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Die innere Sicherheit

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Dem Terrorismus nicht auf der Spur Dietmar Kesten 24.7.04 13:54

DIE INNERE SICHERHEIT

DEM TERRORISMUS NICHT AUF DER SPUR

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 24. JULI 2004.

Die RAF (Rote Armee Fraktion) ist zu einem Mythos geworden,
zu einem Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Ohne Zweifel gehört die politische, und wenn man so will,
ideologische Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus
zur Vergangenheitsbewältigung, aber auch zur Gegenwartbewältigung;
denn der international operierende Terrorismus, der zwar heute mit
eine anderen Zielsetzung antritt, und nicht von wenigen
als islamischer Terrorismus bezeichnet wird, ist dabei, aus der
neuen Weltkrise Kapital zu schlagen, um sich als Gewinnersegment
des Weltmarktes auf Dauer einzurichten und global Leben und
Unversehrtheit zu bedrohen.

Gewiss, es fehlte seit dem 2. April 1968 (dem Beginn des
RAF-Terrorismus), als Andreas BAADER, Gudrun ENSSLIN
und andere, zwei Kaufhäuser in Frankfurt/M. in Brand
steckten, nie an publizistischem Fleiß, die damaligen
Ereignisse zu deuten, auszuleuchten und sie später als eine
Art Zweikampf zwischen Staat und Terrorismus zu
interpretieren.
Auch als sich Ulrike MEINHOF, die Hamburger „konkret“
Journalistin im Mai 1970 aktiv dieser Gruppe anschließt,
um sich an der Befreiung von BAADER zu beteiligen,
der in der Zwischenzeit verhaftet worden war und die ersten
Schüsse fielen, brechen die verdrängten Erinnerungen
auf, lösen viel Interesse aus, Neugier und Emotionen,
die immer wieder in Versuche einmünden, dem
RAF-Phänomen auf die Spur zu kommen.

Die RAF der ersten Generation, in den Untergrund gehend,
verübte als „Rote Armee Fraktion“ Sprengstoffanschläge
auf US-Militärstützpunkte in Deutschland, bewaffnete
Banküberfälle, Entführungen, Morde.
Ihre Spur wurde immer blutiger: erst 1970, dann 1972.
Der Höhepunkt bildete das Jahr 1977.
Am 5. September dieses Jahres wurde der Arbeitgeberpräsident
Hans Martin SCHLEYER in Köln entführt, seine Begleiter
kaltblütig ermordet.
Das „Konzept Stadtguerilla“ ging davon aus, dass es möglich
sei, durch eine solche Tat (vgl. LORENZ Entführung)
Gesinnungsgenossen frei zu pressen.
Eine Flugzeugentführung durch ein palästinensisches
Kommando (13. Oktober 1977) unterstütze diese Erpressung,
die von einem GSG-9-Kommando des Bundesgrenzschutzes in
Mogadischu beendet wurde, die Geiseln befreit und die
Entführer getötet wurden (17. Oktober 1977).
Einen Tag später (18. Oktober 1977) fand man unter bis heute
ungeklärten Umständen BAADER, ENSSLIN und RASPE, die
in Stuttgart-Stammheim in Isolationshaft einsaßen, tot in
ihren Zellen.
Am 19. Oktober wurde der entführte SCHLEYER ermordet in
einem Kofferraum eines Autos in Mühlhausen aufgefunden.

Als erster Film, der sich mit dieser Zeit beschäftigte und
auf die Parallelität jener terroristischen und tragischen
Ereignisse mit der allgemeinen zeitgenössischen
Protestbewegung gegen Rasterfahndung, diffamierende
Hetzkampagnen der Medien, eines Klimas, wo bereits
jemand, der die Berichterstattung kritisch unter die Lupe
nahm als (Links-)Radikaler oder als Sympathisant
des Terrorismus bezichtigt wurde, verband, erschien
im November 1978 „Deutschland im Herbst“.
Jener Film, der linke Kreise in ihrer Sichtweise bestätigte,
dass man sich dem Staat niemals beugen dürfe, und der
in bürgerlichen Kreisen eher mit Unverständnis
aufgenommen wurde, weil hier unterschwellig
versucht würde, zu agitieren und die Verhaltensweise
der RAF-Terroristen zu rechtfertigen.
Ob sich allerdings dieser Kompilationsfilm mit Beiträgen
von Rainer Werner FASSBINDER, Alexander KLUGE,
Volker SCHLÖNDORFF und anderen, hier irgendwo
einordnen lässt, muss unbeantwortet bleiben.

