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Mulholland Drive - Straße der Finsternis

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IN WEM STECKT DIE BÖSE SEELE? Dietmar Kesten 3.10.04 12:40

DER MYSTERIE MAN - IN WEM STECKT DIE BÖSE SEELE?

MULHOLLAND DRIVE UND ANDERE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, JANUAR 2004.

Laut einer Forsa-Umfrage glauben über 80 Prozent der Deutschen an
Übersinnliches, Seelenwanderungen, Kontakte mit dem Jenseits,
Zukunftsvisionen und Zeitverschiebungen.
Da mag es nicht verwundern, wenn vor diesem Hintergrund
Mysterie-Serien im Fernsehen Hochkonjunktur haben, auf ein
Massenpublikum zurückgreifen können.
Die Höllenfahrt in das Land hinter dem Regenbogen begann mit
der berühmten Saga des David LYNCH (1), der seit Mitte der
80er Jahre in Amerika an einer Fernsehserie strickte, die geheimnisvoll
jenen mephistophelischen 'Normalen' auferstehen ließ, der zu
den Horrorvorstellungen der Moderne gehört.

LYNCH, der später vor allem mit „Wild at Heart“ (2) bekannt wurde,
stellte für die amerikanische Fernsehgesellschaft ABC eine
Mysterie-Serie zusammen, die zunächst in 7 Folgen gesendet wurde, und
den geheimnisvollen Namen „Twin Peaks“ trug.
Der Mythos der Serie, die zu Beginn der 90er Jahre auch erfolgreich
in Deutschland lief, ist simpel: Symptome der gesellschaftlichen Wirklichkeit
werden funktionalisiert bis sie nur noch aus Mythen und ungebundenen
Denkkonstruktionen bestehen, die die 'dunkle Seite' der Seele beleuchten.
Zukunftslosigkeit, die Verwirrung in der Zeit und des räumlichen Universums,
das Kontradiktorische, dass sich als kurzer Spot hinter die Erinnerung
zurückschleicht, ist die Obsession, die krude Philosophie dieser sprachlosen
Köpfe, die die Schatten der Welt vor dem großen Brand widerspiegeln.
Das, was aus der „Göttlichen Komödie“ (DANTE) bekannt ist, dürfte für
“Twin Peaks“ eine Vorreiterrolle gehabt haben: Dinge 'sehen', die
noch kein Mensch vorher 'gesehen' hat, Weltuntergangsvisionen auf
einer symbolhaften Ebene.

Wenn man hart am Stoff bleibt, und die Suche nach Artefakten nicht
in vorgefertigte Szenarien hineininterpretiert, dann ist „Twin Peaks“ das
Ende des Triebverzichts und die Vorbereitung auf die Höllenangst.
Dort lauert der „Mysterie Man“ hinter einem roten Vorhang, in einem
schalldichten und luftleeren Jenseits, zieht verborgen die Fäden, hält
mit den Schädelmessern und Zuchtbuchprüfern nach wehrhaften
Propheten und Gesandten Ausschau. Wenn es um die Bestimmung
des Wahren und des Edlen, der ästhetischen Vorlieben, und der
Abneigung gegen reflektierendes Denken jeder Art geht, dann
jagt der Wahnsinn auf Rossen der Vergewaltigung der Sinne
entgegen.
Als die Serie in den USA anlief, konnte sie natürlich schon auf unzählige
andere filmische Variationen zurückgreifen, in denen das verkapselte
Ende über die Bühne ging. (3)

