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Broken Flowers

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DOKUMENTE DER KONFLIKTE Dietmar Kesten 15.1.06 15:33

BROKEN FLOWERS

DOKUMENTE DER KONFLIKTE.

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, IM DEZEMBER 2005.

Affären sind wie Cartoons; kurzatmig. Manchmal halten sie einen Sommer lang, manchmal brechen sie wie das Blätterdach eines Baumes schnell in sich zusammen, und manchmal sie sind wie Nebel, nur ein Rauschen, ein Hauch und schnell wieder verschwunden. Affären sind wie Exkurse auf ungesichertem Terrain. Ihr Material besteht aus einer fließenden Veränderung, deren Regeln und Gesetze die Protagonisten selbst bestimmen. Aller Anfang ist dabei leicht. Das Ende schwer und betrüblich. Sie hinterlassen tiefe Risse in der Psyche, sind kaum heilbar, und das Herz, dass als verbindendes Element funktioniert, liegt zerschmettert am Boden.

Affären sind aber auch das Zerrbild der Norm der gesellschaftlichen Modernität. Ihre dynamische Anziehungskraft zieht sie aus biografischen Zufällen, aus der wirren
Vielfalt der über sie hereinbrechenden Gefühle und der Liebesgegenwart, der Euphorie, mit der man sich in einen neuen Gefühlsrausch stürzt, um dann schlussendlich feststellen zu müssen, dass Liebschaften kommen und gehen wie Ebbe und Flut. Gelegentlich ist man sogar Verfolger des eigenen Glücks. Man sehnt sie herbei, begibt sich auf Entdeckungsreise, und weiß doch nur, dass diese so zerbrechliche Wahrheit allenfalls in Spuren und Bildern zurückgelassen werden.

Wenn die Liebe stirbt, dann stirbt die Zeit ihres Erwachens. Gelegentlich wird sie neu entfacht. Das, was allgemein hin unter Affäre verstanden wird, kann sich in einem Strudel von wiederum neuen Ereignissen unendlich fortsetzen. Die Reise in die Liebesgegenwart und die Rückschau in die Liebesvergangenheit mag erst da beendet werden, wenn man betrüblich konstatieren muss: Liebe ist wie ein Massengrab. Irgendwann findet sich jede/r dort ein.

Jim JARMUSCH („Mystery Train“, 1988/1989, „Night on Earth“, 1991, „Ghost Dog“, 1999, „Ten Minutes Older - The Trumpet“, 2002, Coffee and Cigarettes”, 2004) ist zurück. Und mit ihm sind auch zurückgekehrt: Bill MURRAY, Jeffrey WRIGHT, Sharon STONE, Jessica LANGE, Tilda SWINTON, Frances CONROY und Julie DELPY. Es trifft sich ein außergewöhnliches Ensemble in einer außergewöhnlichen Story.

Don JOHNSTON (Bill MURRAY) ist der Typ eines ewigen Junggesellen, der laufend Affären hatte. Wieder einmal erwies sich seine letzte als großer Scherbenhaufen. Und er kämpft auch nur halbherzig darum, dass Sherry (Julie DELPY) es sich anders überlegt. Kaum ist die Frau aus dem Haus, da bekommt Don einen rosafarbenen Brief, der ihm die mögliche Ankunft seines 19-jährigen Sohnes vermittelt. Don weiß nichts von seiner Vaterschaft, kann sie weder negieren noch ausschließen. Mit seinem Nachbarn Winston (Jeffrey WRIGHT) macht er sich daran, das Rätsel dieses Briefes zu lösen. Einige Zeit später hält Don eine Liste mit Namen ehemaliger Liebschaften in der Hand, die alle als Absender des Briefes in Frage kommen könnten. Mit Flugtickets in der Hand macht sich Don auf den Weg in die Vergangenheit.

Bill MURRAY hat sich Hollywood nie untergeordnet. Er war immer ein nostalgischer Einzelgänger. Und seit „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (Regie: Harold RAMIS, 1992) hat er sozusagen einen eigenen Stil kreiert. Aus seinen Rollen ist die Melancholie nicht mehr fortzudenken. Sieht man sich „Broken Flowers“ an, dann erinnert der Film zunächst an „Lost in Translation“ (Regie: Sofia COPPOLA, 2003). MURRAY glänzte damals in der Rolle des Bob Harris mit tiefen Gefühlen.
Erneut setzt er sich hier bestens in Szene. Wenn er nur mit einem Trainingsanzug bekleidet auf Menschen und Situationen zutritt, merkt man förmlich, dass sein
Lebensentwurf gerade nicht diesem faden Publikum entspricht.

