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Wimbledon - Spiel, Satz und ... Liebe

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MIT DEM SCHWACHSINN AUF DU UND DU. Dietmar Kesten 2.4.05 15:21

WIMBLEDON

MIT DEM SCHWACHSINN AUF DU UND DU

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 2. APRIL 2005.

Nun hat auch der Sportfilm endgültig die Kinos erobert.
Nach Boxerfilmen, Filmen über Pferde- und Autorennen,
Golfergüssen und Epen über Radrennen, gibt es nun auch einen
Film über Tennis. Zu Anfang nimmt der Off-Sprecher in
„Wimbledon“ (Regie: Richard LONCRAINE, „Band of Brothers“, 2001,
“Mein Haus in Umbrien”, 2003) die nun kommenden Ereignisse
vorweg: „Tennis ist ein ganz einfacher Sport. Man muss nur den
Ball nur einmal mehr als der Gegner übers Netz schlagen.“
Tennis Profi Peter Colt (Paul BETTANY) ist 119. der Ranking-Liste.
Er tritt noch einmal über eine Wild Card in Wimbledon an, obwohl
er vor seinem Karriereende steht.
Zum ersten Mal ist auch der Star Lizzie Bradbury (Kirsten DUNST) am
Start, die mit dem Ziel dort angetreten ist, dieses bedeutende
Rasenturnier zu gewinnen.
Mehr aus Versehen landet Peter bereits am ersten Tag im Zimmer von
Lizzie. Und aus der Zufallsbekanntschaft entwickelt sich eine Liaison.
Peter, steht vor seinem größten Erfolg und Lizzie wird mit dem
Turnier mehr Schwierigkeiten haben als erwartet.
Mehr kann man zu einem Film, der nun gar nichts mit Tennis zu tun
hat, sagen. Oder doch?

Man erinnert sich gerne an die Zeiten mit Stephanie GRAF und
eben jenem jungen ungestümen Boris BECKER, der mit
jungfräulichen 17 Jahren als erster Deutscher 1985 das Rasenturnier
in Wimbledon gegen Kevin CURREN gewinnen konnte.
Die Leiden des jungen B. B. auf dem Tennisplatz waren Stimulation
für eine ganze Nation. Wenn er zu seiner berühmten Hechtrolle
ausholte, lag ihm jeder begeisterter Sportler zu Füßen.
Und es war nicht nur seine Spielweise, die uns gebannt vor den
Fernseher zog, sondern auch seine Wutausbrüche, die zu unseren
wurden, weil wir sie selber durchlitten und durchweinten.
Seine Klagen bei verschlagenen Netzattacken wirkten irgendwo
zwischen Routine und Rausch. Wenn er hustete, oder mit sich
selbst redete, dann kommentieren wir das ebenso. Und wenn er
die Faust ballte, schlug unser Herz höher. Und wenn er dann
noch jäh die Arme nach dem Matchball in den Himmel streckte,
dann war es vollbracht.
So virtuos, so kitschig und gleichzeitig schillernd, spielte nie wieder
jemand. Und ein ganzes Volk sah zu.
Die Emotionen, die Leidenschaften, die Triumphe, die unsäglichen
Niederlagen, die Einbrüche, die Schmerzen, der Lauf ins Freie
nach seinem Sieg bei der Australien Open gegen Ivan LENDL 1991,
das waren die Momente die den zu Boden gefallenen Becker,
der nun die Nr. 1 im Tenniszirkus war, zu einem Wiedergefundenen
werden ließen.

