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Chucky's Baby

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TÖDLICHER IRRTUM Dietmar Kesten 3.2.06 19:27

CHUCKYS BABY

TÖDLICHER IRRTUM

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN,IM JANUAR 2006.

Überraschungen sind in diesem Jahr im Kino selten geworden. Immer wartet man darauf, dass der Kinosaal voll wird, weil ein ultimativer Film das Publikum in seinen Bann ziehen soll. Doch die Angebote sind entweder überhebliche Anmaßung, dunkel, zerbrechlich, traurig oder tragen die Signatur einer dem schrecklichen Augenblick entronnene Melancholie. Das Kino müsste sich von selbst verändern, durch Arbeit an sich selbst, quasi durch die Nabelschau Sprengkraft entwickeln, um im Zugriff auf die Köpfe des Publikums lebenslanges und lebenslängliches Lernen zu implementieren. Doch leider obsiegt der Schub der Marktideologie, der Kulturproduktion, die Einschwörung auf die Logik der Warengesellschaft. Auch für die gesamte Filmindustrie hat die Weltreligion des totalen Geldes ungeahnte Ausmaße angenommen. Es ist sozusagen die alles bestimmende Haut geworden, unter der sich Verteilungskämpfe und die Konkurrenz um Profite abspielen. In erbarmungsloser Schärfe markiert das zur Zeit der Horrorfilm. Das Angebot mit Untoten, Monstern, Vampiren, Werwölfen, Rednecks, Aliens, Mutanten, Slasher, Mörderpuppen oder Geister der Vergangenheit ist schwer zu ertragen, weil hier unter dem Einsatz aller Kräfte der Markt abgegriffen wird, um dem Publikum im Vorbeigehen eine geschmacklose Orgie aus Gewalt und Blut zu vermitteln. Nach „Amityville Horror“ (Regie: Andrew DOUGLAS, 2005) treibt nun auch die Mörderpuppe 'Chucky' sein Unwesen. In „Seed of Chucky“ (Regie: Don MANCINI) reanimiert ein Spross von 'Chucky' seine Eltern, die beschließen, die Schauspielerin Jennifer TILLY künstlich zu befruchten. Auf dem Weg dorthin begehen die mörderischen Puppen abscheuliche Morde, bei denen Köpfe rollen und Eingeweide quellen. Dem Reich des Bösen und des Grauen ist jedoch damit erst der Anfang gesetzt. Es geht geschmacklos und grausam weiter. Mit „House of Wax“ (Regie: Jaume SERRA) startet der nächste Schocker. Es werden „Doom“ (Regie: Andrzej BARTKOWIAK), „Skeleton Key“ (Regie: Iain SOFTLEY), „Cursed“ (Regie: Wes CRAVEN), „Dark Water” (Regie: Walter SALLES) und „Bloodrayne” (Regie: Uwe BOLL) folgen.

Der Horror hat leider im Kino kein Verfallsdatum. Eine Katastrophe wird dort alsbald von der nächsten abgelöst. Das Unglück erscheint medial getragen. Und das Publikum erlebt dieses Grauen mit einem ohrenbetäubenden Pfeifen, Tosen und Heulen, das vermengt ist mit Schreien und anderen undefinierbaren Geräuschen. Die Ausweitung der Opferung, kein Halt machen beim Morden, das Gemetzel, die Massaker, das zelebrierte Szenario, kurzum: vernichten, ausradieren, auslöschen, austilgen und ausmerzen gehört zur kulturellen Zerstörung eines Cinema, das einst angetreten war, um die Menschen (emanzipatorisch) zu unterhalten. Herausgekommen ist ein Nährstoff für die Befriedigung der Kulturbedürfnisse der Masse.

