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Bin-jip

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SCHWEBEND Dietmar Kesten 17.1.06 19:40

BIN - JIP - LEERE HÄUSER

SCHWEBEND

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 1. NOVEMBER 2005.

Es gibt Filme, die versteht man erst dann, wenn die Realität entschwindet und der Traum Bilder freigibt, nach denen vergeblich gesucht wurde. Bei „Bin - Jip“ (Regie:
Kim KI - DUK (2004) scheint es sich um einen solchen zu handeln. Im Traum, der manchmal von guten Geistern behütet zu sein scheint, streifen Figuren durch eine Welt, in der sich alles zum besten wandelt, und denen man nichts anhaben kann. Ein solch guter Traum - Geist scheint Tae - Suk (Jae HEE) zu sein, ein Herumtreiber, der niemandem etwas tut, mit seinem Motorrad durch Seoul streift, in Wohnungen eindringt, die für eine Zeit von ihren Bewohnern verlassen wurden und in denen er es sich gemütlich macht. Er erledigt dann für sie den Alltag: repariert Haushaltsgeräte, wäscht Wäsche, füllt den Kühlschrank und gießt die Blumen.

Über Motive für sein Handeln, weiß der Film nichts zu berichten. Und ganz anders als auf dem europäischen Filmkontinent, tritt uns ein junger Mensch entgegen, der nun gar nichts mit idealistischer Veränderung oder Hausbesetzung zu tun, wie es noch etwa in „Was Tun, wenn’s brennt“, (Regie: Gregor SCHNITZLER, 2001), „Halbe Miete“ (Regie: Marc OTTIKER, 2002) oder „Die fetten Jahre sind vorbei“ (Regie: Hans WEINGARTNER, 2004) der Fall war. In einer Luxusvilla trifft er auf das Modell Sun - Hwa (Lee SEUNG - YEON) und gibt seine Samariter - Ambitionen auf. Als die Frau von ihrem sadistischen Ehemann verprügelt wird, streckt Tae - Suk ihn mit Golfbällen nieder. Beide verlassen (wortlos) das Haus, um sich eine andere Bleibe zu suchen, in der sie auf einen Toten treffen. Als der Sohn des Toten ins Haus kommt, und die Polizei ruft, werden beide verhaftet.

Tae - Suk landet im Gefängnis und bleibt während der Verhöre stumm. Sein Schweigen und wundersamen Metamorphosen rufen Provokation und Schikane hervor, bei der sich besonders der Kommissar und ein Gefängniswärter hervortun. Die Zelle, die nun sein Gefängnis ist, ist auch im übertragenen Sinne eine: hier ist er unantastbar, kann sich der Meditation hingeben, sich in Körperbeherrschung üben und buddhistischer Selbsterfahrung hingeben.

„Bin - Jip“ zeigt, dass in Filmen nicht immer gesprochen werden muss. Gesten und Mimik sagen manchmal mehr. Und das Schweigen ist eine ganz besondere Art, sich der großstädtischen Plapperei zu entziehen. Dabei entsteht ein ganz gewöhnlicher und eigenartiger Rhythmus: beschauliche Momente wechseln sich mit eruptivem Ausbruch jener Golfschlägergewalt ab, und wenn Sun Tae heiße Blicke zuwirft, dann verschanzen sich die beiden hinter ihrer heimlichen Liebe, in der sie sich komplizenhaft und detektivistisch vereinigen und wieder zurückziehen. Diese Bilder, die so entstehen sind Bilder zwischen Traum und Realität, die im Traum zerplatzen und in der Realität wieder auferstehen. Wie die Bilder, die von anmutender Schönheit und Entrückung sind, so sind auch die Figuren: kaum zu erfassen, doppelgesichtig und undurchdringbar. Die Bildsprache ist kunstvoll gestrickt, malerisch. Sie ladet zum Verbleiben ein.

Die Thematiken des Films sind abgesteckt: gleichnishafte Erzählungen von Verstrickungen, von Männern, die Schuld auf sich geladen haben (ein Golfball -Geschoss tötet eine Frau), die Sadisten sind (der Kommissar und der Gefängniswärter), und die ihre Frauen demütigen (wie der Ehemann von Sun). Schuld und Sühne, Geist und Gewalt, Verrohung und Schönheit, individuelle Sprache gegen Großstadtlärmerei- das sind die immer wiederkehrenden Motive von
Kim KI - DUK, der nun schon seinen 11 Film vorgelegt hat. „Eisen 3“, wie der Film übersetzt heißt, ist eine souverän gestaltete Symbiose. Die Figuren sind mit großer Raffinesse skizziert, die Verortung der Realität ist gleichsam bedeutend wie unbedeutend. Er lässt ihnen ihre Geheimnisse. Das ist im Kino etwas ganz eigenartiges; denn man muss sich auf physische Distanz einlassen ehe man ihn seelisch verinnerlichen kann.

Fazit:

Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit sind manchmal nicht zu erfassen. Sie müssen eingerissen werden, damit ein gerader Weg sichtbar wird. Hier besteht er in einem (zarten) Märchen aus verspielter Träumerei und realer Faszination. Ein bleibendes Kinoerlebnis.

Dietmar Kesten 17.1.06 19:40