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Duell - Enemy at the Gates

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Kein Blick für Stalingrad Dietmar Kesten 25.7.04 16:00

DUELL - ENEMY AT THE GATES

KEIN BLICK FÜR STALINGRAD

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 25. JULI 2004.

Ein Scharfschütze ist der Held von Stalingrad. Ein junger Soldat
profiliert sich in dieser Schlacht. So beginnt das „Duell - Enemy
at the Gates“ von Jean-Jacques ANNAUD (2001).
Gegen seinen Willen stilisiert man ihn in Frontberichten, in
Zeitungen und durch Mundpropaganda zu einer Heldenfigur.
Auf deutscher Seite wird ein ausgebildeter Scharfschütze
nach Stalingrad entsandt, der den Russen ausschalten soll.
Auf diesen Zweikampf konzentriert sich das mit viel opulentem
Aufwand angelegte Schlachtengemälde in der dramaturgischen
Art eines Westerns.

Eines vorweg: „Enemy at the Gates“ hat mit Stalingrad nicht zu
tun.
Stalingrad an der unteren Wolga (1940: 450.000 Einwohner)
war Rüstungszentrum und Verkehrsknotenpunkt.
Am 23. 7. 1942 befahl HITLER in seiner Weisung Nr. 45 an die
Heeresgruppe B im Rahmen der deutschen Sommeroffensive die
Eroberung von Stalingrad, während gleichzeitig die
Heeresgruppe A die kaukasischen Ölfelder besetzen sollte.
Vom 1.-15. 9. drangen die 6. Armee und die 4. Panzer Armee
in die Vororte von Stalingrad ein. Am 18. 11. waren nach
verlustreichem Häuserkampf ca. 90% der Stadt erobert.
Während die Sowjets starke Reserven um Stalingrad
zusammenzogen, begannen sie von Nordwesten und Süden
mit der Gegenoffensive, die am 22. 11. zur Einkesselung der
der Masse der eingedrungenen deutschen Streitkräfte führte.
HITLER, der die Stadt zum Symbol deutschen Siegeswillens
stilisierte, verbot bei Todesstrafe kategorisch jeden Ausbruch.
Als die Rote Armee am 16. 1. 1943 den wichtigsten
Flugplatz im Kessel eroberte, brach die deutsche Luftversorgung
endgültig zusammen.
In den folgenden Wochen überrannten die Sowjets sämtliche
Verteidigungslinien der Deutschen und spalteten die
6. Armee unter General PAULUS.
Am 31. 1. 1943 kapitulierte der Süd- am 2. 2. der Nordkessel
mit 21 deutschen und 2 rumänischen Divisionen.
150.000 deutsche Soldaten waren tot, 91.000 gingen in die
Gefangenschaft. Verluste auf sowjetischer Seite: ca.
1 Million Zivilisten und Soldaten.

Der Film ist keine Nachzeichnung des Krieges. Er verzichtet
darauf.
Allerdings macht die Eingangssequenz auf die verheerende Lage
der zerstören Stadt aufmerksam. Insgesamt enttäuscht er aber
auf der ganzen Linie. Er ist weder dazu bereit, noch dazu in
der Lage, sich mit den historischen Fakten auseinander zusetzen
und ein Fanal gegen den Krieg zu sein.
Stalingrad interessiert ANNAUD nicht. Und er kommt diesem
Problem auch dadurch nicht näher, dass er in der Eingangszene
die barbarischen Kämpfe zwischen der Roten Armee am
östlichen Ufer der Wolga und den Deutschen schildert, das sie
noch nicht erreicht haben. Beim Überqueren des Flusses
sterben die Ersten; denn die deutschen Flieger sind gnadenlos
und beschießen die Truppentransporte per Boot.
Die Paranoia bricht sich Bahn. In ihrer Verzweifelung wollen
die russischen Soldaten die Boote verlassen, werden in die
deutschen MGs geschickt und bei Weigerung sofort von
russischen Vorgesetzen erschossen. Die Überlebenden werden
in die Schlacht geschickt.
Nur ein einziges mal und hier wird hier etwas vom Wahnsinn des
Krieges gezeigt: wie er Menschen vernichtet, wie er auf beiden Seiten
Leben nimmt, für immer und endgültig.
Mit in einem dieser Boote sitzt auch Soldat Vassili Zaitsev
(Jude LAW).
Er kommt mit der hübschen Frontsoldatin Tania (Rachel WEISZ)
zusammen, die er später wiedertreffen sollte.
Langsam lichten sich die Szenen, das Schlachtenpanorama
ist im Breitwinkelformat verschwunden, der Nebel lässt
Stalingrad rauchen, Boote und Güter werden verladen.
Das „Duell“ kann beginnen. Vielleicht sollte man besser sagen:
ein Westernduell mit Kriegshandlung.

