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Hostel 2

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Zielgenau unmenschlich Franz Witsch 20.6.07 14:24

kommentiert von Franz Witsch
nachzulesen in: www.film-und-politik.de

Nach Eli Roths “Hostel” aus dem Jahre 2006 nun die Fortsetzung Hostel 2 vom selbigen Regisseur, ein Folter- und Schlachtfest, das buchstäblich die Sprache verschlägt, zumal das Auge von Kultregisseur Quentin Tarantino, als ausführender Produzent verantwortlich zeichnend, sich ebenfalls lustvoll im Blut suhlen mag. Sein Künstlerauge, versteht sich: Blut entströmt der durchschnittenen Kehle eines Mädchens, mit dem Kopf nach unten aufgehängt, direkt auf den Körper einer nackten Frau, die, darunter liegend, sich das Blut überall hinschmiert und sich dabei lustvoll räkelt. Blut als Gleitmittel einer Ganzkörpermassage. Wenn das nicht geil ist.

An Quentin und seine Filme wie “Jackie Brown”, “Pulp Fiction” bis hin zu “Kill Bill” haben wir uns gewöhnt, daran, dass Mädchen fürchterlich zuschlagen können (“Death Proof”, USA 2006). Man mag seine Filme für bedeutend halten mit ihrer ins Irreale stilisierten Brutalität. Schließlich haben auch auf Gewalt abonnierte Filmemacher so ihre Schamgrenzen, die es nach und nach zu erweitern gilt, indem sie das Grauen nach und nach entstilisieren, verpornisieren, den Reiz unmittelbar im Visier, auf unmittelbare Erregung bedacht, um dadurch Analyse zu verfehlen, diese die Stilisierung braucht, weil die (soziale) Welt über Konstruktionen begreifbar, es sei denn, man wähnt ein Eins-zu-Eins-Verhältnis zwischen Innen und Außen: zwischen Vorstellung und dem, was ihr lediglich Material.

Natürlich wird man sich auch an den Gewaltporno Hostel 2 gewöhnen, von dem Quentin ganz begeistert spricht. Er, eigentlich ein Meister der Stilisierung, sollte es besser wissen, was es bedeutet, Gewaltperversitäten zu normalisieren: weniger stilisiert an normale Realität heranzuführen, als könne das Unmittelbare Objekt menschlicher Verständigung sein, frei von problematischen Strukturen, in denen und durch die hindurch der andere einzubeziehen, die es daher wert sind, als solche betrachtet und analysiert zu werden, wie im übrigen die “Theorie des kommunikativen Handelns” von Jürgen Habermas vorsieht. Auf Verständigung muss Kunst als auch Sprache zielen, will sie sozialer Sachverhalt sein, der Analyse zugänglich, resp. den Anspruch erheben, über den bloßen Kunstgenuss hinaus Erkenntnishorizonte zu erweitern. Demgegenüber zielen Pornos, das Unmittelbare, direkt auf die Sinne des Betrachters. Sie sind auf maschinelle Reproduktion von Erregungsintensitäten gepolt, die immerzu gesteigert werden müssen, weil sie es ablehnen, innezuhalten, sich zurückzunehmen, sich sozial einbinden zu lassen. Mit der Folge ihrer Entsensibilisierung. Sie brauchen unentwegt die nächst höhere Dosis, wobei der andere maschinelles Beiwerk, Stichwortgeber.

Dies im Kern das abartig Perverse: der andere wird im Genuss immer weniger einbezogen, als sozialer Sachverhalt immer weniger wahrgenommen. Es regiert die reine Erwartungshaltung, die sich selbst am liebsten raushält, nichts macht, machen lässt, auf den großen Signifikanten wartet, den Allesdeuter, der alles richtet. So der Zuschauer und die von ihm geprägte Gesellschaft. Sie wird tendenziell zu dem, was lustfolternde Figuren in Vollendung sind: zielgenau unmenschlich. An diese Form von unmenschlicher Realität sind Pornos durchaus angeschlossen. Sie haben Reales im Sinn: Sie verlassen sich auf das Interesse, Erregungspotentiale unmittelbar auszuschöpfen, dabei die soziale Einbindung verkennend bis hin zur offenen Verachtung. Und sie scheuen sich nicht, zu diesem Zweck gesellschaftliche Realität, das, was in ihr noch menschlich, im wahrsten Sinne des Wortes zu zerlegen: auszuschlachten.

