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Kritiken

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Kurz und gut
von Ansgar Thiele

Ein Dokumentarfilm, der in stilisierter, grobkörniger Schwarzweißfotografie und mit überwältigendem Sound (aber ohne Text) dem aussterbenden Gewerbe der Steilwandfahrer ein Denkmal setzt, ein Animationsfilm über einen Mann, dessen neue Videofernbedienung statt seines Videorekorders die Realität um ihn herum steuert, ein Spielfilm, der über die fiktiven, ungelenken Videobotschaften einer englischen Mutter an ihren im Irak stationierten Sohn ihren Alltag, Mutterliebe und Einsamkeit so lebendig werden lässt, dass man sich am Ende kaum von ihr trennen möchte. Unterschiedlicher hätten die Preisträgerfilme der 9. Short Cuts Cologne kaum sein können: Motodrom von Jörg Wagner, Video3000 von Marc Schleiss und Do not erase von Asitha Ameresekere sind die drei Gewinner des Internationalen Wettbewerbs der Kölner Kurzfilmtage. Weitere Preise gingen an Gehenlassen von Nancy Mac Granaky-Quaye (aus der Sektion Studentenfilme NRW), einen ganz ruhigen, ästhetisch konzentrierten Spielfilm über zwei Eltern, die ihren kleinen Sohn verloren haben, und, aus der Sektion cologne shorts, an Paloma über eine „illegal“ in Deutschland lebende Chilenin.

Die Bandbreite und Qualität der prämierten Filme spiegelt das Festival gut wider. Aus über 2200 Einsendungen hatte das Team um Festivalkurator Dirk Werner – der ab Januar auch für das reguläre Programm des Filmhauskinos verantwortlich sein wird – die 59 Filme des Wettbewerbprogramms zusammengestellt. Dazu kamen weitere Sektionen wie das traditionsreiche Belgien Special, das nun bereits zum 9. Mal die Perlen aus der Jahresproduktion des Nachbarlandes vorstellte, ein weiterer Länderschwerpunkt, der diesmal den baltischen Staaten gewidmet war, die ebenso reiz- wie vor allem humorvollen erotic shorts, das Kinderprogramm shorts for kids sowie Filmprogramme mit Preisträgerfilmen der Kurzfilmbiennale Ludwigsburg, des Bitfilmfestivals und des brasilianischen Cachaça Cinema Clube.

Weit über hundert Filme, die im Filmhaus Kino Köln, im „Studio im Filmhaus“, einem kurzfristig improvisierten zweiten Saal im Untergeschoss, und im Filmclub 813 seit Mittwoch zu sehen waren. Obwohl oft Werke von Filmhochschüler/innen, Erst- oder Zweitfilme, waren die Filme zum großen Teil von sehr guter technischer Qualität. Vielfach minimale Budgets wurden durch Einfallsreichtum, Können und Engagement wettgemacht: Die düster-groteske Plastilinanimation La survivante (Die Überlebende) über eine alte Frau, die im Wald bei einer Müllhalde voller menschlicher Leichen lebt, hat die junge Belgierin Anne Leclercq (fast) ganz allein in Heimarbeit kreiert – „eine Art Zen-Übung“, meinte sie selbst dazu. Bei aller Kürze lassen sich viele der Filme erstaunlich viel Zeit: Dormir au chaud (Ein warmes Bett, von Pierre Duculot, ebenfalls aus dem Belgien-Special) erzählt in kargen, oft dunklen, von erdigen und blauen Tönen dominierten Bildern von der Begegnung zwischen einem anscheinend obdachlosen jungen Mädchen und einer einsamen alten Frau in einem kleinen belgischen Dorf. Nicht weniger ruhig (und schön) ist der litauische Dokumentarfilm Widow’s coast von Janina Lapinkskaite über Witwen in der offenen, immer wieder in statischen Weiteinstellungen eingefangenen Landschaft an der Ostseeküste. Überhaupt gehörten Dokumentarfilme zu den Highlights des Programms: etwa die Serie Gas Station des Belgiers Luc Vrydaghs, der den Mikrokosmos von Tankstellen in Arizona, Punjab und Australien zu subtilen Beobachtungen gesellschaftlicher Verhältnisse nutzt, oder der brasilianische Film Mini Cine Tupy von Sérgio Bloch über einen kinobegeisterten Müllsammler, der am Stadtrand von São Paulo in seiner Garage ein kleines Kino für die Kinder aus der Nachbarschaft zusammengebastelt hat.

Gerade die Länderschwerpunkte luden zu Entdeckungen ein: Die hierzulande nahezu unbekannte baltische Filmszene (könnte man nicht auch mal einen baltischen Langfilm in hiesige Kinos bringen?) war durch ganz eigene, skurrile, visuell ausgefeilte Kreationen vertreten, die vielleicht am ehesten eine gewisse Verwandtschaft mit skandinavischem Filmschaffen aufwiesen. Naaber (Neighbour) von Margit Keerdo über (auch farblich) grauen Alltag und vorsichtige Annäherungen in einem anonymen Wohnblock erinnerte an Anderssons Songs from the second floor, während sich Tanel Tooms 2.68 an Sportwerbung und – Piet Mondrian orientierte. Die Brasilien-Auswahl aus dem Cachaça Cinema Clube spannte einen weiten Bogen von einem gefälligen Capoira-Film über einen atmosphärischen, in ausgefeilten Schwarzweißbildern umgesetzten, chronologisch und gendermäßig vertrackten Reigen des Liebens und Begehrens (Cinco Naipes von Fabiano de Souza), über Distúrbio (Disorder) von Mauro d’Addio, der in nur viertägiger Drehzeit einen realen Mordfall aus der brasilianischen Unterschicht in eine farbkräftige Phantasie über Sehnsucht, Gewalt und Religiosität umgesetzt hat, und den sozialrealistischen Mina de Fé (Girl of faith) von Luciana Bezerra bis hin zu dem fast halbstündigen Experimentalfilm Demônios (Demons) von Christian Saghaard.

So viele Entdeckungen, Geschichten, Arten des Erzählens. Über 1500 Zuschauer/innen nahmen an dem Festival teil, beteiligten sich im gut gefüllten Filmhauskino an Diskussionen mit den Filmemachern und bewiesen mit der Vergabe der Publikumspreise an Do not erase und Gehenlassen Sinn auch für schwierige, ernste Themen. Nach den Querelen im Vorfeld, die u.a. zur Gründung des Kurzfilmfestivals Unlimited (9.-12.11.) geführt und die Durchführung von Short Cuts Cologne zeitweise gefährdet hatten, hat das Festival seine Vitalität und die des Kurzfilms überzeugend unter Beweis gestellt.