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Napola - Elite für den Führer

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GESCHICHTSENTSORGUNG. Dietmar Kesten 5.2.05 10:41

NAPOLA - ELITE FÜR DEN FÜHRER

GESCHICHTSENTSORGUNG

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 5. FEBRUAR 2005.

Im Laufe der Zeit ändert sich fast alles. Selbst die
Kinogesetze. Unter der Knute der amerikanischen
Verleihfirmen konnte fast jeder Schrott ins Kino
gelangen, was nach Geldträchtigkeit roch. Der Traum,
die Imagination und die Übertreibung waren und sind
für Hollywood der Standard.
In diesem Reich der Kinophantasie ist alles möglich.
Die Flucht, die Erinnerung, die Lüge, das Traumbild,
die Poesie, sogar die Ästhetik und die Phantasie.
Aus dem langsamen filmischen Taumel in den Untergang,
konnte Hollywood immer noch Familienportraits,
Biografien, Abgesänge und Totenträume bestens in
Szene setzen. Es gab immer ein Flug und ein Fall.
In jeder Szene des Films spürt man den ‚Reichtum’
des vergänglichen Augenblicks, den Blick durch die
Zeit von der Geburt ins Sterbelager. Bei der Suche
nach der eingängigen Formel für Hollywood, für
die große Theorie, unter die sich dieses ganze Kino
fassen ließe, stößt man unweigerlich auf die
unauslöschlichen Bilder, die sich wie Traumbilder beim
Erwachen als real einstellen wollen, man stößt auf
jene Bilder, die man erst nach dem zweiten oder dritten
Blick begreift. Und erst ganz allmählich, während
Landschaften, Städte, Gesichter vorüberziehen, ganz
allmählich, begreift man, dass der Traum ein Traum
im Traum ist. Wir folgen dem Rhythmus einer vergangenen,
einer verlorenen Zeit.
Denn Hollywood geht es nicht darum, dem Kino der
Manipulation und der Vernebelung des Bewusstseins
etwas anderes entgegenzusetzen, sondern darum,
den Lebens- und Ehejahren des Kinos auf eine ganz
eigentümliche Art die Kerze auszublasen.
Hollywood ist wie ein ewiger Schürzenjäger: das
genießerische Grinsen, die gehobenen Brauen, die Spiele
der Hand, das panische Auge- all das legt sich wie ein
Schatten auf das Kino. Bis unsere Augen leuchten.
Im Hollywoodkino werden Geschichten geschrieben,
nicht um etwas Großes zu erfahren, sondern um die
Gespenster des Alten, die Krisen und den Tod zu
stabilisieren.

Alle Lebensbereiche der Menschen scheinen von
Hollywood durchdrungen zu sein.
Alle Katastrophen sind verfilmt, alle Liebeszenarien
sind abgedreht, Krieg, Mord und Totschlag als
Dreiminuten-Clip haben sich in unserem Gedächtnis
eingeprägt. Die wohltemperierten Scharmützel
zwischen ‚Alt’ und ‚Jung’, die ‚kritischen’ und
‚subjektiven’, die ‚schützenswerten’ und die
‚unverbesserlichen’- sie alle erweisen sich durch die
schulterklopfende Bestätigung als gute Traditionalisten.
Die weltweite Vernetzung und Gleichschaltung,
worin sich Chefredakteure und Verlagsmanager ebenso
einfinden können, wie Filmkritiker oder Nichtfilmkritiker
Agenturen und Softwareanbieter, haben erfahren
müssen, dass ihr Engagement über die Jahre hinweg
ärmer geworden ist. Über was sollen sie noch schreiben,
über was berichten, und kämpfen sie nicht vergebens gegen
die audiovisuellen Marktführer an, die jetzt auch bereits
schon die Gesellschaftsgeschichte als IHR Kinofeld
betrachten?

Keine Frage: seit dem „Untergang“ von HIRSCHBIEGEL/
EICHINGER und den filmischen Notizen von
Traudl JUNGE, hat die Nazizeit im Kino und im Fernsehen
Hochkonjunktur. Ob Holocaust, Auschwitzbefreiung,
Debatten über Schuld, Sühne und Verantwortung: die
Erinnerung lebt. Überall wird das Material der Geschichte
unter Druck gesetzt, nirgendwo scheint es eine Lücke zu
lassen. Und alles, aber auch alles, wird von
Hollywood und den europäischen Ablegern in (s)einer
unnachahmlichen Art ausgeschlachtet.
Nirgendwo wird dem Zuschauer Zeit gelassen zum
Atemholen. Wenn nicht ausnahmslos gesprochen wird
wie im „Untergang“, dann muss man eingeblendete Texte
lesen oder Bilder verarbeiten. Die Regie will vielleicht einem
nostalgischen Genuss dieser Bilder entgegen wirken, aber
der Subjektwirbel läst einem keine Chance zum Nachdenken.
In dem Bemühen, die Methoden des Ikonenkinos zu entlarven,
infiziert sich der Film an ihnen. Immer wieder brechen die
gegenwärtigen Bilder auf. Und sie tauchen wie von selbst
zwischen historischen Dokumenten und dem Bildergefüge
ins Rampenlicht. Diese Obsession setzt sich auch
schließlich bei der Vermarktung von angeblichen
Geschichtsfilmen fort