Die nächsten Szenen bestehen aus Kampfhandlungen, die
Vasssili im Mittelpunkt sehen. Zwei Soldaten teilen sich ein
Gewehr. Wenn einer fällt, übernimmt der andere die Waffe.
Historisch betrachtet, kann es sicherlich im Verlaufe der
Winterschlacht zu Versorgungsproblemen gekommen sein.
Allerdings wäre es eine Torheit anzunehmen, die Rote Armee
hätte während des Krieges nur auf einen Bruchteil ihres
Waffenarsenals zurückgreifen können, um Menschen
und Material zu schonen. Das Gegenteil dürfte mit
Sicherheit der Fall gewesen sein. Und bereits hier wird die
Fragwürdigkeit von „Enemy at the Gates“ einmal mehr
deutlich.
Zaitsev versteckt sich an der Front und erweist sich als guter
Schütze, der in der Folgezeit als Einzelkämpfer deutsche
Soldaten und Offiziere erschießt.
Einer seiner Kameraden, den er tritt, und der eine Frontzeitung
herausgibt, ist voll des Lobes über ihn und stilisiert ihn zum
Helden, der Deutsche ausschaltet.
Dieser macht auch der Truppe und dem übergeordneten
Befehlshaber Chruschtschow (Bob HOSKINS) darüber Meldung,
der Männern Angesichts dieser Heldentaten Mut macht, in der
drohenden Niederlage einen Hoffnungsschimmer sieht.

Rezepturen gehen manchmal auf.
Überall liest man nun fortan über den Scharfschützen Zaitsev.
Selbst in Moskau ist man informiert.
Und so kommt es, wie es kommen muss. Die Spannung hält sich.
Major König aus Deutschland (Ed HARRIS) trifft ein, der von
ihm gehört hat und ihm den Garaus machen soll.
Jetzt beginnt das muntere Spielchen, ein Katz- und Maus Spiel.
Beide Männer, Scharfschützen, wissen nun um das Risiko, auf das
sie sich einlassen.
Der Krieg tritt nun in den Hintergrund. Alles was ihn ausmacht,
ist auf Anhieb verschwunden. Es gibt keinen Mangel: die
Ernährung ist gesichert (obwohl gerade sie eine genereller
Mangel im Krieg war), die Soldaten sehen wohlgenährt aus
rauchen und trinken. Offensichtlich ist auch die gnadenlose
Kälte kein Problem. Major König zieht genüsslich an einem
Zigarillo, bietet einem Spion Schokolade an und harrt mit
freudiger Erregung der Dinge, die da kommen.
Nichts in seinen Augen, dass an die Bestie Krieg erinnert.
Man bekommt förmlich den Eindruck, dass hier ein Fest
gefeiert wird, ein Schützenfest. Man wartet darauf, dass alle
anderen Schützen versagen, bis das Lied erklingt:
„Schützenliese, dreimal hat’s gekracht.“
Das Westernduell Wyatt Earp gegen Billy the Kid hat hier eine
Entsprechung
Dass mit Stalingrad Gefallene, Erfrorene, Verhungerte,
Krüppel und für alle Zeiten gezeichnete Überlebende verbunden
sind, daran erinnert der Film nicht. Er konzentriert sich auf diese
beiden Männer. Doch Stalingrad bestand nicht aus zwei Männern,
die das Schicksal einer Stadt entschieden.
Der Film suggeriert, dass die ganze Stadt, oder besser, die
Überlebenden, wie gebannt auf dieses „Duell“ zu blicken schienen.
Das kann nur als Verachtung gedeutet werden.
Vielleicht sollte man das schärfer formulieren: keine Ehrfurcht
vor den Toten, kein Blick für das Leid der Menschen, keine
Moralität und keine Werte.

Hier versucht sich ANNAUD ( „Am Anfang war das Feuer“, 1981,
„Der Name der Rose“, 1986, „Der Bär“, 1988,
„Der Liebhaber“, 1991, „Sieben Jahre in Tibet“, 1997) an einem
Thema, mit dem er bereits bei den ersten Schüssen versagt.
Zwar wird doch noch Moralität geheuchelt, als der Doppelspion
Koulikov (Ron PERLMAN) die Szenerie bereichert und sich
später nicht mehr an seinen ‚Verdiensten’ erfreuen kann, doch
das Spiel Läufer schlägt Bauer, König die Dame ist schon
längst entschieden und die Rührigkeit verblasst im Angesicht
von Fallen, Finten und Selbstaufgabe.
Major König entgeht seinem Schicksal nicht.
Stalingrad entging seinem Schicksal nicht. Die Deutschen
nicht, die Russen nicht.

Fazit: Der Krieg ging an der Elbe zuende, in Berlin.
Er wurde nicht von zwei Männern beendet und schon gar
nicht geführt.
Stalingrad leitete 1942 eine entscheidende Wende im
2. Weltkrieg ein. Am 6. Juni landeten die alliierten Soldaten
in der Normandie. Am 7./8. Mai 1945 unterzeichnete die
deutsche Wehrmacht in Berlin die bedingungslose
Kapitulation. Der Krieg war beendet. Die Welt atmete auf.

Dietmar Kesten 25.7.04 16:00