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Aviator

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BLAUÄUGIGKEIT. Dietmar Kesten 29.1.05 10:54

AVIATOR

BLAUÄUGIGKEIT

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 29. JANUAR 2005.

Der Film „Aviator“ behandelt den Aufstieg des amerikanischen
Tycoons Howard Hughes, der als 18-jähriger nach dem
Tod seines Vaters den Hauptanteil der Firma ‚Hughes Tool Co’
erbte und zum Filmproduzenten und Flugzeugindustriellen
aufstieg.
1932 gründete er die Fluglinie TWA. Im Zweiten Weltkrieg
setzte er seine Investitionen fort und konstruierte u. a.
die ‚Spruce Goose’.
Neben seinem beruflichen Engagement bracht er auch
Klassiker wie „Hell’s Angels“ (1930), „The Front Page“ (1931)
„Scarface“ (1932) und „The Outlaw“ (1943) mit Jane RUSSELL
auf die Leinwand.
Mit Affären zu Katherine Hepburn und Ava Gardner erregte
er Aufsehen.

Hollywood wäre nicht Hollywood, wenn es nicht Biografien
über Verstorbene und noch lebender Menschen ins
Kino bringen würde. Daran gebunden sind die unzähligen
Klischees. Sie waren immer Geschichten, die sich
um große Märchen rankten, die von einem fliegenden
Teppich stammen könnten, der sie aus fernen Ländern
ins Studio bringt.
Hollywood wurde so vielleicht selbst zum Film, das zu jeder
Zeit die Probe der Glaubwürdigkeit zu bestehen hatte.
Vom Anfang bis zum heutigen Tag zeigt uns Hollywood
all seine Peinlichkeiten.
Wie pubertierende Kids nahm es mal die angeberische Pose,
mal die großspurige, mal die pathetische ein.
Mal war es Wanderprediger, Manipulateur, Kulturbürokrat,
Gleichschaltungsmaschine oder rührseliges Weinkino.
Hollywood war immer eine selbstgebastelte Kanzel, von der
aus Freundlichkeit, Liebe, Leidenschaften, Heldentum, Angst,
Patriotismus, Güte und natürlich Macht und Reichtum
gepredigt wurde.
Gäbe es Hollywood nicht, dann müsste man es erfinden. Man
müsste bereits schon zu Lebzeiten Biografien über diese
augenfällige gesellschaftlich-kulturelle Übermacht schreiben,
damit sie posthum veröffentlicht werden können.

Mammut-Biografien sind so oder so schwer genießbar,
sie zu lesen ist ein noch größeres und schwierigeres
Unterfangen. Mit Büchern ist es wie mit Filmen: das Tempo
ist atemberaubend. Sünden wie ‚Langeweile’ oder ‚Lesestopp’
kommen nur selten vor.
Hollywood ist mit seinen Filmen durch eine einzigartige große
Tugend gekennzeichnet: als Märchenerzähler geht es mit einer
umwerfenden Naivität vor.
Trotz aller Abgebrühtheit, Tricks, Finten und Kniffen.
Dort stürzt die Wirklichkeit auf alles herunter „wie ein
herabfallender Sandsack“ schrieb Frank CAPRA einst in
seiner Autobiografie über Hollywood.

Martin SCORSESE (“Alice lebt hier nicht mehr”, 1974,
„Taxi Driver“, 1975, „The Band - The Last Waltz”, 1978,
“Wie ein wilder Stier”, 1979, „Die Zeit nach Mitternacht“, 1985,
„Die Farbe des Geldes“, 1986, „Die letzte Versuchung
Christi“, 1988, „Good Fellas“, 1989, „Kap der Angst“, 1991,
„Zeit der Unschuld“, 1993, „Casino“, 1995,
„Kundun“, 1998, „Bringing Out The Dead“, 1999,
“Gangs of New York”, 2003) war immer jemand, der
Zeit seines Lebens am eigenen Mythos strickte.
Eigentlich hatte er alle seine Helden zu dramatischen
Menschen mit Selbstironie gestalten können. Seine Filme
waren Dramen, die unter die Haut gingen, wenn etwa
an das Meisterwerk mit Robert DE NIRO „Wie ein wilder
Stier“ oder „Zeit der Unschuld“ mit Geraldine CHAPLIN,
Daniel DAY-LEWIS und Michelle PFEIFFER gedacht wird.
Die große Ehre war ihm verwehrt. Trotz der Tatsache,
dass er als Regisseur in der Filmbranche eine Sonderrolle
einnahm, fiel er nie sonderlich auf. Ihn zeichnete seine
Liebe zum Detail aus, der Blick für das Einzelne.
In „The Last Waltz“ war es das Bild der Musiker der
Begleitband von Bob DYLAN, das seine Genauigkeit
verdeutlichte. In „Kap der Angst“ war es einmal mehr
Robert DE NIRO der zum Amokläufer wurde, und den
SCORSESE als einziges Bündel von Widersprüchen
bestens in Szene zu setzen verstand.
Seine ‚großen Geburten’ „Taxi Driver“, „Die Farbe des
Geldes“ oder „Good Fellas“ waren Inseln, die sich vom
Meer des Popcorn-Kinos deutlich abhoben.

