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Die Passion Christi

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FETISCH RELIGION

Zu den Hintergründen des Films
Antisemitismus im Neuen Testament
Kurzer Abriss zur Unerkennbarkeit des historischen Jesus
Das Kreuz mit dem Kreuz
Immer wenn der Hahn kräht...

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 19. MÄRZ 2004

Ob im Kino reichlich Tränen fließen, oder sie nur unterdrückt werden, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Nur eines ist klar: dafür tropft reichlich Blut von der Leinwand auf die Zuschauer. Blut, zwei Stunden lang, spritzendes Blut, versickerndes Blut, vertrocknetes Blut. Überall ist es! Haut in Fetzen gerissen, fast heruntergeschält. Blut in großen Lachen, die Widerhaken verursachen, die tief ins Fleisch eindringen, es dann herausreißen. Und Blut aus einem Körper, das wie Wasser fließt. Mel GIBSON will ein Geschehen zeigen, so wie es gewesen sein soll, mit allen Einzelheiten und Grausamkeiten. Angeblich will er nicht interpretieren, sondern nur mit der Kamera arbeiten.

Zwei Stunden lang wird der Zuschauer mit Blutaction konfrontiert, um die ihn jeder andere Regisseur beneiden könnte. Zwei Stunden widmet GIBSON sich in seinem Film einer Leidensgeschichte, die einem Horrorfilm entlehnt sein kann, oder ist, wenn etwa an die Exesse aus den letzten Monaten gedacht wird, die auf den Kinobesucher niederprasselten. Der Genuss an der Entfaltung dieser Geschehnisse ist nichts anderes als Ekel, der den Nervenschock perfekt machen soll. Um diesen Film ertragen zu können, in dem viele auch die größten Dummheiten für wahr halten werden, weil das Auge sie wahrnimmt, muss man nur auf ein einziges Organ verzichten: auf das Gehirn.

Man muss es gegen das mechanische Gehirn eines Apparates eintauschen, der so konstruiert ist, dass sein starres Auge unserem eigenen unaufhörliche Bewegung vorgaukelt, während im Kopf alles stillsteht. Je perfekter diese Apparatur funktioniert, je stärker dieses Magnet ist, mit dem es die Wahrnehmung fesselt, desto tiefer erscheint die Dunkelheit des Films, in die er alle Sinne taucht. Er ist ein unvollkommenes Exemplar des mechanischen Kinos, des Kinos der Umnachtung, aber hier vor allem der Mission.

In diesem Film sind alle Sinne grau. Dieser Film ist ein Feind. Er tötet, zieht die Haut ab- fast wie im „Schweigen der Lämmer“ (Regie: Jonathan DEMMES, 1991), und ist auf schreckliche Weise irrational. „The Passion of the Christ“ ist pure Lust am Töten, und er hinterlässt gleichsam seine Signatur, ein Zeichen: er folgt den Regeln der amerikanischen Kinodramaturgie, dem schematischen Ablauf von Exposition, Durchführung und Schluss, den raschen und glatten Typisierungen, dem hektischen, kaum durch Reflexion gebremsten Handlungsfluss. Dem schließen sich auch die Bilder an. GIBSON betreibt nur ein Bilderspektakel. Doch welche Bilder sind das?

Es sind die der Grausamkeiten und der Dunkelheit. Sie sind die praktische Verwandlung von Klischees, ein Abbild des Kino-Alltags, in der sich jede Szene erst durch Blut manifestiert muss. Und sie wird bereits von der nächsten nahezu massakriert. Jeder Shot vermehrt nur noch das Gemetzel. Es sind verstümmelte Schaumomente, eine audiovisuelle Schlacht, an deren Ende das Reste-Kino steht: Fetzen, Tricks, grobkörniges Acht-Millimeter-Material. Und dadurch wird die Moral gestärkt: wer glaubt, der wird gerettet, das ist die Botschaft!

Bereits in den siebziger Jahren war ein Kinogenre entstanden, das von Grausamkeiten handelte. Aus dem alten Horror der Riesenameisen, Spinnen, Vampire, deren gefräßiges Vernichtungswerk diskret aus dem Bilderrahmen verbannt blieb, wurde der neue Horror, der mordlüstige Horror zum Stil erchoren.

Wer sich nie die Mühe machte, Filme der Freddy Krueger Serie, oder eines anderen Werkes der Zombie-Industrie zu analysieren, weiß nicht, wovon hier die Rede ist. Es war „Der Exorzist“ (Regie: William FRIEDKIN, 1973), der Angst und Schrecken verbreitete, der mit klotzigen Instrumenten der Folterindustrie seine esoterischen Botschaften der gräulichen Prophezeiungen weit übers Land hinaus als Meilenstein der Filmgeschichte verkaufen wollte, und der diesen Alptraum mit der Grundfarbe Rot ins Kino setzte. Das ästhetische Gesetz seit dieser Zeit, scheint zu sein, das alles das, was spritzt und schleimt, was fließt und splittert, was teilbar und abgetrennt ist, erst die eigentliche Blutsymphonie ausmacht und fortschrittliches Kino darstellt. Der Zuschauer wurde zusehendst mit einer Art Stimmungskeule konfrontiert, an die die Macher der kommenden beiden Jahrzehnte gnadenlos anknüpften.

