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Das geheime Leben der Worte

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Traumatherapie
von Ansgar Thiele

Irgend etwas ‘stimmt nicht’ mit Hanna, der Hauptfigur von Isabel Coixets The secret life of words (Das geheime Leben der Worte). Sie trägt nicht den roten Hörschutz, den die anderen Arbeiter ihrer Fabrik tragen, in der Kantine sitzt sie an einem Einzeltisch und muss sich von ihrem Chef dazu verdonnern lassen, endlich auch einmal Urlaub zu nehmen. Kaum an ihrem Ferienort in Irland angekommen – das in den gleichen blassblauen Farben gefilmt ist wie die Fabrik –, übernimmt sie eine Aufgabe als Pflegerin eines auf einer Bohrinsel verunglückten, nicht transportfähigen Mannes. Wer ist Hanna? Die Exposition des Films liefert nur wenige Indizien für ein womöglich tragisches Geheimnis: Sie ist Immigrantin, hat ihr früheres Leben und ihre Heimat hinter sich lassen müssen, ihre Schwerhörigkeit und Kontaktscheu könnten in irgendeiner Weise mit ihrer Emigration zusammenzuhängen.

Eine fast kindlich wirkende Frauenstimme hatte die Anfangsbilder des Films, die den Unfall auf der Bohrinsel zeigen, mit poetischen Worten kommentiert. Die Anzeichen verdichten sich, dass es sich bei dieser Erzählerin um eine Art innere Stimme Hannas handeln könnte, eine abgespaltene zweite Identität, wie sie Traumatisierte ausbilden, die mit einer schrecklichen Erinnerung leben müssen.

Auf der nach dem Unfall stillgelegten Bohrinsel scheint Hanna an ihrem Platz: inmitten einer kleinen Gruppe von Menschen, die (wie es Dimitri, der Kapitän der Bohrinsel, später formulieren wird), in Ruhe gelassen werden wollen („who want to be left alone“). Ihr Patient ist Josef, der schwere Verbrennungen erlitten hat und vorübergehend erblindet ist. Als Hanna eine Nachricht auf seiner Mailbox abhört, beginnt man zu ahnen, dass auch er ein Geheimnis hat. Eine Frauenstimme sagt dort, sie lese schon wieder die „Briefe einer Portugiesischen Nonne“. Dieser französische Roman des 17. Jahrhunderts, in dem eine Nonne ihrem fernen, sich entziehenden Geliebten ihre Verzweiflung klagt, ist Chiffre einer, wie sich später herausstellen wird, verhängnisvollen Leidenschaft, an deren Folgen er nun zu tragen hat.

Spätestens von hier an entwickelt sich die Handlung des Films einigermaßen vorhersehbar: Denn natürlich wird zwischen den beiden psychisch und physisch Verletzten, der verschlossenen, abweisenden Hanna und dem seine Situation durch Anzüglichkeiten und Zynismus überspielenden Josef eine Liebe aufkeimen, die selbst ihre nach und nach enthüllten Traumata heilen mag. (Es wäre zu fragen, ob eine weniger symmetrische Figurenkonstellation, ein weniger gradliniger Plot psychologisch nicht angemessener gewesen wäre.)

Die Atmosphäre der Bohrinsel allerdings ist in einer Balance elegischer und skurril-humorvoller, herber und poetischer Stimmungen intensiv vermittelt. Die Inszenierung lotet sensibel gerade auch die dem Verhältnis von Pflegerin und Patient inhärente Peinlichkeit aus. Sarah Polley und (vielleicht mehr noch) Tim Robbins gelingt eine über weite Strecken beeindruckende Umsetzung der beiden extremen Rollen.

Die Handlung kulminiert in der Selbstoffenbarung Hannas und ihrer auch erotischen Annäherung an Josef (durch ihre im Gegenlicht des Krankenzimmers semitransparente Bluse angekündigt). Mit der Enthüllung von Hannas Schicksal wird der Film zudem zu einem politischen Plädoyer gegen kollektives Verdrängen. Die filmische Auflösung der Sequenz in sich zunehmend auf die Intimität der beiden Personen verengende Schuss-/ Gegenschusseinstellungen, die als wohlfeile Rezeptionsanleitung auch die Tränen des tief bewegten Zuhörers fokussieren, allerdings überzeugt weniger – ich fand’s nahezu obszön. Oder sollte es sich hier, statt um die Obszönität eines an Mainstream-Konventionen orientierten Kinos, um die auch thematisch angesagte Subversion seines (latent männlichen) Blicks handeln?