Das kulturelle Erbe dieser dunklen Wolken wurde dort nur noch von
einer Fernsehserie übertrumpft, die ebenfalls zu Beginn der 90er Jahre
startete und regelmäßig mehr als ca. 20 Millionen Amerikaner/innen
pro Folge in den Bann zog. Gemeint ist „The X - Files,“ die auch in
Deutschland unter „Akte - X“ (4) ca. 4 bis 5 Millionen Zuschauer pro
Sendung hatte.
Die Moderne hatte zum ausgehenden 20. Jahrhundert und zu Beginn
des 21. Jahrhunderts nicht nur Cyberspace, New-Age-Bewegung,
Telepathie für die Wissenschaft, Astrologie, Pendeln, Stuhlrücken,
Kartenlegen, Geisterheiler, Bachblütentherapie etc. hervorgebracht,
sondern auch eine pseudokulturwissenschaftliche Theorie, mit der
der Untergang des Abendlandes eingeläutet werden soll.
Manfred SCHNEIDER meint dazu:
“Die Apokalypsendiskurse nehmen offenbar proportional mit der
Lebenserwartung zu.
Die Endzeit kann endgültig ausgerufen, sie kann aber auch als Auftakt
zu einer neuen Neuzeit angekündigt werden. Jede Vergangenheit sinkt als
ein gewesenes Weltende in die Archive. Nicht nur die großen Bücher wie
Oswald SPRENGLER „Der Untergang des Abendlandes“ markieren in
unserem Jahrhundert dieses unaufhörliche Endzeitgerede, aus der sich
Politiker ihre Gründe holen, ganze Bücherschränke sind voll davon.“ (5)
Diese Apokalyptik, in der immer Endzeit vorherrscht, in der es immer
um ein kurz bevorstehendes Weltenende, herannahendes oder
herbeigesehntes geht, ist die Zerrissenheit des Menschen unserer
Tage, „nämlich der Zerrissenheit zwischen Fortschrittsglauben und
Dekadenzbewusstsein“. (6)

Als Ersatzreligiosität drückt sie in verzerrter Weise ein unbewusstes
Bedürfnis unserer Zeit aus; denn das mystische Erbe ist ein typisches
Produkt des 20. Jahrhunderts, der Moderne, des Atomzeitalters. Und
seine Erfindungen rumpeln wie ein unverdauter Brocken im Magen der
Menschheit.
Elektronengehirne, die Wahlresultate voraussagen, Lügendetektoren,
die einen die Wahrheit gestehen lassen, Drogen, die einen Lügen
bezeugen lassen, Strahlungen, die biologische Ungeheuer
hervorbringen- all diese Entwicklungen innerhalb des warenproduzierenden
Systems der letzten fünfzig Jahre haben neue Aussichten und aktuelle
Schreckgespenster hervorgebracht, und auf diese grobschlächtige und
zugleich tastende Weise versucht das gesamte Mysterie-Erbe diese
Lücke zu füllen.

Von gelegentlichen Rückfällen einmal abgesehen, ist es der
Kulturpessimismus, der einen Antagonismus von Naturzuständen und
Kulturerkenntnis aufbaut, die in der Überzeugung gipfeln, dass es eine
Harmonie dieser mit dem Menschen in der 'organischen Staatsharmonie'
des Kapitalismus nicht mehr gibt, oder nicht mehr geben kann.
Er ist in diesem bereits extrem gefährdet, oder gilt schon als permanent
verloren.
Die Widersprüche der industriellen Produktion werden als unlösbare
Widersprüche zwischen Mensch und Maschine, ja zwischen Mensch
und gesellschaftlicher Organisation überhaupt interpretiert.
Diese falsche Kultur-Diagnose gipfelt daher in dem fatalen Plan, sich
den Mythen, den Märchen, den Mysterien und der Science-Fiction
im Fernsehen und im Kino zuzuwenden.
Über Raum- und Zeitfahrten (7), Roboterzivilisationen und
Supermenschen jenseits der Milchstraße zu lesen, zu berichten, zu
erfahren, wird in vielen gesellschaftlichen Bereichen und der Medienkultur
leider zur Gewohnheit.
Vermutlich wird das ganze Ausmaß dieser Hysterie erst dann klar,
wenn sie merkwürdige Symptome in den sozialen Systemen, den
zwischenmenschlichen Beziehungen, der Kommunikation untereinander
zeigen, und wenn die Heftigkeit dieser Sucht aus den Seltsamkeiten
und Verdrängungen heraus ans Tageslicht tritt.

