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Der ewige Gärtner

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DIE SCHLEICHENDE AHNUNG... Dietmar Kesten 14.1.06 13:15

DER EWIGE GÄRTNER

DIE SCHLEICHENDE AHNUNG, DASS ES ZU SPÄT IST

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 14. JANUAR 2006.

Manchmal schafft es die Leinwand, den Schleier zu enthüllen, der auf dem bunten Leben liegt. Und unvermittelt kehrt von einem auf den anderen Moment die Farbe zurück, ohne die sie stets kalt und blass bliebe. Aus unterkühlten Bebilderungen entstehen oftmals atemberaubende Arrangements, die wie orchestrale Sinfonien über uns hereinbrechen. Und auf einmal alle Leidenschaften mit beispiellosen Melodien versprühen. Wäre das Kino immer so wie im „Ewigen Gärtner“, dann wäre die tödliche Umarmung am Ende wie ein Frühlingstag, der von den ersten Sonnenstrahlen geweckt wird und seine immerwiederkehrende Wärme aussendet.

„Der ewige Gärtner“ (Regie: Fernando MEIRELLES) verlässt den Film, noch ehe man sich ihm wirklich zugewandt hat. Er tritt in eine Welt ein, in der die Intensität der Todesnähe bleibend spürbar scheint. Der Diplomat Sandy Woodrow (Danny HUSTON) bittet seinen Mitarbeiter Justin Quayle (Ralph FIENNES) darum, die Pflanzen im Büro zu vernachlässigen und ihm zuzuhören. Er berichtet über einen Autounfall in Kenia, bei dem vermutlich Justins Frau Tessa (Rachel WEISZ) ums Leben gekommen ist. Diese übermittelte Nachricht wirkt auf ihn wie ein Schock. Und das Antlitz des Mannes scheint sich für immer zu verändern. Der sanftmütige Diplomat beginnt zu recherchieren, irritierend, ungläubig und mit beklemmenden Verletzungen.

Der Tod seiner Frau, den das britische Diplomatencorps ziemlich schnell ad acta legt, ruft einen Verdacht in Justin hervor, der sich schon bald zu erhärten scheint: Tessa wurde umgebracht, weil ihre beruflichen Ambitionen und soziales Engagement den dort ansässigen Pharmakonzernen ein Dorn im Auge war. Justin deckt ein Komplott mit schockierenden Ausmaßen auf. Er ermittelt auf eigene Faust gegen Korruption und gekaufte Politiker und stößt bis an die äußerste Grenze der Feindseligkeit und des Verrats vor.

Der Film ist nur dem äußeren Schein nach ein Thriller; denn im wesentlichen geht es um das Sein von Justin. Justin ist dem Augenblick ein sterbender Mensch, als er beginnt, die beruflichen Ambitionen von Tessa zu hinterfragen. Er wird sich auf seine Weise von seiner Frau verabschieden, als er erkennt, wie tief ihn ihr Tod getroffen hat. Und er wird selbst zum Todgeweihten, der nun alle Tiefen seines Noch - menschlichen - Daseins durchschreiten wird.

Fernando MEIRELLES („Domesticas“, 2001, “City of God”, 2002, „City of Men“, 2003) färbt seinen Film dementsprechend ein: er ist in ein (seltsames) düsteres Licht getaucht, in ein schmutziges Grau, wie die afrikanischen Städte, die Hüttenbehausungen, oder der Himmel, der kaum einen Sonnenstrahl frei gibt. Diese Färbung spiegelt sich im Gesicht von Justin wider, der beginnt zu begreifen, dass man alle Stationen des Lebens durchschreiten muss, um die Feindseligkeiten, das Bösartige und die Gleichgültigkeiten herauszufiltern. Wenn er ein solches Denken anstellt, dann werden alle Schranken abgebaut, die noch existieren. Auch die Hoffnung auf bleibende Veränderungen.

