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A History of Violence

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AUS DER MITTE DER GESELLSCHAFT Dietmar Kesten 9.1.06 16:51

A HISTORY OF VILENCE

GEWALT ENTSTEHT AUS DER MITTE DER GESELLSCHAFT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 9. JANUAR 2006.

Tom Stall (Viggo MORTENSEN) ist Coffeeshopwirt in einer amerikanischen Kleinstadt. Mit seiner Frau Edie (Maria BELLO) und den Kindern lebt er ein Leben wie aus dem Bilderbuch. Alles scheint auf den ersten Blick perfekt zu sein. Eines Tages wird Tom von brutalen Räubern in seinem Shop überfallen, die er in Notwehr erschießt. Für einen harmlosen Shop - Besitzer handelt er cool und ziemlich professionell, was jedoch niemanden besonders zu tangieren scheint. Er wird als Held gefeiert. Die Presse überschlägt sich. Und überall ist sein Gesicht zu sehen. Sein Name ist in jedermanns Mund.

Eines Tages erscheint ein Fremder im Shop, der düstere und unberechenbare Carl Fogarty (Ed HARRIS), der Toms Bild in der Zeitung gesehen hat, und der ihn andauernd ‚Joe’ nennt. Dieser kündigt an, dass er mit ihm noch eine Rechnung offen habe und schon bald mit ihm abrechnen werde. Liegt hier eine Verwechselung vor, oder stimmt die Geschichte tatsächlich? Was ist mit Tom Stall wirklich los?

CRONENBERG ist CRONENBERG. Und CRONENBERG wäre nicht CRONENBERG, wenn er nur mit plumpen Variationen des Kinos aufwarten würde. Seine Filme waren immer etwas besonders, abgrundtief, oft nicht zu durchschauen und meisterhaft in der stilistischen Anfertigung, wenn etwa an „Naked Lunch“ (1991)
oder „Spider“ (2004) gedacht wird. Selbst „The Fly“ (1985) und „eXistenz“ (1998) konnten überzeugen. Und stets gelang es ihm, auf eigenwillige Weise zu faszinieren, zu überzeugen, zu schockieren, platzieren und ernsthaft zu hinterfragen. Seine Arrangements waren nie zart besaitet. Immer führte er dem Publikum etwas Außergewöhnliches vor.

Obsessionen sind immer privater Natur. Obsessionen brennen Löcher in die Seele und den Körper. Sie kleistern sie zu, aber reißen sie auch wieder auf. Die menschliche Seele mag ein Fluchtpunkt sein, ein Fluchtweg aus dem Panzer heraus, der den Körper umgibt. So geht CRONENBERG mit diesen um, so als seien sie Zugeständnisse an irgendwen und irgendwas, an das, was uns umgibt, auch an die eigene Unfähigkeit, sich vollständig zu entblößen und sich aus Verrätselungen und Verschachtelungen zu befreien. Eine Fantasiewelt ist eine Welt, in der man sich sein eigenes Refugium schafft, eine nahezu perfektes Bild, das innerhalb der eigenen Psyche existiert. Wird es aufgerissen, dann bleibt nur noch der Kahlschlag übrig. Und die Realität erscheint auf einmal wie blanker Hohn.

„A History of Violence“ ist eine Demontage der eigenen Fantasiewelt, der Schablonen, der kunstvoll geschmiedeten Gedanken, sich irgendwo heimisch fühlen zu können. Tom Stall ist jemand, der in dieser Innenwelt lebte, bis er eines Tages aus dieser herausgerissen und erpresst wird. Und deutlich wird, dass sein unscheinbares und normales Leben gar keines ist, dass er ein Vorleben hatte, dass er nun auf seltsame Weise übergestülpt bekommt.
Und so beginnt der Kreislauf von Vertrauen und Misstrauen, Gefühlen, der Gewalt, die allem Anschein nach von außen kommt und die offenbar schon immer Bestandteil dieser Idylle war. Die Entlarvung der Fantasiewelt- das ist es das eigentliche Anliegen von „A History of Violence“.

Jede Idylle kann aus Gewalt bestehen. Da der Film ein amerikanischer Film ist, mag man daran denken wollen, dass BUSH und der Irak - Krieg vordergründiges Anliegen von CRONENBERG war. Wäre es so, dann würde man den Film auf einen einzigen politischen Kommentar reduzieren, oder ihm einen beliebigen politischen Standort verpassen. Doch Gewalt hat immer andere Vorzeichen, wie CRONENBERG vortrefflich zeigt. Gewalt entsteht stets aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Alle Nationen, alle Staaten sind durch Unterdrückung, Dreck, Verstümmelungen, Eroberungen, Unterwerfungen, Bürgerkriegen, Despotien, Diktaturen und Ausrottungen entstanden. Selbst die hochgelobte Demokratie hatte als Grundlage einst die Gewalt.