Ein widerlicher Film, der sich unabhängig geriert und dennoch, dem Engagement Quentins sei es gedankt, zum Popkornkino drängt. Man fragt sich aber langsam nur noch, was in den Köpfen solcher Typen vor sich gehen mag, die so einen Dreck produzieren. Natürlich im Gestus des professionellen Künstlers, sieht man es den Machwerken doch an, wie sie bemüht sind, menschlich Normales, Soziales, kunstvoll um verstörende Gewaltexzesse herum zu stricken. Das geht vorhersehbar schief.

Außer dass da Menschen agieren, Opfer und Täter, ist da gar nichts real. Menschliches wird nicht in einem sozialen Kontext problematisierend entwickelt, so dass dieser, das Normale, selbst als das erscheint, was er sein kann: angsteinflößend, was ja legitim wäre. Das Normale steht einfach nur belanglos neben dem Perversen, das auf diese Weise nicht zu einem – nachvollziehbar verstehbaren – sozialen Sachverhalt entwickelt werden kann und derart das Normale nicht als etwas Kritisierbares befärben kann. Das Normale wird vielmehr, dem analysierenden Interesse fern, zum Stichwortgeber reduziert: Opfer werden – so mir nichts, dir nichts – zu Tätern und umgekehrt. Mehr ist nicht intendiert. Vielleicht dass Frauen mittlerweile, so weit ist man immerhin, genauso gut sind wie Männer: Die schönste von allen kastriert ihren Peiniger und wirft den abgeschnittenen Penis gierigen Hunden zum Fraß vor, als sozialer Sachverhalt verstehbar: hat Stuart (Roger Bart), der Kastrierte, die Schöne doch zuvor auch gefoltert. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das war’s dann aber auch schon.

Wo im Film das Normale in den Blick gerät, fühlt der Zuschauer, wie bei Spielbergs “Der weißer Hai”, das Damoklesschwert des Grauen über ahnungslosen Filmfiguren, die, wenn’s hoch kommt, genervt agieren und reagieren. Mehr Kontext ist nicht. Würde auch nicht passen: die Existenz solcher Werke ad absurdum führen. Die sollen nur auf stets höherem Level fesseln, den Trüffelschweininstinkt bei Zuschauern entfalten, damit die funktionieren und in die Kinos strömen.

Um Unmenschliches sozial-kokett zu verhehlen, sagt uns Roger Bart, der einen zur tickenden Zeitbombe mutierenden Familienmenschen mimt, denn auch, dass es nachvollziehbare, sprich: verstehbare, Verknüpfungen zwischen Folterlust und menschlicher Normalität gäbe: “Da ist ein gewaltiges Potential von Wut in Stuart, aber ich dachte, er sollte ziemlich normal wirken. Ich glaube, einer der Punkte, die Eli verdeutlichen wollte, ist, dass das Böse in dem Menschen lauern kann, der im Restaurant auf dem Stuhl neben dir (...) sitzt.” Sein Kollege Richard Burgi ergänzt kongenial: “Ich hoffe, dass die Zuschauer aus dem Kino kommen und über ihre eigene düstere, unterdrückte Seite nachdenken – hoffentlich nach Wegen suchen, wie sie sich ändern können.”

Schließlich wollen wir den Regisseur selbst zu Wort kommen lassen: “Todd und Stuart denken nur darüber nach, den nächsten Level zu erreichen. Wie viele Menschen ist keiner von ihnen glücklich mit dem, was er bereits hat. Stuart ist mit seinem Leben unzufrieden. Todd kauft Dinge. Er hat all das Geld, was er braucht, aber er ist nicht glücklich. Jeder sucht nach dem nächsten Level der Erregung.” Auweia, so viel versammelte Einfalt tut weh. In einem Interview von ddp mimt Roth den Sozialkritiker und verhöhnt doch nur im Stich gelassene Menschen:

