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Last Samurai

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Last Samurai Dietmar Kesten 10.1.04 12:04
Last Samurai/ Kommentar Markus H. 2.2.04 01:12
Last Samurai/ Kommentar Dietmar Kesten 3.2.04 16:47

THE LAST SAMURAI

DER HELD AUS DER RETORTE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 10. JANUAR 2004.

Wir schreiben das Jahr 1876: Nathan Algren (Tom CRUISE),
Veteran des US-Bürgerkriegs, bekommt das Angebot, die
neue Armee des japanischen Kaisers (Shichinosuke NAKAMURA)
für den Kampf gegen die Samurai auszubilden.
Algren, der das Angebot zunächst ablehnt, seine Erinnerungen im
Alkohol ertränkt, weil er ein Massaker an Indianern mitzuverantworten
hatte, nimmt es aber kurze Zeit später wegen des verlockenden
Honorars an.
Gleich beim ersten Gefecht mit den einstigen Gefolgsleuten der
japanischen Herrscher wird er vom Samurai Katsumoto (Ken WATANABE)
gefangen genommen. Katsumoto nimmt Algren mit in sein Dorf.
Während er sich von seinen Blessuren erholt, lernt er den Feind zu
schätzen und ihn zu begreifen: seinen Ehrenkodex, seine Würde und die
vom Untergang bedrohte Kultur.
Als der Konflikt zwischen dem pro-westlich orientierten Kaiser und den
traditionellen Kriegern auf die Klimax zusteuert, muss er sich
entscheiden, auf welcher Seite er eigentlich steht.

„The Last Samurai“ ist ein Film, der viele Fragen problematisiert. Eine
jedoch intensiver als andere: benötigt man Helden und sind Helden
notwendig?
Die Antwort des Films ist nicht zwiespältig. Er beantwortet diese
Fragen mit einem eindeutigen: ja!
Das aktuelle Kino hat sich in zig Filmen, vor allem in Kriegsepen und
Antikriegsdramen dieser Frage genähert. Es würde den Rahmen
sprengen, sie alle aufzuzählen.
Die Möglichkeiten des Kinos sich diesen Fragen zu nähern, besteht
darin, die Beschränkungen der Photographie zu überwinden.
Weil seine Fiktionen realer als die Dokumente der Photographie
sind, kann das Kino die rührenden Geschehnisse um Helden besser
und fortlaufender darstellen als die Photographie.
Wohl deshalb transportiert es eine fiktive Realität, vor der wir
nicht geschützt sind.

Helden klammern sich im Film an der eigentlichen Realität,
der überhöht das Leben dieser Figuren versucht darzustellen:
das Authentische, das Natürliche, das Echte, das Spontane.
Die Helden in Filmen leben in einer Welt, in der die Phantasie
realistischer ist als die Realität, und sie laufen Gefahr, das
beständig vor dem Filmpublikum zeigen zu müssen.
Und sie befähigen sich selbst dazu ihr Heldentum so lebendig,
so überzeugend zu gestalten, dass man annehmen könnte: sie
seien ‚realistisch’.

Das Kino, das stets traditionelle Unterhaltung versprach, und es
bestens verstand, das Alltagsleben mit einen merkwürdigen
Zustand der Empfindungen zu verknüpfen, schuf auch mit ihren Helden
jenen modernen Zustand des unverwundbaren Mannes, der für alle
stellvertretend die Kastanien aus dem Feuer holt, um dann am Ende im
Prominentendasein einen Zustand der Trance zu erreichen, bei
der die Erfüllung der Träume und die Wünsch eine mächtige
Verkörperung von Macht darstellt.

Seit den Anfängen des Films hat dieses Denken auch die kulturellen
Schübe des Kinos bestimmt.
Die Wertevorstellungen mit denen ihre Sieger über die Leinwand
huschten, waren strikt an der Sehsüchten der Massen orientiert.
Eine Gesellschaft, die das Sensationelle liebte, musste auch im
Kino die Entsprechung finden.
Keine andere Darstellungsform konnte diesen Einfluss besser
transportieren als das Kino.
Die Assoziationen in ihm scheinen so echt wie die Realität,
weil sich der Kopf so vollständig diesen Frauen und Männern
zuneigt, dass wir ihnen ausgeliefert erscheinen.

