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Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte

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In einer kleinen Stadt nienna 30.9.09 23:09

Haneke, erneut als Prosektor menschlicher Verrohung: ebenso taktvoll wie rücksichtslos entwickelt er seine "deutsche Kindergeschichte" rund um das protofaschistische Blut-und-Boden Idyll einer dörflichen Gemeinschaft kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges. Diese Verschränkung von nahendem Weltenbrand und ganz konkreter lebensfeindlicher Alltagsideologie (im Kostüm von "Sitte und Anstand") ist naheliegend und doch nur beiläufig arrangiert und damit umso wirkungsvoller: gefangen in einer atmosphärischen Stasis von Mißtrauen, vielgestaltiger Gewalt und Ausbeutung, haben die Figuren des Films - von Jung bis Alt, von Baron bis Schweinebauer - keinen Blick für eine Metaebene des Sozio-Politischen, sie kämpfen um ihr Überleben und um die fadenscheinige Illusion, mit den herrschenden Umständen ihr Auslangen finden zu können. Krankheit generiert Krankheit, die Eltern schlachten ihre Lust und Empfindsamkeit, so sie damit nicht ohnehin schon Leichenfledderei betreiben, die Kinder bleiben höflich und niederträchtig, suchen die Schwächsten und Vereinsamtesten, um in ihrer wütend-ohnmächtigen Not nicht vollends zu implodieren und so vergehen die Jahreszeiten - bis zum Krieg, bis zum Aufstieg des Führers. Die Planung und Organisation einer neu geordneten Gesellschaft überlassen sie allesamt denen, die ihnen Schuldige anbieten können und die Mittel, ein sattes Leben zu führen.
Dabei passt sich die Regie der verhaltenen Grundstimmung in der Dorfgemeinschaft an: es herrscht allzeit eine lähmend spürbare Ahnung von Bedrohung, von Fehlgeleitetheit, und doch wird das Übel selten sichtbar gemacht: Haneke nimmt von drastischen Bebilderungen der sublimen und aktiven Gewalt Abstand und damit wird sie omnipräsent, ihre Macht unentrinnbar.

Haneke erarbeitet sich bei all der unterschwelligen Todeslust der Handelnden mit Ruhe und Sorgfalt seinen Film, Bild für Bild, Szene für Szene. Und er stellt klar: Die Bedrohung liegt nicht in den rätselhaften Ereignissen, nicht einmal in ihren Auslösern und Ursprüngen sondern im krankhaften Ringen um eine Balance, die es angesichts einer im Wandel begriffenen Welt nicht mehr geben kann; nichts, was geschieht, vermag die Dorfbewohner in ihren Haltungen zu erschüttern - sie drehen auf ihrem hermetischen Spielplatz Runde um Runde, ohne zu erkennen, dass das internalisierte Regelwerk aus halbgarer Frömmigkeit und Standesdünkel den schwellenden Sumpf nährt, in dem sie mit verbissenen Mienen versinken - die Katze beisst sich in den Schwanz, die Scheune brennt und von der Hebamme hat man nichts mehr gehört....

nienna 30.9.09 23:09