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Caché

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Schatten der Vergangenheit
von Ansgar Thiele

Georges Laurent, Moderator einer TV-Literatursendung, seine in einem renommierten Verlag beschäftigte Frau, dazu der pubertierende Sohn Pierrot, der neben der Schule als Schwimmer reüssiert: eine Modellfamilie der Pariser Kulturbourgeoisie. Bis Bedrohung sich andeutet. Videos tauchen auf, die in statischer Totale Außenaufnahmen des familiären Heims zeigen, dann Zettel und Postkarten mit Kinderzeichnungen eines blutenden Gesichts.

Das Bedrohungsszenario erinnert zunächst etwas an Lynchs „Lost Highway“. Aber die Akzente liegen anders. Der mediale Aspekt wird komplexer ausgespielt. Es geht nicht nur um das unerklärte Eindringen in die Privatheit, sondern auch um die Kontrolle der eigenen Bilder – immerhin ist der Protagonist TV-Moderator.

Nach und nach scheint die Bedrohung sich zuzuspitzen. Wer nur könnte es auf die wohlanständige Kleinfamilie abgesehen haben? Und warum? Aus diesen Fragen bezieht der Film seine Spannung. Mindestens ebenso wichtig aber: die Beziehungsdynamik, die die Bedrohung katalysatorisch in Gang setzt. Egozentrik, Egoismus und Selbstgerechtigkeit brechen hervor. Das in allen Filmen Hanekes präsente Thema der Gewalt wird hier einer besonders subtilen Analyse unterzogen. Gewaltdarstellung erreicht in „Caché“ zwar nicht die Unmittelbarkeit, die sie zum Beispiel in „Funny Games“ besaß.

Dafür werden geradezu modellhaft die konstitutiven Verknüpfungen individueller und struktureller Gewalt vorgeführt. Die Ehepartner tragen ihre Spannungen vor der Kulisse der auf großem Bildschirm laufenden Krisenberichte der TV-Nachrichten aus. Als ein möglicher Kontext der anonymen Drohungen deuten sich die Diskriminierungen von Immigranten in Frankreich an. Ihre ungleichen Lebens- und Bildungschancen, ihre alltägliche Kriminalisierung werden aufgerufen, bis hin zu dem Massaker, das die Pariser Polizei 1961 an algerischen Demonstranten verübt hat. Hätte „Caché“ nicht schon letzten Frühling in Cannes Premiere gehabt, könnte man es für Hanekes Kommentar zu den Banlieue-Unruhen halten.

Anders als man aufgrund der medialen und politischen Zielrichtung hätte erwarten können, setzt Haneke visuell nicht auf dokumentarische Effekte. Die filmische Inszenierung, Kamerabewegung und Schnitt sind von äußerster Ökonomie und Eleganz. So sehr, dass in der Sequenz einer zentralen Aussprache der Ehepartner die – sonst als konventionell verpönte – Auflösung in Schuss-/ Gegenschusseinstellungen zum besonderen Stilmittel wird.

Diese stilistische Kontrolliertheit mag man als Kälte empfinden. Sie unterstreicht jedenfalls die Allgemeingültigkeit der Aussage. Das ausgezeichnete Spiel der Hauptdarsteller sorgt dafür, dass der Film dennoch nichts von seiner Intensität einbüßt.