Don erlaubt einem die tiefsten Blicke in die Desillusion, in die Tiefgründigkeit. Er erinnert an das Unbehagen, das ihn ereilt, wenn er nach seiner eigenen Vergangenheit forscht. Die Suche nach dem eigenen Sein beginnt dort, wo die Zeit für ihn gewissermaßen angehalten wird, und wo er noch einmal mit tieftraurigem Blick in seine Seele schaut. Wenn sich Don auf den Weg macht, um seine Ex- Freundinnen aufzusuchen, dann werden die hier gestreuten Absurditäten von JARMUSCH zu einer Charakterstudie erster Güte. Wie tief muss man sehen?

„Broken Flowers“ hat all das, was die schmerzlichen Erfahrungen des alltäglichen Lebens berührt: Dramatik, Illusion, Desillusion, Schmerzen, Trauer, Abschied, Enttäuschung, Furcht, Traurigkeit, abgrundtiefer Seelenschmerz, Affären. Und vor allem ist der Film ein intimes Bekenntnis über vergangene Lieben, die den Ausgangs- und Endpunkt des Films bilden. Mit einem Schuss Ironie, dem famosen tiefgründigen Humor, ist „Broken Flowers“ so etwas wie eine bittersüße - sentimentale Ballade, ein Lied der Niederlage; denn einen Sieg gibt es hier nicht.

JARMUSCH erzählt eine bebilderte flüssige Geschichte mit dem Blick auf das Niemandsland Amerika abseits der Ghettos und Hollywoods. Er erzählt von der Zartheit des Unbehagens, von der Zeit in der Zeit, von nostalgischer Gegenwart, zurückliegender Vergangenheit und möglicher Zukunft. Wenn Don seinen Ehemaligen Blumensträuße an der Haustür überreicht, dann ist das mehr als nur Nostalgie. Es ist eine Zeit der Erwachens, die sich hier vor unser aller Augen abspielt, eine Zeit der zurückliegenden Erschöpfung der coolen Gegenwart und der neugierigen Zukunft.

JARMUSCH spürt das Wahre in einer falschen Welt auf. Das Hintergründigste und das Vordergründigste, das Unschuldigste und das Verführerischste. Sein Film kann auch als Allegorie auf die BUSH Jahre in Amerika interpretiert werden: die große Leere, die die Köpfe der Menschen ergriffen hat, die Angst verlassen zu werden, sich selbst zu verlassen, das Wissen um die Möglichkeiten des Ausbruchs und des Aufbruchs. Da ist er wie Wim WENDERS. Eine Art Seelenverwandtschaft kristallisiert sich hier heraus. Mit ihm verbinden sich auch die Hinweise auf verlorengegangene Werte, verpasste Chancen und falsche Hoffnungen.

Don und seine Affären: das ist ein Alptraum, geschüttelt durch Hoffnungslosigkeit ohne einen Neuanfang, dicht und intensiv erzählt. Will er überhaupt sein altes Leben abstreifen, will er anders sein, vielleicht anders werden? JARMUSCH balanciert diese Fragen gekonnt aus. Er weicht nicht aus, ist aber auch nicht überschwänglich begeistert, wenn er erahnen lässt, dass ein anderes (besseres?) Leben jedem winkt, der die Zeichen an der Wand richtig zu interpretieren vermag. Da scheint es schon egal zu sein, ob der Brief authentisch war.

Der angebliche Sohn, den Don zum Schluss des Films vor die Nase gesetzt wird, könnte doch nur ein Hinweis auf die wohlmeinenden Ratschläge von JARMUSCH sein: im Leben geht es manchmal nur darum, dass man wachgerüttelt wird. Für was und für wen auch immer. Vielleicht sogar, wie hier zart angedeutet, aus einer Affäre eine Liebe zu machen, die die Zeit überdauert.

So wird Don seine Wege gehen. Keine bequemen, das steht fest. Er ist auf der Suche. Und suchende Menschen soll man nicht aufhalten. So ist der offene Schluss auch symptomatisch für „Broken Flowers“. Wir leben mit Illusionen. Wenn wir jung sind, stellt uns das Leben alles bereit, um herrliche Geschenke über uns auszuschütten, sind wir alt, liegt milder Sonnenschein auf unserem Herzen.

Fazit: Der Film gehört zu den besten des Jahres. Er ist ein Geständnis über verpasste Gelegenheiten, ein Versuch, die Scherben zusammenzufegen, sie zusammenzusetzen und den Untergrund neu zu gestalten. Möglich ist ein erneutes Scheitern. Möglich ist auch ein Zusammenfinden auf einer ganz anderen Ebene. So bringt er von dieser Reise die Erfahrung mit, dass die Vergangenheit unwiederbringlich vorbei ist, dass die Zukunft noch nicht hier ist. Und nur die Gegenwart zählt. Fürwahr ein großer existentialistischer Abschluss der Geschichte.

Dietmar Kesten 15.1.06 15:33