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Brokeback Mountain

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Das Geheimnis von Brokeback Mountai Kamran 1.4.06 09:42

Brokeback Mountain ist ein Erlebnis. Ich war bis zu diesem Film daran gewöhnt, Kunst, Literatur ... wie Fastfood einfach rein zu ziehen. Keine Freude, Erfüllung oder gar Tiefe. Die Messlatte war richtig unten. Von manchen Reaktionen in meiner Umgebung bin ich aber sehr überrascht: „Schwule Cowboys! Das habe ich nicht nötig - Bedingt schwulenfreundlich! - Landschaftsaufnahmen gab es bessere“. Es soll lediglich zum Nachdenken anregen!

Die menschlichen Erfahrungen prägen uns ein Leben lang. Jene Erfahrung, die unaufgefordert eindringt, die Emotionen und den Verstand auf höchster Stufe aktiviert und dann zur Krönung einfach die Seele berührt. Blitzschnell, tief und schmerzhaft. Wir haben diese Art von Erfahrung fast vergessen, aber sie ist das Elementare. Langsam verstehe ich, dass manche in ihrer Rolle zubetoniert sind. Der Narzismus, die Eitelkeit und Selbstüberschätzung verhindert, dass Menschlichkeit eindringt. Die kleine Gruppe von den Freunden (einschließlich Schwulen) und Freundinnen, die den Film gesehen hat, ist aufgewühlt. Sie empfindet schmerzliche Betroffenheit. Der Film spielt sowohl mit der Homophobie als auch der Homophilie in uns. Alle vorgefertigten Vorstellung, Schubladen und Fassaden werden als reine Kopfarbeit entlarvt: die Kerzenlicht-Romantik, die Lippenbekenntnisse, ....

Brokeback Mountain stellt alles auf den Kopf. Die Menschen auf dem Lande haben (fast) keine Schubladen, aufgesetzte Brillen und keinen gesponnenen Status. Einfach, stur und herzlich. Die Geschichte setzt mit diesem richtigen Anfang Schritt für Schritt Energie in einem Netz von Zeit und Raum und Lebensmomenten frei. Einfach und direkt, so universell zugänglich. Es werden Elemente eines vorgegaukelten Mythos geschickt zusammengesetzt und parallel dekonstruiert. Saloons, Prostituierte, wortkarge Machos und John Wayne waren und sind nicht Amerika. Alle sind im Film einfach aber doch außergewöhnlich. Kunstvoll ohne Hektik werden diese Seiten in einander gemischt. Radikal wird diese wenn der Geburtsort, die amerikanische Provinz, die bis heute massive Vorurteile und tödliche Gewalt gegen jede Form von Abweichung zeigt. Die Situation in paar Großstädten kann nicht hinweg täuschen. Ist das fast überall nicht mehr oder weniger so?

Brokeback Mountain zielt nicht auf Toleranz. Toleranz (Duldung) kann leicht kippen (wie die offene und liberale Gesellschaft der Zwanziger und anschließender Nationalsozialismus). Es geht um die wahre Gleichstellung und innerliche Anerkennung. Das prägt ein Leben lang und über Generationen hinaus. Es ist seltsam! Ein taiwanesischer Regisseur, ein mexikanischer Kameramann und ein argentinischer Komponist haben einen der schönsten und herausragendsten Filme über Amerika geschaffen. Was für eine Verschwendung von Talenten ist es, Hollywood-Blockbuster zu drehen! Früher oder später wird dieser Stil zum Standard der zeitgenössischen Kunst. Ein Stück Zeitgeist.

Als Charles Chaplin „Lichter der Großstadt“ drehte, setze er einen neuen Maßstab für Drama und Filmmusik. Als Stanley Kubrick „Spartakus“ verfilmte, setze er einen neuen Maßstab für authentisches und perfektes Filmemachen. Ang Lee hat mit Brokeback Mountain (ungewollt) einen neuen Maßstab gesetzt: Film als menschliche Erfahrung. Verdammt! Dies war die Aufgabe der Kunst von Beginn an gewesen. Perfekt wird der Film weder mit vielen Effects noch mit einem Plädoyer für irgendwas. Alles in diesem Film wird aufgebaut für nur eine Sequenz: In ihrem letzten Treffen errinert sich Jack zurück, wenn Ennis ihn damals in Brokeback zu sich heran zog und für ein einziges Mal im dem ganzen Film so liebevoll und stumm umarmte und dann flüsterte "... Komm Cowboy! Du schläfst im Stehen wie ein Pferd ...". Dieser Augenblick ist die Bindung, die sein hungerndes Herz sogar für ein aussichtsloses Leben stillte. Er berührte seine Seele und unsere auch. Die Geschichte stürzt

wie Nebel auf einen unauffällig aber eindringlich und spürbar. In der Finale, eine der bedeutendsten visuellen Umsetzungen überhaupt, ist ein ganzes Schicksal wie ein Spiegel unsere selbst. Verpasste Freundschaften, auseinandergerissene Beziehungen und Momente des absoluten Glücks. Diese Vertrautheit ist aufwühlend und sticht ins Herz. Wir sind alle in Brokeback Mountain gewesen. Ein Ort, den wir nicht verstehen, aber uns zu Hause fühlen.

Kamran 1.4.06 09:42