Hier muss ständig die Leinwand durchbrochen werden, damit
die tragischen und phantastischen Szenen, die geheimnisvollen
und die entgültigen den Saal überrollen.
Was diese Helden noch echter wirken lässt und sie in ihrer Wirkung
noch verstärkt, ist ihr Kampf für eine vermeidlich gerechte Sache.
Dafür nehmen sie im Zweifelsfalle selbst den Tod in Kauf.
Das Publikum muss natürlich mental darauf vorbereitet werden.
Und so spielt sich das Heldentum zum Schluss der Vorstellung
auch in unseren Köpfen wider: der Abspann scheint unser eigenes
Bewusstsein zu reproduzieren.
Im Zusammenspiel mit der Dunkelheit verzaubern die Helden Kino
und Zuschauer gleichermaßen und schaukeln sich lange zwischen
diesen beiden Realitäten hin und her, bis sie zu einer einzigen
Realität verschmelzen.

Versucht man sich auf dieser Ebene dem Film „The Last Samurai“ zu
nähern, der Tom CRUISE im Mittelpunkt der Ereignisse sieht, dann
zeigt er auf, auf welchen sozialen Typus der Film zugeschnitten ist.
CRUISE, der in wenigen Rollen zu glänzen verstand (etwa:
„Geboren am 4, Juli“, „Die Firma“, 1993, „Magnolia“, 1999, aber
vor allem in „Eyes Wide Shut“, 1999) verhält sich hier gemäß dem
Erscheinungsbild der Helden im Film.
Er beherrscht zwar sein Handwerkszeug, schöpft aber aus der
ganzen Trickkiste des Boulevardtheaters: abrupte Veränderungen in
der Stimmlage, stereotype Gesten, deprimierte Blicke, aber vor allem
sind es seine Gesichtsausdrücke, die einen Grenzfall in einer
dramatischen Handlung darstellen: „heldenhaft und stoisch und
stoisch heldenhaft“ meinte die Stadtillustrierte PRINZ in seiner
Januarausgabe.

Wenn Algren nach dem Motto vorgeht: töte mit Anstand, aber töte,
wenn ich nicht töte, werde ich getötet, dann ist das jene reaktionäre
Ideologie, die mit einem Moral- und Ehrebegriff verknüpft, die
totale Antiquiertheit und das verstaubte Denken dieser Zeit
widerspiegelt. Sollte daran jemand heute noch Vergnügen haben, oder
sich davon vereinnahmen lassen?
Helden überschreiten im Film offenbar immer die Grenzen zwischen
Wirklichkeit und Phantasie; denn das Filmtheater als ‚wahres Haus
der Träume’ hält auch für sie jene Ethik bereit, die auf dem Gebiet
des schönen Scheins die Verwandlung impliziert: sich selbst in
seine Träume zu verwandeln.

Im Kino und unter dem Einfluss des Kinos scheinen neue Helden
wirklich formbar zu sein.
Die Kunst des Schwertkampfs ist in „The Last Samurai“ der symbolische
Akt, mit dem dieser Held sein Repertoire anreichert.
Und inmitten wunderbarer Bilder und prachtvoller Gemäldelandschaften,
jedoch aber auch ausgelebter Brutalität bei den Gefechten, entfaltet der
Film den Meister in seiner vollen Blüte.
Algren, der als Held die Sehnsucht des ganzen Landes
wiederzuspiegeln scheint, der dem „japanischen Kaiser, den
Samurai, ja dem ganzen Land zu nationaler Selbstfindung“ (Die Zeit
vom 8. Januar 2004) verhilft, bleibt in den entscheidenden Szenen
kitschig und schillernd.
Die pathetischen und schmalzigen Dialoge, die umrahmt sind von
ritualisierten Gesten, die philosophisch verlogenen Disputationen
über Pflicht, Treue, Ehre und die Spiritualisierung, die
insgesamt bleischwer auf „The Last Samurai“ lasten, geben dem Film
eine gewisse Orientierungslosigkeit.

Moderne Helden wie Algren sind (auch) Kriegshelden, die sich auf
dem Höhepunkt von Ereignissen für die eine (meist richtige!) oder die
andere (meist falsche!) Seite oder Lösung entscheiden müssen.
Erst dann kann das Kino sie zum neuen Maßstab für den Wert eines
Menschen machen. Wenn die japanische Kaiserarmee sich am Ende
der Schlacht vor Algren verbeugt, dann ist das nicht nur eine einfache
Geste, sondern vielmehr das Ende eines etwas weinerlichen
Veteranendramas. Die modernen Helden sind dieser Krankheit
elegen. Doch irgendwann erlebt jeder Held nur noch sich selbst.
Im Kino und unter dem Einfluss des Kinos scheinen neue Helden
wirklich formbar zu sein.
Und es könnte sogar sein, dass es zur ultimativen Waffe werden
könnte, die den Triumph des Helden auskostet, und die dann selbst
völlig irrational den Sieg im Film erringen.

Fazit: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
(Bertold BRECHT, Leben des Galilei).

Dietmar Kesten 10.1.04 12:04