1981brachte Margarethe von TROTTA „Die bleierne Zeit“
in die Kinos.
Die fiktive Geschichte erzählte von zwei Schwestern,
Töchter eines evangelischen Pfarrers (vermutlich nach Vorlage
der Lebensgeschichte der ENSSLIN-Schwestern), die sich
politisch engagieren.
Während die eine den Weg der kleinen Schritte geht, taucht die
andere in den Untergrund ab.
Als die jüngere Schwester im Gefängnis stirbt, versucht die andere,
die Umstände ihres Todes zu ergründen.
Der Film war eine Mischung aus Melodrama, politisch-theoretischer
Planspielerei, der zudem versuchte, an Hand einer völlig
subjektivistisch überzogenen Schwesternbeziehung die Problematik
des politischen Widerstandes zu behandeln.
Dem Film warf man Parteilichkeit vor, da die andere Seite
(die Opfer des Terrorismus) völlig ausgeklammert wurde.

1985 erschien „Stammheim“ (Regie: Reinhard HAUFF).
HAUFF unternahm damals den Versuch einer filmischen
Rekonstruktion des 192 Tage währenden Prozesses.
Ausgehend von den authentischen Protokollen und unter Verzicht
auf Beiwerk beschränkte sich die Inszenierung bewusst auf
wörtliche Rezitation, ohne dass die politisch-gesellschaftlichen
Hintergründe des Falles beleuchtet wurden.
„Stammheim“, der viele Fragen offen ließ, ermöglichte einen
Einblick in den Justizapparat.
Beide Filme bezogen sich zwar auf die RAF-Geschichte
und dramatisierten in gewisser Weise die Haft- und
Prozessbedingungen der Gefangenen, aber sie blieben an
der Oberfläche, waren eindeutig von der politischen und
gesellschaftlichen Brisanz der Thematik überfordert und
zeigten somit eindeutige Schwächen

1996/97 wurde die Filmgeschichte, die sich mit der RAF
beschäftigte, um „Todesspiel“ (Regie: Heinrich BRELOER)
erweitert, der sich in zwei Teilen (1. Teil: „Volksgefängnis“,
2. Teil „Entführt die Landshut“) mit dem ‚deutschen
Herbst’ beschäftigte.
Das „Todesspiel“, meisten hochgelobt, zeigt einen
Psychothriller mit atemberaubender Intensität.
Aber leider blieb es dabei. Die Tiefe der Betrachtung fehlte,
die Bezüge, die Motive. Nur beiläufig versorgte er das
Publikum mit Wissen über die Terroristen, und er fand
nie Zugang zu den Personen, die sich bei dem Disput
mit Schleyer (Hans BRENNER) als äußerst wortkarg
und ohne Gesicht erwiesen.
Doch in diesem dramaturgischen Film blieb am Ende die
Irritation; denn es gelang ihm nicht bekanntes in den
richtigen Zusammenhang einzuordnen und über bekanntes
Material hinausgehend zu recherchieren.

Die erste größeren Produktion über die Biografie
einer ehemaligen RAF-Angehörigen, die im Schutze der
Stasi Aufnahme in der DDR fand, legte Volker SCHLÖNDORFF
vor.
„Die Stille nach dem Schuss“ kam 2000 in die Kinos.
Der Film hatte zum Hintergrund die Lebensgeschichte
der Terroristen Inge VIETT.
Inge VIETT wandte sich damals energisch gegen diese,
wie sie meinte, „entpolitisierende Darstellung“, der ihr
nachgezeichneten Lebensgeschichte.
In der Tat setzte SCHLÖNDORFF bei der Inszenierung
heutiger RAF-Erinnerungen auf spektakuläre- und
knallige Phänomene der damaligen Zeit, die hier unter
einer Käseglocke schlummerten und nur darauf warteten,
erweckt zu werden.
Die Distanzierung zur Figur blieb die Distanzierung
von der politischen Auseinandersetzung mit der RAF.