Die nächsten Filme waren schon gedreht. Da startete schon
„Der Untergang“. „Napola - Elite für den Führer“,
„Speer“, „Er“, „Der Neunte Tag“ von SCHLÖNDORFF,
das „Goebelles-Experiment“ von HACHMEISTER, mitproduziert
vom ZDF, „Joseph Goebbels“ von Andrea MORGENTHALER,
Hitler - Aufstieg und Fall des Bösen“ (Regie: Christian DUGUAY)
usw.
Was noch nicht zu sehen war, wird zu sehen sein.
Eine merkwürdige Geschichtsklitterung bricht sich Bahn: das
Interesse gilt immer der Inszenierung der Täter als dem
Leiden der Opfer.
Die NS-Diktatur und die Täter, schön verpackt in einer
Soap-Opera, werden so abgebildet, wie sie die deutsche
Geschichte schon immer entsorgt hat: auf „unmerkliche Weise“,
wie Wem WENDERS schrieb. Diese Zeit „doch
irgendwie aus der Sicht der Täter zu sehen, zumindest mit
einem wohlwollenden Verständnis für sie“.
In diesen Fällen bleibt der Zuschauerhorizont einfach
stehen. Er überwindet nicht das eigentliche Bild. Er bleibt
gefangen und ist behangen mit Bildern. Nicht der Faschismus
ist dort das eigentliche Thema, sondern mehr die
Innenräume seiner Herrschaft, seiner Krankheit, seines
Terrors.
Nicht mehr von außen auf den Faschismus schauen, sondern
dem faschistischen Subjekt Betrachtung schenken. Und das
ohne moralisches Gewissen; denn darauf kann man
verzichten.
Versteht man die Diktatur besser, wenn man den
Hitlerschergen näher kommt? Erweist man sich als
moralische Größe, indem man die Individuen beschreibt
und im gleichen Atemzug den kommunistischen
Widerstand als auf der gleichen Stufe stehend betrachtet
und ihm das Etikett ‚terroristisch’ anhängt?

Was ist das für eine Zeit, wo die Erinnerung an den
Faschismus und den Holocaust als ‚Welle’ durch die
Kinos und das Fernsehen rast, wo man quasi
blutüberströmt im Fernseh- oder Kinosessel diese Zeit
abzusitzen hat.
Das Grauen des Nationalsozialismus wird jetzt in
„Napola - Elite für den Führer“ neu aufgerollt, als
individuelles Schicksal Einzelner. Worum geht es hier?
Das Jahr 1942 in Deutschland: Das Hitler-Regime ist
auf dem Höhepunkt seine politischen, staatlichen und
militärischen Macht. Der 17-jährige Friedrich Weimer
(Max RIEMELT) aus einem Berliner Arbeiterbezirk ist
ein begabter Boxer. Sein Talent öffnet ihm die Türen
zu einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, der
Napola Allenstein, in der die zukünftige Elite des
großdeutschen Reiches herangezogen werden soll.
Dort sieht er die Chancen seines Lebens. Er meldet sich
gegen den Willen seiner Eltern in der alten Ordensburg an.
Schon bald erfährt er nationalsozialistische Zucht und
Ordnung, Konkurrenzkampf und (unerwartete)
Kameradschaft.
Heinrich Vogler (Devid STRIESOW), Lehrer der
Erziehungsanstalt, ist beeindruckt von Friedrichs Stil
und fördert ihn.
Ein grausamer Einsatz gegen entflohene sowjetische
Kriegsgefangene und eine Freundschaft zu
Albrecht Stein (Tom SCHILLING), dem Sohn des Gauleiters
Heinrich Stein (Justus von DOHNANYI) stellen ihn vor eine
Wahl, die auch das Ende seiner Jugend bedeutet.