Wer sich vor diesem Hintergrund „Wimbledon“ anschaut, der
wird noch nicht einmal unterhalten. Um eine Liebesromanze
aufgebaut, ist dieser hanebüchener Tennis-Film genau das Gegenteil
von einer Tennis-Opera.
Dieser Film atmet noch nicht einmal den „Geist“ von Wimbledon,
jenem „Wohnzimmer“, in dem das Tragische ebenso seinen Platz
hatte wie der silbernen Regenbogen der Siege.
Der Mythos, der einst von einer ganzen Tennisgeneration
begründet wurde, stirbt hier an dem frommen Wunsch, ihm nacheifern
zu wollen, stirbt an den Manieren, die „Wimbledon“ versucht,
dem Tennis einzuhauchen, stirbt an seiner Unleidenschaft,
daran, dass die nervösen Backfische hier wie eine Fußnote über
den Platz huschen.
Der Film ist in jeder Szene die größte Verlegenheit, mit der
man eine äußere Handlung zum inneren Erlebnis machen will.
Er wird von endlosen Szenenfäden zusammengehalten, die vorgeben,
ein authentisches Tennis zu zeichnen.
Doch dabei ist er nur müde, noch nicht einmal verbittert, und
schon gar nicht weinerlich.
Er stirbt an seinem frommen Wunsch, ein Tennisfilm zu sein,
über den die Romantik wie eine Glocke gestülpt ist.
Hier in diesem Tennisfilm sind alle Sinne grau, eine erschreckliche
Exposition, Durchführung und Schluss.

Die Besten haben protestiert. John McENROE, Ivan LENDL,
Stefan EDBERG, Mats WILANDER, Stephanie GRAF,
Martina NAVATRILOVA, Michael STICH und viele andere.
Sie haben provoziert, sie haben gelacht und waren den Tränen
nahe. Sie schleiften ihren Körper mit, durchlebten alle
Exzesse, verwandelten und verpuppten sich in einem Kokon-
Trauer, Einsamkeit und Stille. Und sie befreiten sich aus der
Umklammerung, zeigten sich zerbrechlich und inszenierten
den freien Fall. Sie blieben scheinbar naiv und spontan.
Und die Siege kosteten sie wie ein Versprechen aus.
Doch der Druck, ein ganzes Jahr über auf Tour zu sein, war
wie eine Lektion vom Schauen. Man sah die nackte
Wahrheit, die verging, und die Momente des Niegeschauten
und des Niegedachten, erklommen bitter die Oberfläche.
Und die Zweifel kamen mit jedem Sieg. Sie übertrugen sich
auf die Zuschauer, die wie verlotterte Mitstreiter auf den
Bänken hockten, und die Schmach nicht mehr ertragen konnten,
wenn die jungen Helden gegen Nobodys ausschieden.

„Hinter der Grundlinie“ schrieb Boris BECKER in seiner
Biografie „Augenblick, verweile doch“, dachte ich immer über das
„Ende meines Tennislebens“ nach. Und wenn die Frustrationen
überhand nahmen griff er zu Tabletten oder zur Flasche.
Wie alle Helden, die auftauchten, so tauchte auch er wieder ab.
Alle die, die meinten, der kalten Dusche zu entkommen, mussten
am Ende erkennen, dass der Profisport doch nur eines ist: ein
langsames Sterben, der den Protagonisten zwar Reichtum
und ein sorgenfreies Leben garantiert, sie aber nicht vor der
wirklichen Realität schützen kann. Sie mussten erkennen, dass man
zwar süchtig nach Ruhm werden kann, dass man aber
auch schnell daran zerbricht. Wie eben jener B. B., der zum
tragischen Helden und zur komischen Figur wurde.
Die Leimener „lebende Legende“ erfuhr am eigenen Leib, dass
die stolzen Gewinner ihren Halt verlieren, wenn das Ende ihrer
Laufbahn naht.
Das „Turnier des Lebens“ spielt sich eben woanders ab.

„Wimbledon“ ist zusammengesetzt. Peinlichkeiten, Probeaufnahmen
vom Schlagen der Bälle, die Zuschauer erobern seltsam das
Gelände- so als ob sie gar nicht anwesend sind.
Instinktiv spürt man, dass dieser Film uns jeden Einblick in die
Psyche der Spieler verwehrt. Hier wird nur ein brauchbares Image
konstruiert, um fern der Heimat den eigenen Aufstieg oder Abstieg
zu zelebrieren.
Die gebrochenen Charaktere, die den ganzen Tag und die ganze
Nacht im Dunkeln hockten, schauen hier nur vorbei. Das kann nicht
funktionieren. Unbeholfen und mit gelegentlichen Kurskorrekturen
versetzt, endet dann der Film mit dem Finale.
Die Figuren spielen eben im Parkett, sie sind eine seltsame Mischung
aus Bube und Dame, mit denen man Brettspiele spielen sollte.

Fazit: Lieber alte Videos mit Steffi und Boris gucken.

Dietmar Kesten 2.4.05 15:21