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The Missing

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The Missing Dietmar Kesten 14.2.04 14:11

THE MISSING

DEN FRAUEN DAS KOMMANDO

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 14. FEBRUAR 2004.

Cate BLANCHETT hätte auch in „Die Stunde des
Jägers“ (Regie: William FRIEDKIN, 2003) die Hauptrolle spielen
können.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet
Tommy Lee JONES in „The Missing“ (Regie: Ron HOWARD)
wiederzufinden ist. Bei FRIEDKIN erkundete er mit indianischem
Spürsinn Fährten, übte sich im Fallen stellen, verstand sich auf
Tarnung und entging so den bedrohlichen Katastrophen.

Maggie (Cate BLANCHETT) ist vom Leben enttäuscht, vom
eigenen Vater, sie ist verbittert und müde, eine Pionierin des
Westens.
Für die Männer interessiert sie sich nicht mehr. Zuweilen sind
sie nur noch für funktionalen Sex gut.
Ihre Töchter Dot (Jenna BOYD) und Lilly (Evan Rachel WOOD)
zieht sie auf einer Farm groß und verdient sich
durch Doktordienste einen Teil des Familienunterhalts.
Als Lilly von Indianer entführt wird, erfahren muss, dass die
Behörden ihr nicht helfen werden, greift die
Mutter an und setzt sich mit schier unglaublicher Energie
gegen diese Entführung zur Wehr. Ihr plötzlich auftauchender
Vater (JONES) und der Apache Kayitah (Jay TAVARE),
stehen ihr helfend zur Seite. Gemeinsam ziehen sie gegen
die Bande des Hexers Pesh-Chidin (Eric SCHWEIG) zu
Felde.
Ein spannend gemachter moderner Thriller, der irgendwo auch
stark mit Westernmotiven angereichert ist, erzählt von der
Revolte einer Frau gegen die Peiniger.
Das wäre schon fast alles. Man könnte sich beruhigt im Sessel
zurücklehnen, und der Dinge harren, die da kommen.

Einen kurzen Augenblick lang hatte Hollywood den Versuch
unternommen, starke Frauen voller Dynamik in den Vordergrund
zu stellen. Erinnert werden soll an:
„Die Hochzeit meines bestens Freundes“ (Regie: P. J. HOGAN, 1997),
„Erin Brockovich“ (Regie: Steven SODERBERGH, 2000),
„Panic Room“ (Regie: David FINCHER, 2002),
“Drei Engel für Charlie (Regie: Joseph McGinty NICHOL, 2003),
„Lara Croft - Die Wiege des Lebens“ (Regie: Jan de BONT, 2003),
„Kill Bill Volume 1“ (Regie: Quentin TARANTINO, 2003).
Zur Zeit läuft „Mona Lisas Lächeln“ (Regie: Mike NEWELL, 2004).
Folgen werden: „Unterwegs nach Cold Montain“
(Regie: Anthony MINGHELLA“, 2004) und „Monster“
(Regie: Patty JENKINS, 2004).

Hollywood entdeckt die Frauen!
Frauen dürfen aus ihren künstlichen Popwelten, aus ihrem
Wachkoma und der Architektenfuturologie ihrer Macher aufsteigen,
sich mit Gewalt und falschen Gefühlen einer Emanzipation
verschreiben, die mehr an eine (feindliche) Übernahme eines
Männerbildes erinnert.
Bisher waren es die männlichen Desperados, die schießen und sich
mit der Gewalt arrangieren durften. Jetzt ist im Kino scheinbar diese
Zeit vergessen gemacht. Die Frauen brechen in diese Domäne ein.
Eine Mutter, so lehrt uns „The Missing“, wird zu einer weiblichen
Kriegerin, die schon in den ersten Minuten zeigt, wie sehr sie sich
in diesem Umfeld bewegt.
Und dass ihr Gewehre und Revolver nicht fremd sind, erkennt das
Publikum ziemlich schnell.

Filme mit Frauen, so könnte Hollywood meinen, erzählen von
der Befreiung der Frauen. Sind sie das?
Roswitha SCHOLZ hat zu dieser Thematik ausgeführt:
„Selbst wenn Frauen ihren Willen artikulieren, wird dieser nicht
ernst genommen, da nicht davon ausgegangen wird, dass sie einen
haben. Der Wille der Frau ist in dieser Gesellschaft faktisch nicht
vorgesehen.
Frauen sind strukturell und oft sehr konkret Objekte des Willens
des Mannes und sind Gefahren der Gewalt bis hin zur Vergewaltigung
ausgesetzt.
Aufgrund ihrer immer wieder propagierten Schwäche haben es die
meisten Frauen meist nicht gelernt, sich gegen solche Angriffe
zur Wehr zusetzen.“ (1)

Das ist einmal mehr im Kino zu beobachten, auch dann, wenn sie
sich scheinbar doch zur Wehr setzen, und auch dann, wenn mancher
Kritiker meint, dies wäre hier völlig unzutreffend.
Katja NICODEMUS, die hier stellvertretend für andere Kritiken und
Kritiker zitiert sein soll, hat sich mit diesem Wandel im Kino
auseinandergesetzt.
Sie führt aus:
„Mit spätfeministischer Didaktik desavouiert ‚The Missing’ alle
Accessoires und Attribute der Weiblichkeit. Gleich zu Beginn des
Films bringt Blanchett ihrer vergnügungssüchtigen Tochter bei, dass
Schönheit, Sanftmut und Koketterie die Frau zur Beute, zum Objekt,
zur Ware machen- was die Entführung des aufgebrezelten Mädchens
prompt bestätigt. Vom anderen Geschlecht erwartet erwartet sich
Blanchett kaum mehr als ein bisschen funktionalen Sex.
Geschminkt werden Frauen hier nur von ihren Entführern, bevor sie
in Mexiko an Bordellbesitzer verkauft werden sollen.“ (2)