Eines dieser merkwürdigen Symptome ist gerade in den letzten Jahren
zu beobachten: Mysterie-Serien, Romane (und irgendwo auch immer
Science-Fiction), Filme und Illustrierte haben einen enormen Zulauf
bekommen. In den USA werden jeden Monat weit mehr als 10 neue
Romane dieser Art verlegt, also etwa fünfzig Prozent mehr als etwa
Wissenschaftsbücher.
Einige große Verlagshäuser haben sich allein darauf spezialisiert, sich
mit den Mysterien der kosmischen 'Elementargewalten' zu beschäftigen,
und zwar auf kommerzielle Art, die einem den Atem nimmt.
Die 'Süchtigen' treffen sich in Klubs, halten Konferenzen ab, sprechen
einen 'kosmischen Slang', sind ausgerüstet mit 'Strahlengewehren',
schwören 'beim Raum', 'bei den sieben Ringen des Saturn', tragen
plastische Hauben über dem Kopf, und während man ihnen ansieht,
dass sie im schwerelosen Interstellarraum 'schweben' wollen, wird in
den Warenhäusern dieser ganze Schund, und der, der damit zu tun hat,
verkauft.

Mysterie-Helden (etwa Tom CORBETT) haben eine ganz eigenartige
apokalyptische Identifikation als Zeichen des Heraufdämmerns einer
neuen Vision in einer neuen Kunst geschaffen: die schrankenlose
Phantasie, die Kunstwerke des Flachen, die Fabel der
Vorstellung, die Versuche, das schlechte Karma zu absorbieren und
die Reinigung der Erde durch hochentwickelte Außerirdische zu
erreichen- die Sakramente des Millenniums!
Das ist das 'Irgendwo da draußen'!
Irgendwann müssen SIE also auf die Erde gekommen sein, die
Außerirdischen, um die sich Tausende Legenden ranken.
Und es spricht für ihre Einmaligkeit, für ihre höchste Intelligenz, die
keinen Messungen standhalten, keiner klinischen Methode der
Diagnose, dass sie sich in die paranoiden Züge unseres Heimatplaneten
einnisten, und damit beginnen, ihren Entrismus der 'unmittelbare Berührung
mit dem Unendlichen' zu praktizieren.

Die 'geistige Katalyse', die Zusammenfüllung der Einflüsse der vielfältigen
kosmischen Invasion beginnt dort, wo das gegenwärtige System Macht
über den Geist der Menschen gewinnt. Und die Grundlage dieser Prozedur,
die weder Moral noch Ethik kennt, ist die soziale Manipulation mittels
Verhaltenskontrolle. Es ist eine ausgezeichnete Methode von allen sozialen
und ökologischen Katastrophen auf diesem Planeten abzulenken,
die Neurose zu züchten, die in all ihren Schattierungen von einer durch
die Massenmedien manipulierten Gesellschaft tumber Jasager bis zum
totalitären Staat beherrscht wird.
Das Imperium schlägt daher zurück!!
Nicht, weil das Paradoxe in den traditionellen Methoden der
Schadensbegrenzung, der Flurreinigung, oder bestimmter Einsichten zu gipfeln
hätte, sondern weil die 'Rätsel', die aufgegeben werden, gelöst werden
müssen; denn die Lösung von Problemen bringt den Nervenkitzel hervor
und reduziert das Abenteuer der Menschen zu einem staubigen Haufen
von Theoremen, die in einer Urne auf dem Dachboden zu finden sind.

Die Kunst der Mysterie-Serien ist eine Form der 'Kommunikation' mit
Echo. Ihre Stippvisiten (als Alien oder Wurmfragmente) sollen dieses
Echo sichern, bis die zivilisierte Gesellschaft ihr Leben anderswo
fortsetzen kann, und bei der Eroberung ihres Wissens schließlich zum
ebenbürtigen Mitglied eines neuen Weltbildes werden kann.
Der Mensch aber kann die Vergangenheit nicht erben, er muss sie neu
erstehen lassen, oder: wenn das Imperium losschlägt, dann muss erst
recht die Unterhaltungsindustrie zurückschlagen.
Da dämmert es einem, wenn die Reise zum Mond mit kurzen Ausflügen
in den Orbit, als ‚Bildungsreisen’ verkauft werden, die zusätzlich noch mit
dem Flair eines beliebigen Urlaubs in der Südsee ummantelt scheinen.
Der menschliche Geist ist eben erfindungssüchtig. Jeder will ein
Captain Kirk sein, der mit der „Raumpatrouille Orion“ die Weiten des
Universums erkundet und nebenbei noch etwas dazu beitragen kann,
dass die 'natürliche Auslese' der Spezies auf ein kontrollierbares Minimum
herabgesenkt wird.

