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Vertical Limit

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BERGSTEIGERDRAMA UND ACTION. Dietmar Kesten 1.1.05 13:53

VERTICAL LIMIT

BERGSTEIGERDRAMA UND ACTION.

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 1. JANUAR 2005.

Peter Garrett (Chris O’DONELL) und Annie (Robin TUNNEY)
kommen bei einer gefährlichen Felskletterei in Schwierigkeiten.
Eine voraus kletternde Seilschaft stürzt ab und reißt die beiden
und ihren Vater aus der Wand. Da die Karabinerhaken das
Gewicht der drei Menschen nicht tragen können, fordert dieser
Peter dazu auf, das Seil zu kappen um somit das Leben
der Geschwister zu retten.
Vier Jahre später trifft man sich wieder. Annie, die Peter die
Schuld am Tod des Vaters gibt, soll eine Gipfelbesteigung des
Milliardärs Elliot Vaughn (Bill PAXTON) auf den K2 begleiten.
Das Team gerät in einen Sturm. Nach einem Lawinenabgang
wird Annie mit zwei anderen Bergsteigern in einer Gletscherspalte
eingeschlossen.
Peter macht sich mit anderen Bergsteigern auf den Weg, um sie
zu retten.

Martin CAMPBELL („GoldenEye“, 1995, „Die Maske des
Zorro“, 1998, „Jenseits aller Grenzen“, 2003) hat mit
„Vertical Limit“ den Einstieg in das moderne Bergsteigerdrama
gewagt.
Die Dramatiken, die sich seit der Erstbesteigung der höchsten
Berge der Welt in den Wänden, dem Eis, dem ewigen Schnee
abgespielt haben, sind nicht mehr zu zählen.
Unzählige Bergsteiger ließen bei dem Versuch für sich Ruhm und
Ehre zu reklamieren, ihr Leben.
Und nicht selten waren es die sog. ‚Flachlandtouristen’, die mit
Bergführern bis in die Todeszone aufstiegen, um dann am Ende zu
erkennen, dass sie dort nicht bestehen können.
„Vertical Limit“ ist, um das deutlich zu sagen, nicht ein Film,
der die Philosophie des Bergsteigens vermitteln kann, so wie
das später ansatzweise „Sturz ins Leere“ (vgl. meine Kritik auf
dieser Seite) tat.
Das liegt dem Regisseur und der schlechten Schauspielerriege
eigentlich auch fern. Deshalb ist der Film auch keiner über das
Bergsteigen im eigentlichen Sinne, sondern mehr ein Actionspektakel,
das zur Vorlage die Hollywood-Blockbuster hat, in denen es
mehr um Konsum- und Techniksehnsüchte geht.

Handlungsdramaturgisch hat indes „Vertical Limit“ einiges zu
bieten. Beeindruckend ist die Kulisse. Das Bergpanorama ist sicher
abgefilmt und die Klettertouren sind spannend und dicht dargestellt.
Das ist dann allerdings auch schon das einzig, was neben der
Eingangssequenz auffällt.
Die scheinbare Geborgenheit am Seil, die Naturidylle, die
Wahrnehmung und die hilfsbereiten Freunde entpuppen sich schnell
als Bewährungssituation.
Mit diesem zwar richtigen Expose bricht der Film auseinander.
Alles ist nun vorhersehbar: das schlechte Wetter, die Lawinen,
der Absturz, der Versuch der Rettung, der Altvordere
Scott Glenn (Montgomery WICK), der mit mystischer Geduld seine
Frau im ewigen Eis wiederfinden will, und der die Gruppe
zusammenhalten soll, werden zu Banalitäten des Filmgeschäftes.
Das Normale wird brüchig, das Vertraute wird zur Oberfläche,
eine dünne Folie wölbt sich über Abgründe und Katastrophen.

Diese und ähnliche Vorhersehbarkeiten prägen in zahllosen
Varianten die Kinospektakel unserer Tage.
Der amerikanische und der englische Film treffen genau
hier zusammen.
Auf das Publikumsbedürfnis angesetzt, produzieren sie
aussichtslose Überlebenskämpfe inmitten von Infernos,
Atombombenexplosionen, Riesenkraken, Schlangen, Haien,
Spinnen, Flutwellen und Erdbeben.
Die Vernichtungsschläge der Natur unterlegen sie mit
der Sicht, das halt überall Gefahren lauern. Protagonisten,
Mitläufer und Unbeteiligte sind gleichermaßen dem Strudel der
Vernichtung ausgesetzt. Pietät ist für Hollywood halt ein
Fremdwort.
Und so wundert es nicht, dass überall der alte Konservatismus
ausbricht: jedes Individuum findet sich in ausweglosen
Situationen wieder. Diese werden in einem nie gekannten
Ausmaße offenbar und bedrohen alle.

Ohne innovativ zu sein, oder gar künstlerische Ambitionen
zu haben, ist „Vertical Limit“ eine reißerische Geschichte
mit einer durchgängigen Reality-Soap.
Die Schilderungen bleiben Hollywood-Standard. Ob solide,
muss man dahingestellt sein lassen.
Der Anspruch des Films erschöpft sich darin, für rund
2 Stunden dem Treiben in eisigen Höhen mit dem lächerlichen
Einschub der Rettung durch Nitroglycerin (Vorlage:
„Lohn der Angst“, Regie: Henri-George CLOUZOT, 1952)
zuzusehen.
CAMPBELL verschenkt zudem alle möglichen Ansätze aus
diesem Streifen ein nachdenkliches Bergsteigerepos zu
machen. Die Konzentration auf Situation und Verhalten
der Verschütteten in einer Gletscherspalte wäre eine
Möglichkeit gewesen, Lebenswillen und Opferbereitschaft
zu schildern.
Stattdessen triumphiert auch hier das farbenprächtige
Spektakel mit Ränke.
Das letztendlich die Rettung nur für einen Teil der nunmehr
Geläuterten ansteht, die durch zahlreiche Prüfungen,
Entbehrungen und Bewährungen geschickt wurden,
bedarf dann keiner Frage mehr.

Fazit:

Der dramaturgische Hunger Hollywoods ist keineswegs
gestillt.
All das, was der Spezies Mensch auf diesem Planeten
schaden kann, wird gnadenlos ausgeschlachtet.
Der eigentliche Skandal besteht darin, dass die genormten
Gefühle in der Gesellschaft in den Kontext dieser
riesigen Vergnügungsmaschine aufgenommen werden.
Massenprodukte und Serien sind jedoch nur der
cineastische Abgesang auf ein Amerika des klassischen
Hollywood.
In seinen moralischen und geistigen Werten tief verunsichert,
verliert es dabei schon fast jede Orientierung.

Dietmar Kesten 1.1.05 13:53