Fast bekommt man den Eindruck, dass inzwischen
eine Welle von Filmen versuchen, sich der Thematik
‚Terrorismus’ zu nähern. Und dass dabei jene
deutsche Geschichte auf der Strecke bleibt, in der sich
die Dramatik zu entwickeln begann, die Hintergründe
des radikalen (politischen) Kampfes kaum beleuchtet
werden und im Dunkeln bleiben, ist fast selbstverständlich.
Da es im Herbst 1977 „nicht nur um eine kriminelle
Vereinigung ging, sondern um zwei“ (vgl. Christian DELIUS
in: „Die Zeit“ vom 25. Juli 1997), verlangt die
Filmgeschichte über die RAF eine konsequente
Aufarbeitung ihrer Geschichte und ein selbstkritisches
Hinterfragen ihres Handelns, wie es Peter Jürgen BOOCK
so ausdrückte: „Wir hatten dazu (zu entführen und zu
morden, d. Vf.) weder das Recht, noch gab es irgendeine
moralische Begründung... Das, was wir getan haben,
war auch in anderer Hinsicht zerstörerisch... Für mich
spielt das jeden Tag noch eine Rolle.“ (Zitiert nach:
„Die Zeit“ vom 25. Juli 1997)

Christian PETZOLD versucht nun in seinem Film
„Die innere Sicherheit“ (2001) das Leben nach dem
Terror zu schildern.
Der Film, wiederum eine fiktive Geschichte über ein
Aussteigerterrorpärchen, das mit der Tochter auf der
Flucht ist, ist keine RAF-Geschichte, obwohl
er einen Teil der Geschichte des Terrors als Voraussetzung
macht; denn durch verschiedene Namen- und
Handlungsstränge verweist er auf das Leben im
Untergrund, auf sich annähernde Biografien, auf
vermeintlich bürgerliche Normalität, Spurensuche, Findung
in der eigenen inneren Sicherheit.
Auf fällt, dass der Komplex RAF zu einer einzigen
Familientragödie heruntergespielt wird.

„Die innere Sicherheit“ handelt von Jeanne (Julia HUMMER),
Clara (Barbara AUER) und Hans (Richy MÜLLER), die auf
der Suche nach der eigenen Identität sind, nach, wie es
der Film ausdrückt, der eigenen „inneren Sicherheit“ sind.
In einem Staat, der seine durch ihre Existenz immer noch
bedroht sieht.
Die drei verstecken sich als Touristen an den Stränden
Portugals, im Begriff nach Brasilien zu fliehen.
Clara unterrichtet Jeanne, die im Untergrund zu leben
gelernt hat und nie eine Schule besuchen konnte.
Zusammen mit Hans wacht sie darüber, dass die Tochter
keine Freundschaften schließt; denn das wäre zu riskant.
Als sie nach einem Banküberfall Trickbetrügern
zum Opfer fallen, scheitern ihre Fluchtpläne und sie
müssen nach Deutschland zurück, mit Ehemaligen Kontakt
aufnehmen, Geld besorgen.

Die Vielschichtigkeit des Themas RAF, dass in unzähligen
Büchern und Artikeln heruntergebetet wurde (im Anhang
eine kleine Auswahl), hat Filmemachern eine eigene
Sicherweise beschert.
Das ästhetische Bedürfnis, den Terrorismus hautnah vor
die Kamera zu bekommen, und ihn damit ‚erlebend’
Für den Zuschauer darzustellen, ist so etwas wie ein
nachhallendes Echo, dass die Gesellschaft zwar
über linksradikale Protagonisten (Kontroverse
FISCHER/TRITTIN) aufklären möchte, sich aber im
Gestrüpp der Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung
verfängt.
Die „innere Sicherheit“ will die Normalität des
Untergrunds darstellen, dabei weiß niemand von den
Filmemacher, wie dieser tatsächlich aussieht.
Schon gar nicht ist er eine Normalität, wie es der Film
versucht, zu suggerieren.
Weil die Melodramatik überwiegt (Jeanne hat Lust
auf Jungs, Mode und House-CDs), fährt er in eine
ganz andere Richtung ab, nur nicht in die der
tatsächlichen Beschäftigung mit dem Terror und
der Vergangenheit.