Sie sind kaum noch zu ertragen, die Splatter Filme, in denen der Gedärme-, Blut- und Ekelrausch schon fast verherrlicht wird. Und wenn nicht jeder normale Action Film Leichen in Massen präsentiert, hat es die Verleihfirma schwer, den Film überhaupt in den Kinos zu präsentieren. Das Kino der Tüftler hat das Kino der Vernunft ersetzt. In diesen Filmen sind die Hauptfiguren gleichzeitig Marionetten des Spiels, das der Mörder über ihre Köpfe hinweg mit dem Zuschauer spielt. Ihnen allein, den Betrachtern, gilt der Terror. Nicht von ungefähr wird im April „Die purpurnen Flüsse 2 - Die Engel der Apokalypse“ (Regie: Olivier DAHAN, Frankreich 2002) anlaufen. Die dortige Apokalypse wird nur die widerwärtige Wiederholung der diabolischen Farce von „The Passion of the Christ“ sein. Es gibt keine unsichtbare Grenze mehr im Kino. Das Kino der aufgeschlitzten Weichteile ähnelt dem Movie Massaker wenn sich zwecks Kreuzigung Nägel in Hände bohren. Hier kommt die Ahnung hoch, dass dieser Fluss des Geschehens den mechanischen Abläufen der Gewalt folgt.

Der Film ist Ausdruck einer Ausdruckslosigkeit, der Signalton für absolute Gleichgültigkeit einer einzufordernde Moralität. Nicht nur im Kino, sondern als Wertmassstab im mitmenschlichen Umgang. Denn wenn immer öfter Jugendliche ausrasten, ihre Mitschüler erpressen, ihnen Gewalt antun, sie Drangsalisieren und Tyrannisieren, oder sonst wie schwer demütigen, dann ist der Totentanz, der einst im homerischen Hades verbannt, jetzt auf die Erde zurückgekehrt.

Als der Film „Natural Born Killers“ (Regie: Oliver STONE, 1994) in die Kinos kam, ging ein Aufschrei durch die Presse, weil STONE es wagte, aus den Comicmännchen im Achtklässler-Outfit die ‚serial Killer’ Mickey und Mallory zu machen, die auch zu Killern in den Medien wurden, weil Killer und ihre Opfer immer Medienpräsent sind. Und sei es nur aus dem Grunde der Bekehrung. Ein hochmoralisches Thema, das STONE anschnitt, verkam leider wie ein Bluthund, der alle Wunden aufspürte. Jetzt hat die Blutgewalt das Kino erneut eingeholt, die ein Jahr zuvor in „Romper Stomper“ (Regie: Geoffrey WRIGHT, 1993) in der endlosen Mechanik der Gewaltspirale einmündete.

Die amerikanische Seele krankt, ausgebombt durch Kriege, die tiefe Wunden durch den Terror der radikalen Islamisten und globalisierender Weltherrschaft gerissen haben. Soll jetzt wenigstens ein Stück Moral gerettet werden? Kein Wunder: der Christus Film wirkt bei denen, die sich noch ein Stück des alten und guten Amerika bewahren wollen wie ein Pfahl im Fleisch. Denn “The Passion of the Christ“ ist auch ein Film über die Gewalt von Männern, ihrer sadistischen Triebe, Wollust und Folter, Hinrichtung. Eine Gewalttat schlechthin. Der Männlichkeitswahl einer Männergesellschaft!

Mit Genuss bereitet GIBSON seine Schockelemente aus. Ein Rabe hackt einem mitgekreuzigten Verbrecher ein Auge aus, taucht in die sabbernde blutige Höhle ein. Die lange Tradition der filmischen Gewaltdarstellungen setzt sich ungeschminkt fort. Und ewig bluten die Bilder. Das ist die Qual von Mel GIBSON, aber insgesamt auch der amerikanischen Filmindustrie, die ihre Frohnaturen und Dickerchen durch den versteinerten Dschungel der Gewalt schickt, der Horrorvisionen, der Vernichtungsschlachten und der Blutmassaker. Und sie ersetzt Stück für Stück das heile Kino. Was am Ende bleibt, sind wehrlose Opfer ohne Kampf, Unschuldige, die fürs Gemetzel auf der Leinwand auch noch bezahlen müssen.

Fazit: Jeder Täter hinterlässt seine Handschrift. In „Sieben“ wählte er seine Opfer nach dem Katalog der sieben Todsünden aus. In „The Passion of the Christ“ wählt er das tiefste Mittelalter in der modernen Welt. 2 Stunden Blutorgie- eine Obsession, die keine Gnade kennt. Der Film reiht sich ein in der unerträglichen und zermürbenden Geist der Splatter Movies der letzten Jahre.

„Der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt stolpern zu machen als begangen zu werden.“ (Franz KAFKA)

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