Dennis GANSEL („Das Phantom“, 2000, „Mädchen,
Mädchen“, 2001) will eine bewegende und spannende
Geschichte vorlegen, die von Menschlichkeit und Zivilcourage
handelt, und die „Kaderschmiede des Dritten Reiches“, durch
die damals viele junge Menschen gegangen sind,
intensiver beleuchten.
Auf den ersten Blick, ein brisantes Thema, das um eine
Jugendgeschichte herum aufgebaut ist. Auf den zweiten Blick
nichts anderes, als eine der vielen Storys über die Zeit in
der Weimarer Republik ohne die geschichtlichen
Hintergründe zu beleuchten. „Napola“ erzählt nur die
Perspektive eines jungen Menschen, der ebenso wenig
die Diktatur und die Mechanismen begreift wie viele Jugendliche
heute.
Vor dem Hintergrund des Grauens, der Barbarei, des Wahnsinns
des System und der offenen faschistischen Diktatur, ist dieser
Film gelinde gesagt ein Affront gegen jeden Widerstand, der
sich gegen den Naziterror richtete.
Schlimmer noch: die Nazi-Zeit wird wieder einmal nachlässig
behandelt. Hier dient der Nationalsozialismus wieder nur als
Kulisse, wenn es darum geht, die Vergangenheit zu ‚bewältigen’.
Nicht frei vom malerischen Eifer und von bebilderten
Erzählungen (mit einem kitschigen Suizid) wird uns ein
Internatsfilm erzählt, der nur halb erschütternd, halb genießerisch
und halb verräterisch daher kommt. Die Gräuel des
Nationalsozialismus interessieren mal wieder nicht.
Gerade der Sommer 1942 machten deutlich, dass
das Hitlersystem die ‚Endlösung’ fest im Blick hatte: es
starben pro Tag in Auschwitz, in Birkenau, in
Bergen-Belsen, Majdanek, Treblinka und anderswo
mehr als 3. 000 Menschen am Tag. Menschen, die
sich nicht wehren konnten, Menschen fremder
Nationalitäten, vor allem Juden, Ausgesonderte,
Roma, Sinti, Angehörige vieler anderer Menschengruppen.
Diesen Opfern gilt der Blick. Doch für einen solchen
Film ist das zuviel, für einen Film über die Nazi-Zeit
zu wenig.
Nichts scheint geblieben zu sein: nur saurer Kitsch,
Fiktionen über Fiktionen, ein Potpourri aus einer
nazistischen Bildungsanstalt und einer (nur) einfachen
Geschichte darüber, wie Verführung funktionieren kann.

Das Erziehungskonzept der Nazis münden in diesem
Film in das schicksalhafte Geschehen ein, dem sich
angeblich niemand entziehen konnte.
Wie falsch dieses Bild ist, wird deutlich, wenn man den
antifaschistische Widerstand mit viel Menschlichkeit
und mehr als Zivilcourage gerade unter jungen
Menschen in der Weimarer Republik hinterfragt.
Es waren nicht nur die Mitglieder der „Weißen Rose“,
die Geschwister SCHOLL und andere, die dem
Naziterror den Kampf ansagten, es waren auch die
vielen antifaschistischen Jugendgruppen der
Kommunisten, KJVD, die KJI, die sozialdemokratischen,
die sozialistischen Jugendverbände und andere.
Was Erziehung zum Widerstand war, machte diese
Bewegung alltäglich deutlich.
Doch hier begibt man sich auf ‚glaubhafte Schauplätze’,
die suggerieren sollen, dass die furchtbaren Dramen
der Erziehung zum Untermenschen sich hinter
solchen und ähnlichen Mauern abgespielt haben.
Wer das meint, der hat wenig von dem verstanden,
was der Staat täglich praktiziert hatte und schon wieder
praktiziert: eine Erziehung zu Kopfnickern und Jasagern.
Doch das alles ist hier nur ein Melodrama.

Man bildet sich ein, dass ein Stück Menschlichkeit
bereits in der Erkenntnis gipfelt, dass man
unverdrossen daran appelliert, die Stimme im
Inneren sprechen lässt. Der Versuch, dem
Orwellschen-Gedankenstaat mit stummen Nazis
beizukommen, gleichen der Sprache des Kinos:
es zerbricht das Spielzeug, statt mit ihm zu spielen.
Doch es bleibt die Erinnerung an den Holocaust
im Allgemeinen und an Auschwitz im Besonderen.
Es bleibt das „Tagebuch der Anne Frank“,
Alan RESNAIS’ „Nacht und Nebel“, Primo LEVI.
Es bleiben ELSER, von STAUFFENBERG,
Victor KLEMPERER. Es bleibt die Genauigkeit,
die Eloquenz und die Klarheit dieser Aussagen über
Mitmenschlichkeit, Erziehung zum Hass, Disziplin und
Gehorsam. Es bleibt der Widerstand dagegen.
Es bleibt die wirkliche Zivilcourage, die Kühnheit des
Geistes, die persönlichen Erfahrungen, die wie eine
Linse benutzt werden, es bleibt das tiefe mitmenschliche
Verhalten unter den entwürdigsten Bedingungen.