Da ein Unglück selten allein kommt, lag es nahe, das Geschäftsinteresse auszudehnen. Und mit dem Horrorgenre, der Lust auf Vernichtung, wurde jener Produktionszweig geschaffen, der schrankenlos und schamlos sein Unwesen treiben konnte. Das Böse lauert eben überall. Und es spielt sich in den Köpfen ab. Der moderne Horrorfilm mag ein Krieg des Kinos gegen sich selbst sein. Und wenn man die Fülle der Horrorfilme betrachtet, die auf das Publikum ungebremst aufschlagen, wird schnell klar, dass die Lust auf Eliminierung sein Herzstück ist. Was ist das Mitreißende, warum werden im Kino Leute zu einem mordlüsternen Mob, warum gibt es eine Liga der Vernichtung, was erzeugt die Mordabsichten, warum entstehen Konflikte aus dem Nichts heraus, und warum wird selbst gegen vielfältigen Widerstand der/die Einzeltäter zum Schluss noch hofiert? Fragen über Fragen. Und doch gibt es nur eine Antwort: das halluzinierte Leiden wird in ein Recht auf Rache umgewandelt.

Immer will man verhindern, was man nicht will, aber tut. Daher tut man es. Das mag zwar irre sein, aber nur in diesem Irrsein gewinnt das Horrorspektakel fürs Publikum an Bedeutung. Es kehrt nicht nur das Archaische zurück, sondern auch das Industrielle bricht sich Bahn. Durch die Werkzeuge, die zur Tötung bereitgestellt werden, bekommen diese Mordinstrumente nahezu den Charakter eines globalen Infernos. Denn sie scheinen, fein geschmiedet, zu jeder Zeit, an jedem Ort einsetzbar zu sein. Und sie umfassen auch ein ganzes Arsenal an Waffen, ohne die der Serial-Killer nichts anfangen könnte. Seine Zerstörung ist eine Zerschlagung. Aber sie ist auch keine endgültige Auslöschung; denn sie setzt trotz aller Destruktivität auf ein Weiter. Der kulturelle Modernismus hat den Horror entwickelt und er hält ihn weiter in petto.

Die Opferung, falls man im Horror von einer solchen sprechen sollte, wird zum Vernichtungsprogramm wie im herkömmlichen Krieg. Der 'Feind' hat nicht nur zu opfern, er wird auch geopfert. Zum Töten ist jedes Mittel recht. Und die Opfer durchschauen das meistens erst dann, wenn es zu spät ist. Der Horror wird zu einer anonymen Macht, die zur Ausblendung aller Alternativen aus dem Bewusstsein führt. Man kann nicht weglaufen, einfach verschwinden, sich eine andere Bleibe suchen, oder Zeit gewinnen, um den Schlachtplänen zu entgehen. Man wird immer gemeuchelt, egal was man auch tut. So leben Jäger und Gejagte vom 'Gegenstand', von Situation zu Situation, können sich vom Geschehen nicht distanzieren, und wollen es auch nicht, weil der vorgegebene Rahmen es nicht zulässt.

Man muss beim Sehen des Horrors ein gewisses Maß an Körperverachtung mitbringen, an Augenlust und Fleischbeschau. Und schon sucht der Täter seine Bestätigung im Spiel mit der Befriedigung. Opfer hingegen müssen die Selektion ausfüllen, sich als wohlfeile Ware anbieten, damit die Horrorhandlung Mittel ohne Zweck bleibt. Und somit eigentlich sinnlos ist.

Fazit:

Mit der Gänsehaut geht man im Kino scheinbar selbstverständlich um. So selbstverständlich, dass das Publikum, das sich diesem Schrecken aussetzt, mehr und mehr Gefallen daran findet. Den Machern ist das egal. Dem Publikum sollten diese Filme auch egal sein; denn Horror ist auch ein Abbild der Krise des Kapitalismus. Sein Horrorkatalog, der weit über das filmische Debakel mit täglichen Massakern hinausgeht, ist die Zuspitzung der Warengesellschaft hin auf den Exitus. Filmisch ist demnach der Horror nichts anderes als die konsequente Verarbeitung dieser Inhalte

Dietmar Kesten 3.2.06 19:27