CRONENBERG zeigt nicht unbedingt was Gewalt ist, obwohl er sie zeigt, sondern wie sie wirkt. Und welche Bestandteile sie in der Kultur, die natürlich Kulturen der Gewalt sind, hatte und hat. Und insofern hat sie auch Besitz von uns ergriffen. Der Gewaltbegriff ist dabei verlogen. Nur deswegen, weil jemand keine Gewalt ausübt, ist er doch nicht gewaltfrei! Sie bricht sozusagen aus den verschiedensten Gründen, unterschiedlichen Motivationen und Interessen (einfach) über uns herein. Ein Biedermann tötet. So als ob er niemals etwas anderes getan hat. CRONENBERG erschüttert an diesem Punkt, er straft sein Publikum ab, weil es so tut, als ob es niemals einer Fliege etwas antun könnte. Und doch sind wir alle in der Gewalt verstrickt. Man mag es nicht glauben, dass in der perfekten Stadt mit bunten Gartenzäunen und gemähten Rasenflächen die Gewalt auf einmal hereinbricht.

Gewalt war immer Stütze und Stabilisierung aller Gesellschaftssysteme. Sie fand immer an den Orten statt, die man nicht für möglich gehalten hätte, und die als gewaltfrei galten. Von den Schlachtfeldern der Geschichte schwappte sie herüber in die Familien, in die Schulen, in die Kirchen und Institutionen. Die Gewalt ist Teil des Lebens, der Zivilisation, des Umgangs miteinander. Vor allem dann, wenn versucht wird, sie aus dem Kopf zu verbannen, zeigt sie seine ganze Fratze.

In der Regel glaubt man, sich zu kennen. Ein perfektes Leben zu führen wie die Stalls ist indes kein Garant dafür, dass diese Idylle immer aufrechterhalten werden kann und nie mehr platzen könnte. Kleinstadtleben, Reihenhäuser, Familien in Konfektionstextilien, unscheinbar, schrecklich nett, ein erfülltes Sexualleben, strebsam, arbeitsam, unproblematische Erziehung der Kinder- und inmitten droht die Verrohung. Diese Vertrautheit und Künstlichkeit nimmt CRONENBERG aufs Korn. Jeder meint, jeden zu kennen. Und doch kennt niemand einen.

Überall auf der Welt leben die Stalls. Bis sie eines Tages aus der Unscheinbarkeit hervorbrechen und sie uns fremd und fremder werden. „A History of Violence“ ist ein Schocker erster Qualität. In einem “Zeit” Interview meinte CRONENBERG jüngst: „In History of Violence ging es mir darum, den Eindruck einer umfassenden Schizophrenie unser Kultur und Lebensweise festzuhalten.“ In der Tat ist es diese Schizophrenie, die uns von Kindesbeinen an begleitet, die zu unserem Naturell geworden ist, und die sich wie ein Krebsgeschwür mit anderen (Körper-)Zellen zu
verschmelzen beginnt.

Die Gewalt ist ein Verbündeter des Systems. Sie ist der objektive Endzustand jeder Zivilisation. Sie ist eine Welt voller Schrott, Müll und Gift. Sie ist das Grundmuster der Moderne, der Globalisierung und unserer schwindenden Lebenswelt. Sie ist die entscheidende Realität dieser biosphärischen Wirklichkeit. Daher kann CRONENBERG bestens unser Unvermögen beschreiben, zu differenzieren. Dort, wo alles eins wird, ein Gedankenbrei aus Ideologien, Vermächtnissen, Traditionen, Storys und theoretischen Überlegungen ist, fällt es umso schwerer, einen geraden und geordneten Weg zu erkennen, eine Linie.

Nur der Stärkere überlebt. CRONENBERG mag den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Er steht für den konsequenten Darwinismus. Und seine Wahrheiten sind
deshalb so brutal, weil sie uns täglich mit Fleisch und Blut begegnen. Hier sind alle an der Gewalt beteiligt. Auch die Opfer selbst. Sie leben alle in einer mörderischen Struktur und reproduzieren sie stetig neu. Sie sind dem stummen Zwang unterworfen. Und dennoch ist dieses sogenannte neutrale Leben aufzudecken, weil man trotz des Wissens um die tödlichen Resultate erst recht zum Apologeten und/oder Ideologen dieser Destruktivität wird.

„A History of Violence“ sollte als Aufforderung begriffen werden, den eigenen Gedanken stets zu misstrauen, sich selbst nur als Komparse seiner Ideen zu begreifen. Man fällt nie mehr tief, sollte man das begriffen haben. Der Schicksalsberg der Menschen rückt immer näher heran. Es ist an der Zeit, diesen unheilvollen Verwirrungen ins Auge zu blicken.

Fazit:

Glänzend, hervorragend, abgrundtief und schockierend. Cronenberg trifft die Tiefe der Seelenmitte.

Dietmar Kesten 9.1.06 16:51