“Es gibt Gründe, warum Menschen so sind (...) Wir alle sind unter bestimmten Umständen dazu fähig, Derartiges einem anderen Menschen anzutun. Eine meiner Inspirationen für ’Hostel 2’ war der Hurrikan Katrina in New Orleans (...) Ich konnte es nicht glauben: Es dauerte fünf Tage, bis die US-Army eintraf. Die Leichen lagen auf den Straßen, keiner kam, um die Überlebenden zu retten. Die Polizei war einfach abgehauen und die Leute vergewaltigten, raubten, töteten. Das war der wilde Westen. Das war Chaos und Anarchie und ich lernte: Wenn die Lichter ausgehen, kann das in deinem Land mit deinen Leuten passieren.”

Auf die Frage, welche Filme er persönlich nicht aushalten könne, antwortete Roth im gleichen Interview: “Ich kann seelenlose Filme nicht ertragen, wo man vom ersten Moment an spürt, dass die Schauspieler nur für ihren Gagenscheck mitgemacht haben. Ich mag zum Beispiel Steven Soderbergh, aber bei ’Ocean's Twelve’ hatte ich das ungute Gefühl, dass ich als Zuschauer lediglich George Clooneys Villa finanzierte.” Mensch, der redet ja richtig locker daher mit einem Seitenhieb auf den ungleich größeren Clooney. Coolness mit Seele. Donnerwetter. Als wären ihm Menschen nicht egal. Als ginge es ihm nicht nur um Kohle, solche, die er dem Clooney neidet. Als wolle er nicht Mainstream werden, nicht selber mal über ein größeres Budget zum Abfilmen verfügen können, wo er dann den Quentin Tarantino nicht mehr nötig hätte, der sich als ein Großer vor diese Ködelkacke stellt, um nicht zu sagen: er stellt sich rein, um sie mit seinem Namen zu sponsern. Ihm selbst fällt ja nicht mehr viel ein, wie sein neuer Film “Death Proof” beweist: Frauen machen das, was sie angeblich am besten können, endlos vor sich hin quasseln; dürfen dann aber auch mal richtig zuschlagen. Das war’s dann auch schon.

In Hostel 2 liegen die von den Filmemachern unterstellten Verknüpfungen zur sozialen Realität nur auf der Hand, belanglos als Erklärungsbemühung neben dem, was zu verstehen durch noch so viel Mühe nicht gelingen kann. Persönliche Motive von Eli Roth helfen auch nicht auf die Sprünge. Sie liegen nicht weniger belanglos neben dem, was sein Träger produziert, noch da, wo er Sozialkritik intendiert. Als könne man sich dazu entschließen: seien wir doch auch mal sozialkritisch. Wir sind doch gar nicht so, wie man uns immer hinstellt. Etwas zu verstehen, sozial einzuordnen, ist denn auch nicht das eigentliche Ziel. Es geht darum, Perversionen um ihrer selbst willen zu zeigen. Die Legitimität ihrer Präsenz, der Sinn des Films, erschöpft sich allein darin, dass ihre reale Existenz mit guten Gründen nicht bestritten werden kann. Schließlich gibt es sie ja. Wiewohl ohne dass im Film das Perverse über seine bloße Tatsache hinaus zur sozialen Tatsache entwickelt worden wäre.