Menschen in der Selbsterfahrungsmaschine, abgeschottet von den
Problemen der Evolution, die scheinbar gelöst sind, der 'materialistische Faktor'
mutiert zum Zufallsgebilde, der solide Fels, auf dem das Universum
errichtet wurde, wird durch den Treibsand des Anhalter-Bahnhofs des
unberechenbaren Zickzacks eines Rauchpartikels ersetzt.
Der Kult des Zufälligen verschreibt sich der Ziellosigkeit. WIR landen bei
ihnen, SIE landen bei uns. Alteisenteile setzen sich zu abstrakten Gebilden
oder Flitter- und Flusenkram zusammen, und immer wieder ist es diese
eigenartige 'Befreiung', die die Schulen dieser zeitgenössischen Kunst
aus den Wissenschaften des Lebens bezieht - eine Primärinfektion könnte
man sagen.
Eine Welt, die zugepflastert ist mit Fakten über Fakten - so bekommen
wir zu hören - ist nicht mehr in der Lage, das 'wahre Erbe des Universums'
zu verstehen. In ihr gibt es keinen Platz mehr für Sozialisation, für den
Sinn des Lebens.
So hat es auch keinen Sinn nach Werten im 'Diesseits' zu suchen.
Krass ausgedrückt: die Endzeitschau gleicht den Versuchen eines Astronomen
mit dem Teleskop nach dem „himmlischen Paradies“ (DANTE) Ausschau
zu halten.

Das Genre des Mystischen, des Übersinnlichen, des Paranormalen, bleibt
nicht beim Auspendeln von Tomaten in einem Großmarkt stehen, sondern
es setzt stillschweigend die Kommunikation mit der Fantasy, die
Verschwörung in der Politik (8) und bekommt zusätzlich mit der beispielhaften
inneren Dramaturgie der Katastrophen- und Horrorfilme die Verpackung, die
ermöglicht, Tendenzen zur Entwertung der Werte, zur Eliminierung von
Sinn aus der Welt als aktuelle Grundstimmung zu deuten.
Der zynische Schwindel entlarvt sich selbst.
Wenn die FBI-Agenten Fox MULDER und Dana SCULLY (9) in einem
Vakuum gefangen, sich durch „geheime Akten“ (10) des FBI kämpfen,
werden wir schnell zum Spielball der Modeströmungen der Moderne, wo es
gilt die feindselige Aggressivität zu bekämpfen, die in jedem Menschen
zu stecken hat. Selbst im vertrauten Kreise ist man sich nicht mehr
sicher.

Überall wimmelt es von diesen Zwielichtzonen, der magischen Welt, der
Fernwirkungen des 'weißen Lichts'.
Diesen flüchtigen 'paranormalen Phänomenen' gilt der Kampf, der Kampf
in den Fernsehwelten, im alltäglichen Leben, in den US Mysterie-Serien:
“Pretender“, „Profiler“ (11), in der „Operation Phoenix“ (12) oder
“Outer Limits“(13), aber auch in „Millennium“ (14),
„American Gothic/Protector/X-Faktor“ (15), „Psi-Faktor/Poltergeist“ (16),
und eben in jener „Akte-X“(17), wo Serienmörder a la
Hannibal LECTER (18) munter eine Wiederauferstehung nach der anderen
feiern, geklonte außerirdische Schurken ein galaktisches Monster nach
dem anderen reproduzieren, prähistorische Larven 'geschickt' mit Impulsen
der Hochfrequenzströmungen in die Gehirnströme der Probanden gelangen,
in das White House eindringen, verschlüsselte Botschaften in die
Gehirnstrukturen schicken, in Nervenbahnen und Körperorganen ihr
Unwesen treiben, um dann die Menschen in die eigene Traumauflösung zu
schicken.