„Ich geh mal eben den Wagen verstecken“, sagt
Hans. Jeanne fragt: „Was ist Untergrund?“
Das Normale mit dem Anderen zu konfrontieren, wie
es „Die innere Sicherheit“ tut, geht nicht.
Die RAF-Problematik geht an der eigentlichen
Problematik vorbei. Der Film mutiert zu einem rein
äußerlichen Konflikt mit Krimihandlung, wo die
Verlierer von vornherein feststehen (die Terroristen)
und die Gewinner (der Staat).
Wie in „Die Stille nach dem Schuss“, so obsiegt auch
hier die Polizei. Der Film führt nicht weit, weil er sich
am Frontverlauf moralischer Kategorien orientiert:
hier die bösen Terroristen, dort der tapfere Staat.
Eine umgekehrte Version problematisiert
PETZOLD nicht; denn die Anteile an Schuld, Verdrängung,
an ein nationales Ereignis, an innerstaatlicher
Feinderklärung, Isolation, Hungerstreik, Prozessführung,
linken Aktionsformen (Antifolterkomitees) gegen die
zunehmende gigantische Aufrüstung von Polizei und Staat,
sind bei ihm noch nicht einmal angedeutet.

Dass die staatlichen Verhältnisse bis zum Regierungswechsel
1982 und weit danach noch vom Mogadischu-Bonus
zehrten, mag zwar eine riskante Formulierung sein, doch die
geradezu pathologische Sucht des Staates, nach Feinden
der Gewalt zu suchen, und die Suche nur auf die zu lenken,
von denen man annahm, sie könnten der Gewalt zuarbeiten,
war ein dermaßen grober Kurzschluss, dass er die Folgen
davon zu verantworten hatte.
In seiner Selbstgerechtigkeit war ihm gar nicht bewusst,
dass er eine Eskalation der Gewalt mitzuverantworten
hatte, die Repräsentanten von Politik und Staat
(SCHMIDT 1977 kategorisch: „Wir tauschen nicht aus!“
„Der Staat lässt sich nicht erpressen!“ SCHLEYER wurde,
wenn man so will, ‚geopfert’), Polizei und Justiz
(Abhörpraxis etc, die die „Unverletzlichkeit der
Wohnung“, seit der Frankfurter Pauskirchversammlung
von 1848 verbrieftes Recht, aufhob und in Frage stellte),
die in ihrer Paranoia sich nur noch von Illegalen
umstellt sahen und im Umgang mit dem
Staatsfeind Nr. 1 auf das beste Hollywood Kino
abfuhren.

Kleidete Ernst NOLTE doch mit markigen Sprüchen
diese Wirklichkeitswahrnehmung, die in Wirklichkeit
eine Wirklichkeitsverdrängung war, in die Worte:
„Während der Entführungszeit Hans Martin Schleyers
und aus Anlass seiner Ermordung war die
Bundesrepublik zum ersten Male ein Staat im
Vollsinn des Wortes.“ (Zitiert nach: „Die Zeit“
vom 25. Juli 1997)
Der düstere Krimi der politischen Skandale von links
und rechts, von liberalen und Sozialisten, bürgerlichen
und kleinbürgerlichen, der gespenstig durch die
Republik huschte, veranlasste Wolfgang NEUSS
zu dem Ausspruch: „Wenn es ein wirkliches
Bewusstsein für diese Bundesrepublik gibt, dann
durch Baader-Meinhof.“ (Zitiert nach: „Die Zeit“,
ebd.)

