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Elementarteilchen

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von Ansgar Thiele

Michel Houellebecqs Roman „Les particules élémentaires“ war Ende der 1990er Jahre auch in Deutschland ein Skandalerfolg. Seine satirische Abrechnung mit den ‘68ern und seine parapornographischen Passagen sorgten gerade in der Berliner Szene für Diskussionsstoff. Mit seiner Verfilmung ist der Roman nun gänzlich in Berlin angekommen.

Das Beste an Oskar Roehlers „Elementarteilchen“ sind die Gesichter der SchauspielerInnen: Martina Gedeck an erster Stelle, Franka Potente, Uwe Ochsenknecht ... Gesichter, denen man Geschichte und Gefühle abnimmt. Bis in die Nebenrollen ist der Film prominent besetzt. Dies vor allem sorgt dafür, dass man die Verlegung der Romanhandlung nach Berlin und Umgebung akzeptiert.

Schon weniger gut ist (filmästhetisch gesehen), dass man die Gesichter so oft in Nah- und Großaufnahmen zu sehen bekommt. Das soll wohl Empathie erzeugen. Denn Roehlers „Elementarteilchen“ sind als Melodram gedacht (wobei ich mich nicht erinnern kann, in den klassischen Melodramen z.B. eines Douglas Sirk so viele Großaufnahmen gesehen zu haben). Ein Melodram mit zwei nahezu gleichberechtigten, eher extrem angelegten Charakteren ist allerdings nicht ganz einfach. Die Verknüpfung der Geschichten des sexuell desinteressierten genialen Naturwissenschaftlers Michael (Christian Ulmen) und seines Halbbruders Bruno, eines mediokren, sexbesessenen Deutschlehrers (Moritz Bleibtreu), funktioniert zwar auf der Ebene der Montage ganz gut. Die Liebesbeziehungen zwischen Bruno und seiner Ferienbekanntschaft Christiane (Martina Gedeck), Michael und seiner Jugendliebe Annabelle (Franka Potente) haben intensive Momente. Dennoch bleibt das Identifikationspotential der Handlung begrenzt.

Die PR zum Film versucht Roehler als Alter ego Houellebecqs aufzubauen. Das mag für die früheren Filme des Regisseurs (wie „Suck my Dick“, „Der alte Affe Angst“, „Agnes und seine Brüder“) nicht ganz falsch sein. Für seine „Elementarteilchen“ stimmt es nicht wirklich. Von Houellebecqs bissiger Satire – ziemlich das Gegenteil eines Melodrams (Houellebecqs Kunst besteht in der Tat darin, zwischen beiden zu changieren) – bleiben, vom Anfang und der Szene im Ferienclub abgesehen, nur dürftige Reste. Der utopische Aspekt fehlt. Der tiefschwarze Nihilismus des Romans wird systematisch aufgehellt. Und sexmäßig ist der Film auch eher keusch als pornographisch: viele Brüste, aber nur ein Penis, die Szene im Swingerclub anscheinend nach einem Testscreening gründlich zusammengeschnitten (auch eine Art Zensur).

Schuld daran ist natürlich, so könnte man vermuten, Bernd Eichinger, der den Film nicht nur produziert, sondern offensichtlich auch intensiv am Drehbuch mitgeschrieben hat. Ausgerechnet mit den „Elementarteilchen“ kommt Roehler so im Mainstream an – statt endlich mit seiner Radikalität ernst zu machen. Allerdings dürfte es schon aus finanziellen Gründen schwierig sein, aus einem internationalen Bestseller einen subversiven Film zu machen. Skandale haben ihre eigenen, medialen Gesetze. Größere „Werktreue“ (sowieso eine zweifelhafte Kategorie) hätte sicher keinen Film hervorgebracht, der auch bei einem größeren Publikum funktioniert. Fragt sich nur, was für ein Interesse der Stoff der „Elementarteilchen“ hat, wenn man ihn um seine satirischen, pornographischen, nihilistischen und utopischen Inhalte, kurz: um seinen Skandal, kürzt. Ein Skandal ist etwas, das uns trifft und bewegt.