Wenn dann noch Entführungen an der Tagesordnung sind, die ihre
Genese in der hohen Repräsentation der jeweiligen Staaten haben
(meist der US-Regierung!), dann liegt diesem 'Spektrum der Entdeckung' die
Ränke der Oligarchie zugrunde.
Alle 'dunklen' Zwischenspiele, die in den Serien in den sogenannten
Inkubationszeiten (die Zeit, in der die 'plötzliche Erleuchtung' zum kreativen
Denkprozess ansetzt) stattfinden, kombinieren geschickt die Evolution von
DARWIN, die Abhandlungen MALTHUS über menschliche und andere
Populationen, die Hydrodynamik von MAXWELL (19), um darüber Modelle
für die Fortpflanzung der Außerirdischen mittels elektromagnetischer Wellen
zu schaffen.

Dieser Akt der Querbefruchtung, oder vielmehr Selbstbefruchtung,
scheint mit den Wesen der 'schöpferischen Bisoziation' (die
Erdentsprechung dürften vielleicht die Selbsterfahrungsgruppen sein!)
zu kulminieren, die von einem unveränderlichen Kodex von Spielregeln
beherrscht wird, die ihr Kohärenz und Stabilität verleihen, jedoch gleichzeitig
soviel an Variabilität beherbergen, dass sich ohne Mühe in die Kontexte der
Geschichte der Außerirdischen, ihrer Gedankengebäude und Denkbereiche
einpassen lassen.
Die reizvolle Mehrdeutigkeit des Wortes Kodex ist zudem ein Hinweis
darauf, dass mit den herkömmlichen Methoden die 'Schwingungen des
Raums', die die Außerirdischen benutzen, um ihre Ufos in die galaktischen
Bahnen zu lenken, nicht zu erklären sind: kodierte Nachrichten stellen uns
im Leben oder im Labor auf die Prüfung, und ist die Periode des Vorbereitens
an den Endpunkt angelangt, dann sind die Erdbewohner ganz beiläufig
von 'den Gegenständen' durchdrungen.
Somit leisten sie - ob sie wollen oder nicht - einen Beitrag zur
Geistestätigkeit der Alien-Geheimnisse.

Der „Nowhere Man“ als nützlicher Informationsfetzen, der eine wahllose
Vermischung von allerlei Ideen mit allen Rezeptoren im Gehirn vereinigt,
und dann als Kuppler fungiert, um den Dämon als verborgene Analogie
zwischen Kohlköpfen und Königen wahrzunehmen.
'Traue niemandem' ist die Quintessenz der 'Enemies'. Selbst ihre
Sprache hat sich bereits eingenistet, die nur als simple Trennwand zwischen
dem Denken und dem Kristall, oder einer Flüssigkeit fungiert.
Der Trick, auf den jede/r hereinfällt: Subjektivierung von Zeit und Raum,
Regression von physikalischer Kausalität zu magischer Kausalität und
Animismus, Symbolisierung der Gedächtnisprozesse, Verklärung der
präverbalen Stufen, Dramatisierung von abstakten Begriffen, und weil es
so ist, die 'verborgenen Verführer' selbst in der Grammatik und Syntax
stecken, muss der Geist von der Tyrannei 'befreit' werden, bis die Unschuld
des Blicks (katabolischer Aspekt) ein vertrautes Ereignis unter einem
überraschenden Blickwinkel in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Eine Reihe von Filmen haben dann auch bezüglich dieser Alien-Phobie
neue Maßstäbe gesetzt, die sich im übrigen nahtlos in den
Mysterie-Serien der Fernsehwelten fortsetzen.
Man erinnere sich nur an „Outbreak“ (20) von Wolfgang PETERSEN,
an „Independence Day“ von Roland EMMERICH (21), oder auch
an „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ von Bille AUGUST. (22)
Tatsächlich ist schwer zu begreifen, warum die 'Bedrohung' - als
Meta-Adaption gedeutet - die traumatisierende Herausforderungen, den
Menschen auf diesem Planeten im kommenden Jahrhundert in irgendeiner
Weise verändern sollte, und warum gerade galaktische Invasoren darauf
hoffen, dass ein neues Schamanentum mit dem Glauben an die
'Puzzlebox' entsteht?
Paranoia hat Kultur, sie ist Kultur. Der verschlungene Verschwörungspfad
muss die 'Selbstreparatur' des Individuums verlassen, die 'Veränderung' des
Genotyps ist angesagt, um das Gleichgewicht in einer sich wandelnden
Umwelt wiederherzustellen.