Doch auch die Flops gehörten zu ihm wie die Ironie des
Künstlers, der glaubt, ein Problem mit Untertönen
darstellen zu müssen.
„Die letzte Versuchung Christi“, „Kundun“ und vor allem
„Gangs of New York“ gehören unstrittig zu seinen
Tiefpunkten, während er in „Casino“, wo er den Aufstieg- und
Fall eines Casinobesitzers verfilmte, womöglich versucht,
seinen eigenen Weg, den er gekommen ist, noch einmal
zurückzulegen; denn er hängt an sozialen Zusammenhängen
mit aufgetragenen Sentimentalitäten.
Selbst sein Lieblingsschauspieler Robert DE NIRO,
der allein in 5 seiner Filme die Hauptrolle spielte und
1979 für seine Rolle in „Wie ein wilder Stier“ sogar einen
Oscar bekam, musste in der Zwischenzeit den Hügel
hinabsteigen. Er wurde ersetzt durch Leonardo DI CAPRIO,
der sich schon in „Gangs of New York“ nach vorne
spielte.
Nun hat SCORSESE sein Herz für diesen Jüngling und
Frauenheld entdeckt, der allerdings schauspielerisch
bisher nicht überzeugen konnte und eher zu den
mittelmäßigen Akteuren gehört.
Selbst in „Titanic“ (1997) an der Seite von Kate WINSLET
agierte er mehr zweckgebunden und durchschaubar und
nicht mitreißend.

Nun soll in Filmen nicht der Blick dem Individuum gelten,
sondern der Kunst des Regisseurs, der sich über andere
erhebt und mit großen Filmen Geschichte zu machen
gedenkt.
Man denkt sofort wiederum an CAPRA, der den
Hollywoodfilm mit den Worten kritisiere:
„Meine Filme werden das Herz nicht mit Logik, sondern
mit Mitgefühl ergründen.“
Sollte das richtig sein, dann sieht man in diesen den Wald
vor lauter Bäumen nicht mehr. Das Märchenhafte und
das Mitgefühl setzt sich scheinbar durch.
Der Film als solcher droht trotz seiner Opulenz schmalzig
und ranzig zu werden.
Sollte das bei „Aviator“, einem Film der „Spitzenklasse“
verspricht, anders sein? Was sollte man von
Howard Hughes lernen können oder lernen wollen, sollte
man die alten Bilder der Vergangenheit beschwören,
seine Exzentrik?
Sollte man sich an den Nebenhandlungen des Filmes
festsaugen wollen, die Cate BLANCHETT als
Katharine Hepburn und Kate BECKINSALE als
Ava Gardner einführen?

Manche ersticken auf diesem Weg. Stimme, Gestus und
Diktion bieten zwar eine Überraschung, doch die
zerschlissenen Spitzentücher sind nur eine ausgedünnte
Hülle dieser Melodramatik.
In raschen Überblendungen, erst langsam, dann immer
hastiger spielt der ganze Film. Er wird gespielt mit einer
handvoll Stoff. Das ist Kunst, ohne Zweifel.
SCORSESE lässt seine Protagonisten in einen Taumel
der Sehnsucht hineinfallen. Sie gewinnen für uns ein
Abbild längst vergangener Zeiten, Ordnungen und Rituale
einer scheinbar verschwundenen Zeit.
Doch je mehr sie sich verselbständigen, werden sie uns
ähnlich. Die Handlung ermüdet und das alte
Epochenporträts versprüht keinen Glanz mehr. Es ist wie
in „Gangs of New York“. Die Kamera wird zum Magnet, die
nur noch Details festhält.
DI CAPRIO wirkt nur noch wie ein zufälliger Solist. Hier hat
er wieder keinen Biss, ist zu penibel und introvertiert.
Hughes Geschichte wird von ihm mit gebremsten Pathos
erzählt.

