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Die Brautjungfer

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ZIRKUS - BLOßES THEATER. Dietmar Kesten 9.3.05 10:52

DIE BRAUTJUNGFER

ZIRKUS – BLOßES THEATER

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 9. MÄRZ 2005.

Man erwartet von Claude CHABROL beste Qualität. Das
Außergewöhnlich. CHABROL, der einst aus
grauweißen Winterlandschaften blühende Kornfelder
machten konnte, schilderte gern das Sehen am Ende des
Sehens.
Bei seinen Filmen hatte man stets das Gefühl, dass es ihm
um Erinnerungsbilder ging, die sich bleibend festsetzen sollen.
Seine gefühlvolle Art, sie in Szene zu setzen, verliehen dem
seelischen Schmerz Ausdruck.
Man erinnert sich gerne an „Die Blume des Bösen“ (2002),
jene Geschichte, mit der er sich Altersweise seinem
Lieblingsthema zuwandte, der jungen-unschuldigen Liebe
und der (verräterischen) Dekadenz der Bourgeoisie.
In „Farbe der Lüge“ (1998) baute er ebenfalls auf eine
Liebesgeschichte, die hintergründig ein Verwirrspiel um
Lüge und Wahrheit war, die aber auch die Kraft der Liebe
beschwört.
Auch in „Schritte ohne Spur“ (1959) ging es um die
verzehrende Liebe, die hier zu einer tödlichen Auseinandersetzung
wurde, als der Vater einer wohlhabenden Familie mit einer jungen
Geliebten aus dem Alltagstrott seiner (maroden) Ehe
ausbricht. Die bourgeoisen Rituale mit Gefühlsheuchelei,
Spiel um Macht, die Berechnung und die trügerische
Sonntagsidylle brachten auf kleinstem Raum Katastrophen
und Alpträume hervor.
Lang ist die Liste der Filme von CHABROL, die immer wieder
die Schwierigkeiten des Scheins beleuchteten.
CHABROL zeigte jene Bilder, die man sonst auf der Leinwand
niemals sah. Gerade deswegen waren sie
zum Teil filmische und sogar literarische Phantasie.

Der Altmeister bringt nun „Die Brautjungfer“ ins Kino.
Hier verliebt sich ein junger Mann auf der Hochzeit
seines Bruders in eine Brautjungfer.
Es scheint so, dass nun eine leidenschaftliche Affäre beginnt,
die abgründig zu enden droht, denn die Angebetete verlangt
als Liebesbeweis einen Mord.
CHABROL geht es neben einem gewissen familiären Konflikt,
um die Verstörung, um die Nachzeichnung der Konturen
einer alltäglichen Gewissheit, die er in eine Geschichte über
die Liebe einbaut.
CHABROL hat schöne Gedanken im Kopf. Gedanken über
Seele, Treue, Körper, Verrat, der Kunst der Erotik, des
zerfallenden Scheins.
Er greift jene alten Vorstellungen vom Schicksal wieder
auf, die den Kino-Kitsch ausmachen.
Man mag ihm das als Kino-Routeniere nachsehen. Und für
einen Moment mag man sich auch mit diesem
‚bodenlosen Tiefsinn’ beschäftigen wollen. Doch schaut man
näher hin, dann ist „Die Brautjungfer“ nichts anderes als ein
profaner Schicksalsfilm mit Rahmenhandlung.

Liebe auf den ersten Blick soll es sein, beidseitig, gleichzeitig.
Philippe ((Benoît MAGIMEL) liebt die Jungfer Senta
(Laura SMET).
Senta ist schön, verführerisch, voller Erotik, geheimnisvoll und
unnahbar.
Sie erzählt bizarre Geschichten aus ihrer Vergangenheit, wilde
Geschichten über ihre Zeit als Go-Go Tänzerin, Fotomodell
und Filmdiva.
Philippe findet nicht heraus, was Wahrheit und was Lüge ist.
Im wesentlichen ist ihm das auch egal. Hauptsache ist, sie
erwidert seine Liebe. Als es problematisch wird, fordert sie
einen Liebesbeweis von ihm: einen anderen Menschen zu töten.
Das soll letztlich die Zweisamkeit legitimieren.