Das ist das Erfolgsgeheimnis, frei nach Goethe “Stirb und werde“. Es
sind die Aliens, die diese Vorgänge steuern, den Vorgang des Auflösens,
der Neuzusammenfügung, des Wahrnehmungsgefüges. Die 'Neuerung'
liegt im Schädel derjenigen, die es verstehen, die Qual ihres Lebens ein
Sekundenbruchteil lang in einer Spielkarte mit einer schwarzen
Herzkönigin 'zu sehen'.
Aliens sind eben 'gesegnete' Zufallsmutanten, die für uns das degenerierte
ökonomische und sozial zerfallende System wieder zusammenbasteln,
eine koordinierte Tätigkeit des eigenen Systems in Gang setzen, und die
Fluchtwege aus Sackgassen als Auswege beschreiben.
Man könnte das eine Art negativer Affinität nennen, in der sich in gewisser
Weise eine nachmaterialistische Physik widerspiegelt.
Zumindest will man das 'Ende der Wissenschaftsgläubigkeit' einläuten und
die Forschungsgesellschaft für Archäologie, Astronautik und SETI (Search
For Extraterristial Intelligence) macht keinen Hehl daraus, dass sie sich der
Suche nach diesen Aliens verschrieben hat.
So halten die Finalisten Einzug. Denkwürdig treten sie in die
nach-spiritualistische Phase der Parapsychologie ein, und wollen den
'Damm der Dogmen' brechen.

Die Mysterien der Welt aus dem 'allgegenwärtigen Geisterstoff'
zu filtern, das wollen sie alle.
Wenn das Ergebnis mager und enttäuschend ausfällt, dann liegt das
etwa nicht daran, dass ein Fahrgast in die Hölle geschickt wurde, oder der
funkelnde Stern das Pendel von FOCAULT von 1851 neu rotieren lässt,
sondern einfach daran, dass der Heureka-Ruf nicht reicht, um das
warenproduzierende System vor dem Absturz zu bewahren.
Aber wenn dann die Ideologien der Moderne der Verknüpfung mit den
'früheren Kulturen' nicht entschieden entgegentreten, dann sind sie, wie
auch das System, dass sie beherbergen, tatsächlich an ein finales Ende
angelangt.
Der Fernsehkult um diese Serien zeigt dann auch letztlich, dass das
Fernsehen allmächtig ist. Und Hollywood schickt sich an, selbst den
Kinomarkt für diese Ergüsse einzuspannen.

Doch LYNCH ist wie KUBRICK ein Ausnahmeregisseur.
„Mulholland Drive“ holt den „Mysterie Man“ wieder ein.
Es ist das Geheimnis dieses Filmes, obwohl er ständig mit
der plakativen Illusion, mit dem Mythos und der Seelenwanderung,
dem Unerklärlichen spielt, dass er die Ambivalenz des
menschlichen Daseins ständig problematisiert, gar verwischt.
Realität und Illusion. Rita (Laura Elena HARRING) und
Betty (Naomi WATTS), die authentischen Hervorbringungen
des Unterbewussten, eine Vergegenwärtigung von Traumerfahrung
und Spiel, und wenn man so will, eine verfälschte Realität, die
nicht in die innere Wirklichkeit des Individuums einzudringen
vermag, unterwerfen sich der Sehnsucht nach dem Nächsten,
der Sinnkrise, dem heftigen Wahnsinn auf der Jagd nach
Lebensgefühlen.

