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Volver (Zurückkehren)

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Kein Zurück
von Ansgar Thiele

Almodóvar erklärt den Titel Volver wie folgt: der Film sei seine Rückkehr zur Komödie, zu einer Welt der Frauen, zu seiner Heimat, der Region La Mancha, zu den Schauspielerinnen Carmen Maura, Penélope Cruz, Lola Dueñas, Chus Lampreave, zum Thema der Mutterschaft und zu seiner eigenen Mutter. Und natürlich geht es in dem Film um die Rückkehr einer Toten, um Familiengeschichte und Erinnerung und um das Lied Volver von Carlos Gardel, das Raimunda, die ihr halbes Leben lang nicht gesungen hatte, in der Mitte des Films mitreißend interpretiert.

Aber kehren wir zurück zum Anfang. Die Kamera gleitet an den Grabsteinen eines Friedhofs vorbei und an den Frauen, die sie wienern. Ein ununterbrochener Wind weht, der die Bevölkerung der Mancha wahnsinnig (und womöglich abergläubisch) werden lässt und die Brandgefahr erhöht. Der kleine Ort in der Mancha, um den es geht, ist der Heimatort der Schwestern Raimunda und Sola. Sie besuchen, zusammen mit Raimundas Tochter Paula, ihre alte Tante Paula und deren Nachbarin Agustina. Dörfliche Traditionen und Rituale werden mit liebevoll-ironischem Blick geschildert (z.B. in einer späteren Szene eine – in Aufsicht gefilmte – Totenwache, mit den klackernden Fächern der schwarzgekleideten Frauen). Von der Mancha geht es bald darauf in Solas kleinem roten Auto zwischen den Windanlagen hindurch, die die Windmühlen des Don Quijote ersetzt haben, zurück in die Arbeiterviertel von Madrid. Hier wohnen die Schwestern inzwischen, schlagen sich mehr schlecht als recht durch als illegale Frisörin und Flughafenputzfrau. Familiäre Bindung und Tradition vs. sozialer Überlebenskampf und moderne Mediengesellschaft (das Trash-Fernsehen, in dem die Schwester Agustinas eine Talksendung moderiert), Migration und Modernisierung – der soziale Hintergrund der Handlung ist präzise entworfen, wirkt dichter als in den letzten Filmen Almodóvars.

Sozialer Realismus ist aber nur eine Seite. Denn immerhin geht es um die Rückkehr einer Toten. François Ozon hatte in seinem Sous le sable (Unter dem Sand) Szenen gefilmt, in denen ein verstorbener Mann ganz real am Leben seiner Frau teilzunehmen schien, ohne dass dadurch der Realismus und die Glaubwürdigkeit des Films gelitten hätte. Ähnliches gelingt Almodóvar. Die Tote wirkt sehr lebendig, alltäglich, körperlich. Ihre Körperlichkeit konkretisiert Almodóvar gerade über ihren Geruch (was natürlich an die Grenzen des Kinos führt). Trotzdem zweifelt man keinen Moment weder am Realismus des Films noch an der Realität der Geistererscheinung – und übernimmt damit gewissermaßen das abergläubische, traditionelle Weltbild der Dorfbewohner, für die der Umgang mit Tod und (zurückkehrenden) Toten zum Alltag gehört. Almodóvar spricht vom surrealen Naturalismus (naturalismo surreal) seines Films.

Gerade das Thema des Todes eignet sich für Gratwanderungen zwischen Komik und Ernst. Auch das gelingt hier vorzüglich. Bevor die Mutter ‘aus dem Reich der Toten’ wiederkehrt, gilt es eine Leiche zu beseitigen. Mit diesem klassischen Thema der Kriminalkomödie wird auch, von Anfang an, ein komödiantisch schnelles Tempo initiiert, das der Film bis zum Ende hält, ohne jedoch auf Szenen der Ruhe (wie die Aussprache zwischen Mutter und Tochter) zu verzichten. Das köstliche Schweinefleisch, das Raimunda einer Filmcrew in ihrem improvisierten Restaurantbetrieb anbietet, stammt dennoch nicht von dem teuren Verstorbenen. Und auch die Wahl der letzten Ruhestätte entspricht weniger kriminellen als emotionalen Motiven.

Ein Frauenfilm: Männer sind fast nur als Tote präsent und oft in eher schlechter Erinnerung. Frauen machen hier alles unter sich aus, erledigen souverän ‚Frauen-’ wie ‚Männerarbeit’ (letzteres allerdings doch etwas komisch inszeniert). Starke Frauen, die sich durchs Leben kämpfen. Vor allem Raimunda steht ziemlich unter Strom. Nur selten (etwa bei Autofahrten, gerne als Naheinstellung im Profil gefilmt) Ruhe. Für Emotionen bleibt nur zwischendurch kurz Zeit. Die Kamera (und damit der/die Zuschauer/in) allerdings inszeniert immer mal wieder männliche Blicke: den Blick des Vaters unter den Rock der jungen Paula, seinen Blick durch die halbgeöffnete Tür ihres Zimmers, als sie sich auszieht, den Blick auf Raimundas Décolleté...

Hervorragende Schauspielerinnen allesamt, allen voran Penélope Cruz, die eine sehr aktive, fast schon herbe Schönheit verkörpert. Ein Vorbild: die Frauen des italienischen Neorealismus (Viscontis Bellissima mit Anna Magnani läuft im Fernsehen, Penélope Cruz erinnert aber eher an Sophia Loren etwa in de Sicas La Ciociara).

Vorbilder wie Neorealismus und Komödienklassiker (Almodóvar erwähnt Michael Curtiz’ Mildred Pierce und Frank Capras Arsenic and old lace) legen es nahe: Volver dürfte Almodóvars bislang klassischster Film sein. Die Tendenz seiner letzten Filme setzt sich fort. Es mangelt nicht an Überraschungen, Genremischung ist selbstverständlich und auch die Farben sind knallig wie eh und je (inklusive der bekannten Vorliebe für rot – die allerdings auch schon mal ins Dekorative abgleiten kann). Aber Kitsch und Provokation sind gemildert. Warf La mala educación (La Mala Educación - Schlechte Erziehung) noch einen sehr stilisierten Blick auf Almodóvars wilde Movida-Jahre, so sind derartige Bezüge hier kaum mehr thematisch präsent. Dessen ungeachtet: ein fesselnder, kluger Film, nach dessen überraschenden und viel zu frühen Ende man gerne an den Anfang zurückkehren wollte.