Was für eine Quintessenz der weiblichen Emanzipation.
Das Subjekt Frau verlegt sich auf die Verwandlung wider Willen.
In der Männerdomäne macht Blanchett etwas fast ganz alltägliches:
sie orientiert sich an der Gewalt.
Gerade als ihre Hoffnungen als Mutter und Ernährerin platzen,
Lilly entführt wird, holt sie die alten Heldenbilder aus dem
Wühlkasten und läuft Amok.
Erinnerungen an Charles BRONSON und „Chatos Land“
(Regie: Michael WINNER, 1971) sind absolut nicht von der
Hand zu weisen, auch wenn sich dort die reine Gewalt
in der Selbstjustiz niederschlug.
Maggie nimmt einen fast mütterlichen Schutzwall ein.
Sie hält den Akt des Kreislaufs der Gewalt aufrecht. Und
vermutlich deshalb wird man von den Bildern okkupiert, weil man
die gesellschaftliche Realität in der Zwischenzeit selbst als
bloße Staffage und falsches Spiel empfindet. Man mag sich deswegen
schnell mit Maggie solidarisieren, denn sie setzt sich nicht mit erhobenem
Zeigefinger, sondern mit der Dynamik der (gewalttätigen)
Abwehrmaßnahmen zur Wehr.

Die Erinnerung an „Viva Maria“ (Regie: Louis MALLE, 1965) mit
Brigitte BARDOT und Jeanne MOREAU, der als ‚klassischer’
Frauenfilm alter Schule gilt, und der das Prestigeobjekt Frau
geläutert und mit viel Selbstironie auf den Weg brachte, dürften
Parallelen zu „The Missing“ aufweisen; denn auch er war der
Kitt eines Enthusiasmus aus Nah- und Distanzkampf.
Der Stil von MALLE war die burschikose Lässigkeit, mit der er
seine Revolutionsheldinnen ummantelte, der auch die Attribute
kommerzieller Schönheitsvorstellungen samt Kosmetik, Fashion
usw. in Frage stellte und die natürlichen Attraktion von Jugend
und Weiblichkeit positionierte.
Damit brach er in gewisser Weise mit dem alten Hollywood
Film, der Frauen nur als Staffage für die männlichen Pedanten
vorsah, und in diesem Sinne ist der „nachholende Feminismus“
„als Entdeckung des Weiblichen“ (2) selbst im Kino nicht
von der Hand zu weisen.

Das merkwürdige Gefühl bei „The Missing“ kommt ob dieser
Frontstellung trotzdem auf, dass diese Welt erst durch Männer
zu einer Wüste, zu einer Orgie der Gewalt werden muss, bevor
Frauen anfangen, zur Waffe zu greifen.
Selbst hier ist „Der schwarze Falke“ (Regie: John Ford,
1965) das Äquivalent, dass Mut, Geschick und Tapferkeit
vermittelt, weil die Rauchwolken zunehmend materialisiert
und die Blutrituale zu moralischen Maßstäben im Kino wurden.
Die Standardisierung des menschlichen Verhaltens in
Krisen-, Not- und Kriegszeiten spiegelt kein anderes Medium
so perfekt wieder, wie das Kino.
Wenn die Zivilisation am Boden liegt, als Katalysator wirkt,
wenn die Schizophrenie entdeckt und der letzte
Fetzen Glück unerträglich wird, der Aggressor gegen sich
selbst wendet, gegen sein eigenes Spiegelbild, wenn sich alles
in einem ohnmächtigen Zuschlagen entlädt, dann dürfen die
Frauen ran, die Heldinnen dieser Zeit, die aus purer Verzweifelung
zum Schlag ausholen, oder auch nicht.

Ist die Haltung von Maggie das Einzige, was wir heute in
finsteren Zeiten tun können?
Es gibt keine (Er)Lösungsversuche. Jede Geste, die uns mit
der Gewalt versöhnen soll, zwingt dazu, den subjektiven
Blick auf die Qualen des Individuums zu lenken, zwingt
dazu, Bereitschaft und Verantwortung zu übernehmen und
einzufordern.

Facit: Der Film heilt nicht alle Wunden.
Die schrecklichsten Traumata werden wir selbst im heilen Schoß
der Familie nicht schadlos überstehen. „The Missing“ kann das
verdeutlichen. Er lässt uns mit dem bitteren Gefühl zurück, dass
die Welt der Familie auseinander bricht.
Er macht aber auch das Scheitern sämtlicher Lösungsversuche,
die in einem solchen Konflikt enden könnten klar: Verbrechen lohnt
nicht. Die schrecklichen Verluste sind im Leben nicht ersetzbar.
Gewalt ist keine Lösung. Wenn die Männerdomäne der
Gewaltorgien im Kino jetzt mit Frauen besetzt wird, dann ist es
an der Zeit, der Versöhnung mit der Gewalt, egal von wem sie
ausgeht, den Kampf anzusagen.

Anmerkungen:

(1) Aus: Das Motto: Das Ziel meiner Arbeit? Das niemand mehr
arbeiten muss.“ (Roswitha Scholz Online/2003.

(2) Katja Nicodemus in: Die Zeit vom 5. Februar 2004.

(3) Roswitha Scholz: Das Geschlecht des Kapitalismus.
Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose
des Patriarchats“, Bad Honnef 1999.

Dietmar Kesten 14.2.04 14:11