Mythos" anbelangt, so liegt er
eindeutig falsch. Denn "Mythos" ist nicht einfach nur "Wort" per
Definition, sondern durchaus auch "Märchen" und/oder "Fabel".
Für die Frühzeit von "Ilias" kann man sie als "Erzählung von
bedeutenden Handlungen und Schicksalen persönlicher Wesen
der Vorzeit" interpretieren.
Dazu gehört in diesem Mythos "Ilias" das Handeln der Götter
mit den Menschen.
Solche Erzählungen waren für die frühen Griechen sehr
bedeutsam.

Im frühen Mythos schaffte sich die Adelsgesellschaft der
Zeit Homers ihre Vergangenheit und setzte sich über die
Vermittlung dieser Vergangenheit das Ideal ihrer selbst:
das Ideal des wesentlich seinem individuellen Ruhm
verpflichteten, nicht auf öffentliche Verantwortung ausgerichteten
Heros. Es gibt keine "gelungene Interpretation", Homers durch
PETERSEN. Menschen und Götter waren auch mit einem
gewissen moralischen Abstand untereinander verbunden.
Bei PETERSEN ist nichts verbunden.
Zeus z.B. wurde später der Gott der Gerechtigkeit.
In "Ilias" wurde Unrechttun bestraft. Bei PETERSEN wird diese
Geschichte zum Blitzkrieg. Überhaupt schien er so seine
Schwierigkeiten mit Homer und "Ilias" zu haben. Er macht
ja nichts anderes als Fantasy daraus.
Die anthropomorphe Götterwelt der Griechen, die Fülle von
Einzelgöttern samt ihrer "gottähnlichen" oder "menschenähnlichen"
Eigenschaften, die Verwaltung der Heiligtümer und der
Umgang mit ihnen, verkommt bei PETERSEN im Schwertgefecht.
Götter gibt es bei PETERSEN nicht, keine Eigenständigkeit, keine
Kultgebäude, keine beginnenden politischen Strukturen, keine
Darstellung in der Kontinuität des Kults.

Fazit: Petersen macht aus "Troja" eine Materialschlacht der
Moderne.

Dietmar Kesten 1.6.04 17:17