Dieses Filmmenü läuft eindeutig auf dicke Preise hinaus.
Oscars sind angesagt. Da gilt die Devise: nicht kleckern,
sondern klotzen.
Man wundert sich, wie das Leben des Pioniers filmisch
zusammengesetzt wird. Aufstieg und Fall eines Mannes zu
schildern, der als Prototyp des amerikanischen
Kapitalismus gelten könnten, ist zwar kein Skandal, aber
auch kein wunderbares Stilleben der Gefühle; denn diese
Erfolgsstory mit Akkumulation und Perfektion ist nichts
außergewöhnliches im Land der ‚unbegrenzten
Möglichkeiten’.
Es verdichtet sich der Eindruck, dass das Leben
eines neurotischen Menschen mit Macht, Geld und
gehörigem Selbstbewusstsein in ein gigantisches
Bilderfeuerwerk einmünden soll, auf das Hollywood
scheinbar so gewartet hat.
Flugzeugbau, Karambolage in den Straßen von
Beverly Hills, der Traum von der interkontinentalen
Fluglinie in Washington und seine Liebschaften- so
huldigt man ihm am besten. Der Stoff aus dem die
Träume sind und die Karrieren gemacht werden: das ist
keine Botschaft der Aufmunterung , sondern
kapitalistisches Sendungsbewusstsein.

Solche Märchen sind nichts anderes als ein
Triumph des Geldes.
Es sind die Lappalien des Immergleichen. Neben dem
Aufstieg steht der Fall. Hughes erntet Mitgefühl, wenn
er vor Verhören in Washington erscheint, finanzielle
Desaster erleidet, sich einsam zurückzieht.
„Ich habe meine eigenen Kriterien im Kopf“, sagte
SCORSESE einmal.
Deshalb mag die ‚echte’ Geschichte von Hughes
nur von einem Philosophen erzählt werden können.
SCORSESE scheitert bei dem Versuch, seine Aura
zu beschreiben. DI CAPRIO ist Hughes auf einer
sympathische Weise deshalb völlig unähnlich.
Vorbei ist die Zeit der persönlichen Helden. Sie
sind gegenstandslos geworden und können heute noch
nicht einmal mehr als Karikatur herhalten.
Aus der postmodernen Filmkunst insgesamt ist die
Sozialkritik verschwunden.
Die Moral der Macht ist kein ‚Schurke“ mehr, der sich von
einer Person in eine Idee, in einen Geisteszustand oder
eine Lebensbedingung zu verwandeln gedenkt.
Die Bilder von SCORSESE wirken stumpf, wie schon in
„Gangs of New York“. Seine Bilder schließen nichts mehr
auf.
Der Kitsch Hollywoods hat den Meister eingeholt.
Der Glaube an das persönliche Gut im kapitalistischen
Menschen verkommt hier endgültig zur Lächerlichkeit.
Wenn Hollywood langweilige und bloße Genrebilder
oder Biografien abzuliefern gedenkt, dann ist es an der
Zeit die wirklichen Masken dieses Spiels zu durchschauen.
Der Versuch, Kino und Historie als Einheit zu interpretieren,
ist gescheitert.
SCORSESE hat nur Nostalgie übernommen. Kampf und
Drama interessiert nicht mehr. „Aviator“ ist ein Film, der
wie ein Klassiker aussieht, aber keiner werden wird.

Fazit:

Die letzten Worte Robert de Niros aus „Casino“ lauteten:
„Wenn sie dich anschauen, sehen sie, was sie sein
möchten. Wenn sie mich anschauen, sehen sie, was sie
wirklich sind.“
Vielleicht hätte sich der Meister daran erinnern sollen!
Wenn man es genau nimmt, dann möchte man mit
Scorsese durchs Spielkasino wandeln, aber nicht
durch Biografien von Männern der amerikanischen
Geschichte.

Dietmar Kesten 29.1.05 10:54