„Die Innere Sicherheit“ verschont diese deutsche
Vergangenheit.
Die Reduktion der Sprache der Terroristeneltern
lässt erkennen, dass sich hier ein Leck öffnet,
aus dem sich die Kontrahenten bedienen. Die
Gespräche mit der Tochter drehen sich
Family, um Liebe, um den Ausbruch aus der scheinbaren
Idylle, um Lernerfolge und Sicherheit.
Nichts bewegendes. Man redet nicht über Politik.
Was hätten auch Terroristen zu sagen? Man redet
darüber, wie man auf der Flucht dem Staat entkommen
kann.
Wenn sich der Familienrat zusammensetzt und
beratschlagt, dann verliert der Film jeden offensiven Elan.
Ein Disput über politische Biografien entfaltet sich nicht.
Ein inzwischen ausfindig gemachtere Rechtsanwalt, der
für einen Neuanfang sorgen soll, die finanziellen
Mittel bereitzustellen hätte, wird mit seiner eigenen
Vergangenheit in der Gegenwart konfrontiert, hat seinen
eigenen Standpunkt: “Ich habe mit dem ganzen Scheiß
nichts mehr zu tun!“
Man wird regelrecht an den Auftritt von FISCHER in
Frankfurt/M. am 15, Januar 2001 erinnert, als er mit
seinem ehemalige ‚Kampfgefährten’ Hans Joachim KLEIN aus
der Frankfurter Sponti-Szene der 70er Jahre zusammentraf:
verloren und verlogen.
Das gibt soviel Rätsel auf wie der Tod von
Ulrike MEINHOF (9, Mai 1976) oder wie der von
Uwe BARSCHEL (11, Oktober 1987).

Zwischen Verfolgungswahn und Verfolgungsszenen
wird ein Krimispektakel inszeniert (Banküberfall
mit anschließender Flucht, Hubschraubereinsatz,
untertauchen in einer illegalen Villa). Hier bleibt kein
Raum für weitergehende Fragen. Vor allem verzichtet
PETZOLD gänzlich auf eine Einordnung der RAF.
Der „inneren Sicherheit“ fehlt es an Aktualität.
Spätestens nach der Schiesserei von Bad Kleinen,
als am 27. Juni 1993 der Terrorist Wolfgang GRAMS
tödlich getroffen wurde, muss der zweifelnde Blick
auf diesen Film als ein Akt der Unvernunft erscheinen:
die getriebene, gehetzte RAF und die übriggebliebenen
Terroristen, die ihren Kopf rettend aus der Schlinge
ziehen wollen, sind nur noch Schwerverbrecher,
eingeschüchtert durch die Totalität der Fahndung.

Einen sicheren Ort gibt es nicht. Weder in der Realität,
noch im Film.
Ausgrenzung ist in der Gesellschaft die Regel geworden
Und am Grab herrscht Schweigen.
Der Vater von Holger MEINS (stirbt an den Folgen eines
Hungerstreiks am 9. 11. 1974) hatte einst eine
Betondecke über das Grab seines Sohnes ziehen lassen,
um zu verhindern, dass aufgebrachte Bürger die
Friedhofsruhe stören um, ihre Drohung wahr zumachen,
den Toten aus dem Sarg zu holen, um ihn noch
einmal zu strangulieren.
In der Tat eine (p-)einsame Zeit, in der RAF-Angehörige
strenger bestraft wurden, als jeder andere
Schwer- oder Kapitalverbrecher. Es bereitet kein
Vergnügen, die Innenansicht eines Films Revue passieren
zu lassen, der nur auf Effekthascherei aus ist, der doch
nur an der Oberfläche dümpelt und aus einer
Binnenperspektive erzählt wird.
Man wartet auf den Abspann.
Der bringt allerdings den ganzen Film noch einmal
gehörig durcheinander.