Der Kreislauf des Daseins mündet für Justin in eine seltsame Ethik ein. Das Leben ist bedrohlich. Und „Der ewige Gärtner“ zeigt es allemal. Tessa, die ihm in Rückblenden erscheint, verirrt sich in seinem Denken wie ein Bote, der immer neue Nachrichten für ihn hat. Und sie trägt die hohe Moralität in sich, dass der Verlust eines Menschen befreiend wirken kann, auch dann, wenn das auf fragmentarische Weise geschieht.
Justin verabschiedet sich von Tessa auf seine Weise. Und er überführt sich als
Überlebender in die Welt einer Toten, die ihn bald verschlingen wird.

Justin durchschreitet diese Dekade mit Tessa. Er beginnt sich, mit ihr zu verschmelzen, beobachtet an ihr seinen eigenen (Lebens-)Kreislauf. Und als Gärtner in seinem Garten fixiert er: genau, penibel, bedeutsam, zerbrechlich, liebkosend, vor allem existenziell. Tessas Arbeit beginnt ihn mehr zu beherrschen als sein eigenes Leben. Wie weit geht Liebe? Ist sie stärker als der Tod? Und Justin spielt auf dieser Klaviatur als ‚denkender Geist’ von Tessa. Er presst sich selbst in ihre Form. Das erinnert stark an die Bilder aus „21 Gramm“ (Regie: Alejandro Gonzales INARRITU, 2003) und „Mystik River“ (Regie: Clint EASTWOOD, 2003). Der Geist von Tessa wird zum Gegenstand seines Denkens. Man möchte meinen, dass er ihr den letzten Sauerstoff entzieht, so intensiv ist sein Blick, der alle Emotionen frei setzt.

Ralph FIENNES („Schindlers Liste“, 1993, „Der englische Patient“, 1996, „Spider“, 2002) setzt das beispielhaft um, was einem Menschen manchmal nur noch bleibt: auf seine Art Abschied von der Geliebten zu nehmen. Er spielt Justin mit einer solchen Intensität, dass das Verletzsein aus jeder Pore seines Körpers herauszulesen ist. Als er erfährt, dass Tessa eine Affäre hatte, wirkt er wie entrückt. Bisweilen auch wie zerschmettert.

Justin weiß um seinen Weg. Je mehr er sich dem gebeutelten Kontinent zuwendet, der Teilnahmslosigkeit seiner unmittelbaren Umgebung an den schreienden Verhältnissen, wird klar, wie sehr wir (er) eingekreist sind (ist). Morgen werden sie kommen! Als ihm an einem Fenster lehnend Tessa in seinem Garten erscheint, bricht es aus ihm hervor: hier kehrt „Spider“ wieder. Aus einem geronnenen Foto tritt die Erinnerung heraus. Und er kehrt in die Umnachtung zurück.

Zum Ende des Films sehen wir seine eigene Beerdigung. An diesem Punkt wähnt man sich schon an einem anderen Ort. Und hört irgendwo der Trauerrede zu, die das Komplott enthüllt. Die Zeit spielt keine Rolle mehr. Und auch nicht mehr der Umstand seines Ablebens. Justin ist an den Ort des Todes seiner Frau zurückgekehrt, dorthin, wo nur noch die Liebe zählt. So entlässt „Der ewige Gärtner“ sein Publikum mit der Trauer, der Verzweifelung, der Einsamkeit und dem Verlust.

Fazit:

Den Film (nur) als Politthriller zu verstehen, wäre gänzlich falsch. Er ist wie eine Wanderung durch leere Westernstädte. Am Ende begegnen wir unserem eigenen Schatten, mit dem wir uns unglaublich langsam bewegen. Die glückliche Vergangenheit mündet ein in die trostlose Zukunft. Der Fluss der Zeit, hier fließt er vorbei. „Hätten die Menschen doch im Leben gesiegt, ehe sie im Tod den Sieg davon tragen.“ (Cicero)

Dietmar Kesten 14.1.06 13:15