Es ist durchaus möglich, die soziale Normalität selbst – nicht das, was sie bevölkert: das perverse Artefakt – in ihrer perversen Existenz freizulegen, wie es der deutschen Produktion “Yella” (Regie: Christian Petzold) auf wesentlich unspektakuläre Weise gelingt. Nicht der perverse Gewaltexzess interessiert, vielmehr nur, als wenn das nicht schon reichen würde: die alles beherrschende soziale Realität gilt es zu analysieren: Perverses in dem zu finden, was wir jeden Tag tun: Yella (Nina Hoss) verliebt sich buchstäblich in die unmenschliche Realität von Philipp (Devid Striesow), eines kalt kalkulierenden Betriebswirtes in der Welt des Private Equity. Sie verliebt sich nachvollziehbar, der Realität nah, weil sie sich in eben dieser Welt schlafwandlerisch zu bewegen vermag. Dass sie zwischendurch immer wieder alles gefährdet: unbequeme Fragen stellt, Sehnsucht zu ihrem Papa hat, etwas eigensinnig sich nicht “zu verhalten” versteht, bisweilen die kalte Welt etwas zu wörtlich nimmt, ändert nichts: In was sonst kann man sich verlieben, wenn nicht in das, was man am besten kann? Zwischen dem, was es gibt: die herrschende soziale Realität, und der Fähigkeit zu lieben, passt buchstäblich kein Haar. Darauf gründet Leidenschaft. Darin hat sich intime Bedürftigkeit mit ihren Eigensinnigkeiten zu bewegen, die der Liebe und damit der herrschenden Realität immerzu in die Parade fährt, solange bis es kracht. Dennoch: dass Yella zusammen mit ihrer Liebe zugrunde geht, weil sie zuviel des Guten tut und will, wirkt dramaturgisch ein wenig deplaziert neben den stilisierten, messerscharf konstruierten Dialogen, die, weil stilisierend durchkonstruiert, dem realen Wahnsinn erst ein der Reflexion zugängliches soziales Gesicht geben und dabei den Zuschauer immerzu auf immergleichem Erregungslevel halten, um dadurch erst zur genauen Diagnose und Analyse sozialer Felder mit ihren komplementär einhergehenden Erregungspotentialen fähig zu sein. Genau das ist auch das Erfreuliche an der, zugegeben, etwas hausbackenen deutschen Produktion “Ferien” (Regie und Buch: Thomas Arslan): das Narrative im Film bleibt sich stets gleich, schert nicht zu sehr nach oben oder unten aus, als ginge es darum, das, was narrativ zu transportieren: die Substanz, den Subtext – das ist das, was nicht ins Auge springt – nie aus den Augen zu verlieren, auf dass der Geist des Betrachters unter Spannung – rege und produktiv – bleibe.

Es geht also keineswegs darum, Erregungspotentiale beim Zuschauer nicht zu bedienen. Es kommt vielmehr darauf an, wie und mit welchen Mitteln das geschieht – mit welchen sozialen Folgen für den einzelnen und seine Gesellschaft. In Hostel 2 geht’s nur um Perversitäten, um das Perverse als solches. Warum nicht mal darstellen, was es nachweislich in uns allen, zumindest in Spurenelementen, gibt? Das Böse. Das alles garniert mit dem übliche Getue, das sich als kompromisslose, radikale Haltung zu erkennen gibt: seien wir doch nicht so spießig. Lasset uns den Blick auf menschliche Wirklichkeit wagen, etwas wagen, was sonst keiner wagt. Man verfährt nach dem Motto: alles, was es gibt, ist irgendwie auch menschlich: wert, dass man es darstellt; man bezieht buchstäblich alles ein – begriffslos, ohne erkennbar soziales Interesse. Da war doch mal was, ein ganz und gar abartiger Kannibale, ganz normal aussehend, unauffällig, der über das Internet ein genauso abartiges Opfer fand, das sich gar freiwillig aufessen lassen wollte. Hostel 2 ist noch nicht ganz so weit. Dort wird Fleisch gegen den Willen des Opfers, das wie am Spieß schreit, aus seinem Oberschenkel herausgeschnitten und anschließend verspeist.

Und dann gibt es da noch die heillosesten Verstörungen als Verstörtheit in der Verstörung, dazu angetan, die perverse Handlung zu unterbrechen: plötzlich will der Perverse sein Opfer nicht weiter foltern, weil ein kleines Detail nicht stimmt. Ja, ja, die Filmemacher, sie kennen sich aus in der menschlichen Seele. Tatsächlich entzieht sich Hostel 2 jeglicher Beurteilung. Wie auch anders? Er und sein Vorgänger zeugen nur von einer ziemlich miesen und perversen Mentalität ihrer Produzenten. Wie der Folterknecht, der nur schweren Herzens foltert und mordet, foltern lässt, um die Welt zu retten, müssen sie nicht merken, wie widerlich sie sind, denn sie halten sich ganz offensichtlich für bedeutende Künstler.

Franz Witsch (Homepage) 20.6.07 14:24