Wie weit geht Liebe?
Wenn sie wie hier zu einem Abklatsch verklumpt, dann lebt man
nur eine Weile glücklich und zufrieden und findet irgendwann
mal den Tod.
Der Grundgedanke, der hier bei CHBAROL hervortritt, ist die
Anekdote. Eine Selbstzufriedenheit, eine Leseart, die wie die
Vorlage der Kriminalautorin Ruth RENDELL darauf
insistiert, aus vielen Texten einen Text mit vielen Variationen
zu machen.
So mag die Verstörung von Philippe noch zu Anfang
echte Empfindung sein, die sich schnell auf den Zuschauer
überträgt.
Mit zunehmender Dauer wird die Liebe, oder der Dialog über
die Liebe zum Bleigewicht der Reflexion über sie.
Der Glanz des Anfangs verblasst schnell. Er wird zum
Zirkus, zum bloßen Theater.
Mit dem aufgesetzten Spruch von Senta „Nein, ich werde dich
nie verlassen“, fällt der Film ins Kellerloch der Gefühle.
Nie wird klar, was nur Schwärmerei, was tiefe Gefühle sind,
was Liebe ist.
Senta ist mehr und mehr distanziert und Philippe schleppt
sich mit dieser Liebe hin zu seinem Lebensentwurf, Erfüllung in
einer Liebe zu suchen und zu finden.

Schade!
Chabrol ist die Sicht für die Liebe abhanden gekommen.
Er inszeniert nicht mehr mit Leidenschaft. Denn gerade sie
ist der Beginn der Liebe. Das Lachen bricht den Bann.
Die Liebe besiegt die Schwärmerei, die Hingezogenheit
zu einem Menschen wird zum Lustschrei, zu Lauten der
Erfüllung.
Wenn jedoch wie hier Senta sich distanziert, durch taube
und trübe Augen blickt, die Intensität der Liebe nur aus
der Ferne erfahren will, dann ist diese Liebesgeschichte nur
eine Geschichte über die Liebe von vielen, die nur
vordergründig ist.
Die Tiefe der Liebe gipfelt in der Phantasie der Liebenden.
Sie ist kein Standbild und nicht stocksteif wie diese
Inszenierung.
Leidenschaft kann man im übrigen auch nicht nacherzählen,
weil sie nur die Liebenden erfahren können.
Wenn man dennoch krampfhaft versucht, sie filmisch
adaptieren zu wollen, dann kommt dabei nichts anderes
als Teenager-Phantasie heraus.

„Die Brautjungfer“ erdolcht sich somit selbst. Sie gibt sich
den Todesstoß.
Kaum ein dramatischer Gehalt, der freigesetzt wird,
Alles erscheint konstruiert- so als ob man die Liebesinsel
schon längst gesehen hat.
Doch in Wirklichkeit verändert die Liebe den Liebenden
und den Geliebten. Gleichermaßen.
Hier funktioniert sie nur als Mechanismus. Perücken werden
sinnbildhaft übergestreift, Gesichtsmasken gelüftet.
Die Kostümbilder ersticken.
Und damit die Liebe, die sich als intrigante (Höchst-)Leistung
zeigt.
Dann ist der Zauber verschwunden. Das kahle Gehölz
bricht durch. Und die Scheinwelt ist wie eine Schlingpflanze,
die die Liebe nicht ans Tageslicht kommen lässt.

Fazit:

Liebe ist nur dann eine riskante Gratwanderung, wenn
sie unaufrichtig ist, kulissenhaft, wenn sie
die Gefühle auslöscht, den Liebenden den Atem nimmt.
Hier bekommt man einmal mehr den Eindruck, dass die
Sinnlichkeit, die Erotik und die Sexualität
nur ein Spiel ist. Selbst wenn aus dem Spiel mit den
Worten tödlicher Ernst wird, aus der „amour fou“ eine
„liaison dangereuse“, nimmt man CHABROL nicht ab,
dass es ihm um ein Paar geht, das sich innigst liebt.
„Morgen werde ich zu dieser Frau gehen, und versuchen,
ihr Herz zu gewinnen“ sagte COSTNER in
„Message in A Bottle“ (1999).
Tausendmal ehrlicher und aufrichtiger sind diese Worte,
vertaute Worte, die Liebende zu dem machen was sie
sein sollten: freundlich und gut.
Wahre Liebe ist der Sinn einer langen Reise. Sie geht
bis ans Ende der Welt, was Wim WENDERS so
eindringlich in „Ein Engel kommt nach Babylon“ (1991)
nachgezeichnet hat.
Versteht man das, hat man die Liebe verstanden
Die Wurzeln der Liebe liegen in der Zukunft. Lassen wir
die Vergangenheit ruhen. Sie ist erst der Anfang der
tausend Nächte- und eine dazu; denn die tausend
Nächte sind wie eine Nacht, und die eine Nacht ist
zugleich in den tausend anderen enthalten, weil sie das
Bild der Liebenden ist. Der Sinn der Liebe besteht
darin, dafür zu sorgen, dass diese eine Nacht niemals
endet.

Dietmar Kesten 9.3.05 10:52