Während die Familie mit dem Auto flieht, vor einer
roten Ampel an einer Kreuzung halten muss, schieben
sich von allen Seiten die bekannten schwarzen
Limousinen auf die Kreuzung zu.
Hans sieht sich umzingelt, steigt aus dem Auto aus
und hebt die Hände hoch.
Die Ampel wechselt auf grün, der Verkehr fließt wieder.
Alles nur Einbildung. War der Terrorismus vielleicht
nur Einbildung, vom Staat gesteuert?
Ein Roadmovie endet unspektakulär.
Die Spurensuche ist beendet.
In seiner Wahrnehmung wird der Film sich selbst fremd.
Er bringt sich selbst zu Fall.
„Das Jugendbuch zum Film wird im Arena-Verlag
erscheinen“, liest man auf der Leinwand, während man
sich aus dem Sessel erhebt und dem Ausgang
zustrebt.
War man im falschen Film? War der Film nur ein
„Jugenddrama“, wie Merten WORTMANN in
„Die Zeit“ vom 1. Februar 2001 meinte?
Sollte man diese Interpretation wählen, dann kann man
nur sagen: bedankt!!

Fazit: Näher an den historischen Hintergründen sind
die Filme „Black Box BRD“ (Regie: Andreas VEIEL, 2001)
und „Starbuck Holger Meins“ (Regie: Gerd CONRADT, 2001).
Hier tasten sich zwei Filme dokumentarisch an die
Hintergründe heran.
Die Filme versuchen, das jeweilige Feind-Image dieser
Opfer in Frage zu stellen. Angehörige werden befragt,
historische TV-Nachrichten gezeigt. Es entstehen eine
Vielfalt von Perspektiven, der Betroffenheit zu entkommen, die
sowohl den Zeugen, wie auch den Autoren selbst angesichts
des Themas (vgl. die Studie über Grams) anzumerken ist.
Es geht um Spurensuche, Spuren neu zu bewerten, den
Terrorismus in Deutschland in den gesellschaftlichen
Kontext einzuordnen.
Seit dem Tod von Benno Ohnesorg (2. Juni 1967)
und dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke (11. April 1968),
der später an den Folgen des Attentates auf ihn
stirbt (24. Dezember 1979), nahm die eskalierte Gewalt
zu.
Einzelne Gruppen der Revolte kamen zu der Auffassung,
man müsse der Härte des Staates mit der ebenfalls
bewaffneten Härte entgegentreten. Ein Fehlschluss, wie
sich herausstellte. Dieser geschichtliche Aspekt wird nur
zu begreifen sein, wenn es gelingen sollte, die Geschichte
des Terrorismus im Zusammenhang darzustellen.
Die RAF gehört ebenso dazu wie die „Revolutionären
Zellen“, oder die „Bewegung 2. Juni“, die K-Gruppen
Bewegung ebenso, wie die insgesamt Geschichte des
politischen Widerstandes in Deutschland seit 1967.

Literatur (Auswahl):

Aust, Stefan: Der Baader Meinhof Komplex,
Hamburg 1985.

Bakker Schut, Pieter: Stammheim, Hamburg 1986.

Ders.: Dokumente, Briefe der Gefangenen
1973-1977, Hamburg 1987-

Becker, Jillian: Hitler’s Children, Philadelphia 1977.

Boock, Peter-Jürgen: Abgang, Bornheim-Merten 1988.

Fetscher, Iring: Terrorismus und Reaktion, Köln 1978.

Hannover, Heinrich: Klassenherrschaft und politische
Justiz, Hamburg 1978.

Horchem, Hans Josef: Die verlorene Revolution.
Terrorismus in Deutschland, Herford 1988.

Laqueur, Walter, Terrorism, London 1977.

Lönnendonker Siegward/Fichter Tilman: Kleine
Geschichte des SDS, Berlin 1977.

Mosler, Peter: Was wir wollten, was wir wurden,
Hamburg 1977.

Nollau, Günter: Wie sicher ist die Bundesrepublik,
München 1976.

RAF: Die (alte) Straßenverkehrsordnung:
Dokumente der RAF, Berlin 1986.

Wördemann, Franz: Terrorismus. Motive,
Täter, Strategien, München 1977.

Zur RAF und zu anderen terroristischen Zellen in der
BRD, zu den Fakten und den Hindergründen gibt es
zig Seiten im Netz.

Informationen über die Jugend- und Studentenbewegung,
über die RAF selbst, ist nachzulesen bei:

www. rafinfo. de

Informationen über den SDS und die APO können
eingeholt werden über:

www. apo-archiv. de

Dietmar Kesten 24.7.04 13:54