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Die Tiefseetaucher

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ABENTEUER IM MEERESWASSER. Dietmar Kesten 19.3.05 12:42

DIE TIEFSEETAUCHER

ABENTEUER IM MEERESWASSER

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 19. MÄRZ 2005

Wes ANDERSON („Bottle Rocket“, 1994, „Durchgeknallt“, 1996
„Rushmore“, 1998, „Royal Teenebaums“, 2002), der sich in seinen
Filmen der aktuellen Denkrichtung des aktuellen Kinos versagt,
um ihm einen neuen ironischen Anstrich zu geben, sozusagen
einen filmischen Kostümwechsel herbeizuführen, hat sich nun
wieder die größtmögliche Freiheit genommen, um seine
Idee des eigenen Kinokosmos zu gestalten.
Er begibt sich in „Die Tiefseetaucher“ in jene Untiefen,
in denen sich das Lamento symbolisiert, zeitlose und
trockene Kommentare und jede Menge drolliges Getier.
ANDERSON lässt den Chef der „Tiefseetaucher“
Steve Zissou (Bill MURRAY), der eine Unterwasser-
Dokumentarfilmcrew anführt, und der seinen besten
Freund durch einen Hai-Angriff verloren hat, eine
Hai-Jagd veranstalten.
In dieser turbulenten filmischen Katastrophe sieht man
neben Zissou den Rest seiner „Familie“: seine Frau
Eleanor (Anjelica HOUSTON), Klaus Daimler
(Willem DAFOE) und Ned Plimpton (Owen WILSON)
jene urkomische Parodie spielen, die gleichsam
an „Moby Dick“ (Herman MELVILLE)
und an „Der alte Mann und das Meer“ (Ernest HEMINGWAY)
erinnert.

Die Jagd nach dem Hai wird zur tragikkomischen
melancholischen Suche nach sich selbst, sie wird zum
absurden Spektakel mit symbolischer Kraft, wo
Parallelwelten ebenso einen Platz haben, wie
konstruktive Arrangements.
Folgt man Zissou, der auch irgendwo an den
Tiefseeforscher Jacques COUSTEAU oder
Kapt’n Ahab erinnert, möchte man meinen, dass dieser
Film eine Parabel auf die Moderne schlechthin ist;
denn „alle meine Mittel sind vernünftig, nur mein Zweck
ist wahnsinnig“ („Moby Dick“), lässt diesen Film in eine
Reise mit Rätseln einmünden.
Die höchst einsamen Momente von Zissou, sind die des
wirklichen Lebens: der Weltschmerz, die Lebenskrisen,
die Gemütskrisen, die sich unaufhörlich mit der
schmerzlichen Vergangenheit reiben, und die
die festungsgleiche Behausung der gemarterten Seele
verloren aussehen lässt.

Der Kompass, der Zissou die Richtung weisen soll,
ist die ‚Belafonte’. Jenes Schiff, auf dem der Blick
gewagt wird: der ins Innere der Seelenverkäufer,
des Neids, des Voyeurismus.
Pikant, turbulent und amüsant vollzieht sich
der gut durchkomponierte schräg-süße,
tief-kindliche, inner-verflochtene Traum von der
Veränderung. Obwohl Zissou die Entschlossenheit
des Käpt’n Ahab fehlt, so ist es doch seine schmerzliche
Zerrissenheit, die sich über ihn legt, wenn er auf die
Reise und auf die Jagd geht.
Der Tiefseestreifen ist nicht ein einfacher Anachronismus,
eine Bewegungsillusion, fantastische Filmwelt, oder
surreales Ausdrucksmittel, sondern der Raum, der das
Meer frei gibt.
Der könnte das Innere der Menschen sein, das wie in
einem Puppenhaus oder einer Spielzeugstadt
Vergessenheit und Versessenheit suggeriert.
Diese Annäherung böte Suche und Findung zugleich;
denn die Vater-Sohn Beziehung, das eigentliche
Thema des Films, ist Abbild und Abstraktion.
Animierte Puppen, der mystische Jaguar-Hai, oder
die mit Leukoplast verzierte ‚Belafonte’, sind
durchaus Synonyme für den inneren Kampf um
Erlösung und Vergebung in einer traumatischen
Welt.

Wenn da nicht das Sammelsurium von schlichten
Nebensächlichkeiten wäre, von Motivabstürzen,
schmollenden Protagonisten, und das Fehlen des
großen Bogens der Geschichte, dann wäre
„Die Tiefseetaucher“ die magische Kugel für die
Wahrnehmung der Moderne durch das Kino.
Selbst die hier auftauchenden abrupten
Bewegungsabläufe, die Technik, die Einzelbilder
zum Leben erwecken zu wollen, käme dann den
unberechenbaren Cholerikern der heutigen Zeit
ein wenig näher, wenn da manchmal nicht das
sinnentstellende Leinwandtreiben wäre.
Der Episodenfilm nährt sich durch die Illusion
der Bildformate, die leider nicht die Spannung
halten können.

Fazit:

Das Projekt mit menschlichen Schwächen
lässt uns für einen Augenblick innehalten, um
dann gleichsam im übertragenen Sinne
festzuhalten:
„Was wollen die Menschen von uns, warum
sind sie so hart, wir sind doch nur ganz
gewöhnliche Schauspieler.“ (frei nach
Klaus Mann: „Mephisto“.)
Bill Murray als Melancholiker ist wieder einmal
überragend. Die Lebenskrise mit drolligen
Untertönen erinnert daran, dass auch wir
vom Ehrgeiz getrieben sind, der eigenen
Veränderung viel Raum zu lassen.
Die teilweise verfremdete Musik von
David Bowie passt hier bestens.

Dietmar Kesten 19.3.05 12:42