Es gibt keine bessere Lektion als zu begreifen, dass
das Warnsignal für jede Erziehung zu Unfreien aus unserer
Mitte kommt, aus der Mitte der Gesellschaft. Das ist der
Ort, wo es beginnt. Er zeigt an, wie tief der Mensch in
seiner Bereitschaft anderen Schmerzen zuzufügen,
sinken kann.
Das ‚Dritte Reich’ sollte Mahnung sein. Die Konsequenzen
daraus sollten sein, das politische Bewusstsein zu
schärfen, dass nicht vor Mauern halt machen darf, gegen
die wir stets anrannten.
Aber wie sich herausstellt, ist das filmische Problem nicht
das Erinnern an sich, sondern mangelnde Information
und fehlgeschlagene Erziehung.
Die Wirksamkeit eines moralischen Impfstoffes kann
durch diese Art Geschichte, wie sie uns gelehrt werden
soll, geschwächt und gar ins Gegenteil verlagert
werden.
Selbst die englischen Eliteschulen sind für den Geist
der Nazis empfänglich, was jüngst Prinz Harry, der sich
für eine Kostümparty als Nazi verkleidete, inklusive
der Armbinde und dem Hakenkreuz offenbarte.
Sollte man annehmen wollen, dass seine Erziehung
einen Deut besser sei, als die irgendeines anderen
Heranwachsenden?

Mit dieser ‚Verkitschung’ und dem allgemeinen Mangel
an historischer Bildung erzeugt man Unwissenheit, die
weit verbreitet ist. Das ist tragisch genug. Nicht allein
mit dem Blick auf die abgelaufene Vergangenheit, sondern
auch für die unmittelbare Gegenwart und die folgende
Zukunft.
Wir erleben erneut, wie radikal sich die gesellschaftlichen
Verhältnisse verändern, wie die Krähensolidarität
praktisch wirkt, und wie das alte Sprichwort „Jeder ist
sich selbst der Nächste“ buchstäblich alle Poren von uns
zu durchdringen scheint.
Scheinbar merken wir es nicht mehr, dass wir zu
„Einsiedlerkrebsen“ werden, wie der Sozialpsychologe
Alexander MITSCHERLICH es einmal ausdrückte.
Und wir erleben täglich, wie wir zu den schrecklichsten
Brutalitäten fähig sind, und das nicht nur seit MILGRAM
und seinen Experimenten.
Die Rolle der Erziehung wird einmal mehr daran
gemessen. Sollten wir wirklich für alle Zeiten immer
das gleiche denken, das gleiche machen, die alten
Lieder leiern? Wenn bereits in den Grundschulen den
Schülern die Entfaltung des freien Selbst aus der
Hand geschlagen wird, wird sich niemand wundern
dürfen, dass Entsolidarisierung und ausuferndes
Hass- und Aggressionspotential zum ständigen
Begleiter des Lebens wird.
Doch die Internatsgeschichte aus „Napola“ ist der
pädagogische Zeigefinger. Wieder einmal erscheint das
Menetekel an der Wand. Warum junge Menschen bis zum
letzten Atemzug für den Hitlerfaschismus starben, warum
sie sich zu Tausenden und Abertausenden für die
Hitlermaschinerie rekrutieren ließen, interessiert nur am
Rande, wenn überhaupt.
Und letztlich interessiert es den Film überhaupt nicht,
dass eine ganze Nation mit fliegenden Fahnen dem
Faschismus huldigte und ihm die Ehre erwies.
Sollte der Film zum Umdenken anregen, die Abgründe
einer Erziehung aufzeigen wollen? Was immer
unter „Napola“ zu verstehen wäre: das Kino darüber
ist kein Zeitzeuge.

Fazit:

Wieder einmal begegnet uns ein Film, der mit
der Nazizeit ein Geschäft wittert. Wieder einmal dient
die Nazi-Kulisse zur Aufbereitung vermeintlicher
wichtiger Abläufe und Ereignisse. Wieder einmal
soll das Kino an diesem Punkt Lebendigkeit
vermitteln. Und wieder einmal wurde ein deutsches
Puzzle am Schneidetisch zusammengefügt.
Jedes Teil hat hier kein Eigenleben. Wenn sich
doch endlich das Zerstreue zusammensetzen
würde, zu einer Geschichte über das ‚Dritte Reich’,
die in Bewegung gesetzt wird, dann würde etwas
Großes geschaffen.
Doch so werden nur Sargnägel und Holzteile
aus dieser heraussortiert und neu verteilt.

Dietmar Kesten 5.2.05 10:41