filmz.de
Closed

Tony Takitani

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
MANN OHNE EIGENSCHAFTEN Dietmar Kesten 17.1.06 20:03

TONY TAKITANI

MANN OHNE EIGENSCHAFTEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 23. NOVEMBER 2005.

In einer extrem technisierten Zeit gibt es keine Ordnung des Ganzen mehr. Die Wirklichkeit scheint zu verfallen. Man muss es begreifen, dass die Warenwiderspruchwirklichkeit Zentrum der Moderne geworden ist. Hier sieht sich das Subjekt mit der Ware - Geld -Ware Beziehung konfrontiert, dieser Totalität der gesellschaftlichen Beziehung(en). In dieser scheint es keine Versöhnung mehr zwischen dem Ego und der Welt zu geben.

Das muss der technische Zeichner Tony Takitani (Shinohara TAKAHUMI) feststellen, der dabei ist, seine sozialen Kontakte zu verlieren, sie auf ein Minimum reduziert und sich in die Einsamkeit flüchtet. Tony lebt in einem Kokon, in einer puppenähnlichen Behausung, ohne Liebe, ohne Familie. Seine Mutter, früh verstorben, hatte er nie
kennen gelernt. Zu seinem Vater, einem Jazzmusiker hat er keinen Kontakt mehr. Seine Wohnung ist das Ergebnis seines Denkens: spartanisch und karg eingerichtet, auf das Notwendigste beschränkt, spröde.

Schatten liegen auf seinem Leben. Leicht gerät er ins Fahrwasser der Langeweile. Tony scheint der einsamste Mensch auf der Welt zu sein, ein melancholischer Außenseiter, jemand, der neben sich steht, ein verschlossener Einzelgänger. Er ist quasi zur Gegenfigur der Welt geworden. Bis zu dem Tag, als er seine Frau, eine Arbeitskollegin kennenlernt, die schöne Konuma Eiko (Rie MIYAZAWA), die 15 Jahre jünger ist als er. Das Glück der beiden steht unter einem schlechten Stern.

Eiko ist ausgefüllt von innerer Leere. Ihre heimliche Obsession, ihre Sehnsucht und Leidenschaft besteht in der zwanghaften Manie, teure Kleidung kaufen zu müssen. Sie ist getrieben von dieser Sucht. Und sammelt förmlich Kleider an. Bis ein Zimmer nicht mehr ausreicht. Tony macht ihr deswegen Vorhaltungen, bittet sie um Mäßigung ihres Zwangs. Als sie ihn kurzfristig aufgibt, blüht das Leben der beiden für einen Moment auf. Sie kümmert sich rührend um den Haushalt und bereitet das Frühstück vor. Doch kurze Zeit später fällt sie wieder in ihre alte Sucht zurück. Bei einer Fahrt zu einer Shopping - Tour verunglückt sie tödlich mit dem Auto.

Tony steht nun vor der Frage, wie es mit ihm weitergehen soll, fällt in tiefste Depression und bricht seine Kontakte zur Außenwelt gänzlich ab. Die Trauer über den Tod seiner Frau versucht er dadurch zu kompensieren, dass er sich mit einer anderen Frau arrangiert, die ihre Rolle übernehmen soll. Jun ICHIKAWA (Regie) setzt für einen Augenblick auf die Verwirrung. Die ‚Doppelgängerin’ mit den Maßen seiner Frau steht aber in Wirklichkeit auf verlorenem Posten. Spätestens dort, als sie im Ankleideraum in Tränen ausbricht, nimmt Tony wahr, dass sie Konuma Eiko nicht ersetzen kann. Und dass sie nutzlos für sein Leben ist. Nach und nach entledigt er sich der Dinge, an die er Erinnerungen hat. Er verkauft die teuren Designer - Stücke, später die Plattensammlung seines Vaters. In der letzten Einstellung sieht man ihn lethargisch auf einem Stuhl sitzen. Was geblieben ist, ist die Einsamkeit, die Erinnerung.

Die Erinnerung ist die glaubhafteste menschliche Regung. Hier vereint sich alles, was im Laufe eines Lebens durch uns hindurchgeht. Hier, in der Vergegenwärtigung, in der Rückblende und Rückschau, in den Gedanken an das ehemals Vertraute, schälen sich noch einmal die Ereignisse und Personen heraus, die von Bedeutung waren. Über all dem legt sich der Schleier der Melancholie.

Das einem das Denken irgendwann auf den Kopf fallen wird, ist unumstößliche Gewissheit. „Tony Takitani“ ruft in Erinnerung, dass ein Windstoß ausreicht, um das Leben aus der Bahn zu werfen, um zurückzukehren auf die alten ausgetretenen Pfade der Einsamkeit, der Entfremdung. Das Leben in der Moderne ist nur ein Waffenstillstand, eine Gratwanderung, Verlorenheit, Verlust und Desillusionierung.

Vielleicht mag das an der ‚Fehlplanung’ des Gehirns liegen, sich immer nur für einen Augenblick an die wenigen Schneisen des Glücks zu erinnern, oder es zu genießen. Vielleicht aber auch daran, dass das Leben objektiv hart und eng geworden ist. Und dass es keinen Raum mehr lässt für die Dinge, die einem einmal wichtig waren, für ein authentisches Leben. „Tony Takitani“ ist nicht nur eine Erzählung, die beeindruckt, sondern eine exemplarische Reise in die Entrückung des Individuums der Warenmoderne.

Positiv ist zu bewerten, dass es ICHIKAWA vermeidet, Lösungen anzubieten, oder aus dem Fluss des Lebens, der Öde der täglichen Verrichtung, verwertbares für das praktische Leben herauszufiltern. Er lässt Tony einfach als vereinsamten Menschen zurück.

Fazit:

Die beiden zentralen Themen dieser bedrückenden Parabel sind: Verlust und Einsamkeit. Mit der Bildsprache und der dezent gesetzten Klaviermusik gelingt es Ichikawa, ein bleibendes filmisches Dokument zu schaffen.

Dietmar Kesten 17.1.06 20:03