Wer das zu deuten vermag, erkennt den Wahnwitz der
skurrilsten Rand- und Nebenepisoden.
LYNCH ist auf der Jagd nach der dunklen Seite von Tragödie
und Leidenschaft. Dieses Symbiose verfeinert sich
zusehendst. Tragödie, Leidenschaft und die komischen
Seiten (hier als schwarzer Humor zu deuten) gründen in dem
Versuch einer Selbstfindung. Ganz besonders fällt die
Mischung aus Trivialem und Tragischem auf.
Die Geheimnisse unter der Oberfläche, die morbiden und
dunkeln Gratwanderungen geben den Film
„Mulholland Drive“ seine komplexen Psychologie.

Die Aktualität ist die bedrohliche Moral, die falschen Moralismen,
die ständig die schlechten Verhältnisse schaffen.
Und weil niemand es vermag, die gesellschaftlichen Normen
zu sprengen, bleiben die traditionellen Säulen der
bürgerlichen Gesellschaft erhalten.
LYNCH zieht hier die Fäden und macht deutlich, dass wir
Gefangene im Netz sind. Die bedrohlichen Männer im
Hintergrund wie der Erfolgsregisseur (Justin THEROUX)
und Cowboy (Monty MONTGOMERY) zeigen nur, dass wir
in einer brutalen, scheinheiligen und ungerechten Welt leben.
Sein geschichtsphilosophischer Pessimismus hat allerdings
Etwas. Immer kann das Leben die schlimmstmöglichen
Wendungen nehmen. Deswegen fehlt es „Mulholland Drive“
auch an moralischer Didaktik.
Was sollte auch sonst LYNCH ausdrücken wollen, wenn nicht
eine Absage an die Fortschrittsgläubigkeit?
Der selbstironische Altmeister verstrickt sich allerdings zu sehr
In dem Widersinn der Widersprüche. Einzig die Wirklichkeit
des Traums ist bei ihm evident.
Vielleicht ist das seine private Obsession. Aber die Geschichte
Ist keine Aufhebung des Raum-Zeit-Kontinuums, sondern
eine Bestätigung dafür.
Mit dem „Mysterie Man“ begibt man sich auf die Wanderung
durch die verlogenen Fassaden der Wohlstandsgesellschaft.
Da kann man sich LYNCH nur schlichtweg anschließen.

Anmerkungen:

(1) David LYNCH: Filmregisseur. Filme: “Blue Velvet” (1986),
“Wild at Heart” (1990), “Twin Peaks” (ab 1991), “Lost Highway” (1997),
“Mulholland Drive” (2001).

(2) „Wild at Heart“: LYNCH begann im Frühjahr 1989 mit den Vorarbeiten zu
dem Film, den er 1990 abschloss.
Die wesentlichsten Züge seiner Filmstoffe gleichen sich, und erreichten
sicher mit „Wild at Heart“ einen gewissen Höhepunkt. Es ist das ewige
Drama des „nicht zu Ende geborenen Mannes“ (Klaus Theweleit), der
eingesperrt im Labyrinth seiner pubertären Obsessionen gefangen bleibt,
schamanenhaft an 'beseelte' Objekte glaubt, und im Mimenspiel mit der
Maskenhaftigkeit der Menschen seine Bilder strickt, mal malerisch als
dramatischer Bilderbogen, mal mit zeitlichen Auflösungserscheinungen -
nicht durchkomponiert -, jedoch mit dem zwanghaften Blick auf alle
Formen körperlicher und seelischer Zerstörungen, Wahnsinn, Gewalt, Sex,
Mysterien, Tod, kurz: ein psychoanalytisches Ess- und Sehbesteckt,
postmodernes Konfetti in Bildern und Worten.
Der Mysterie-Man verwandelt sich bei LYNCH immer. Die Welt ist bei ihm
ständig in der Verwandlung. In „Lost Highway“ z. B. mit Hilfe eines Geistes, einem
Gewirr, einem Gebräu aus Licht und Wüstensand; denn wer hinter den Vorhang
schaut, ist schon verloren.
Der letzte dunkle Highway ist irgendwo im Sog 'des Wiedererkennens'
gespeichert.

(3) Vgl. z. B. „Blade Runnner“(1982), „Brazil“ (1984),
„Angel Heart“(1986).

(4) „Akte-X“ kam als Film im August 1998 in die deutschen Kinos.
Regie: Chris CARTER.
Darsteller: David DUCHOVNY (Mulder), Gillian ANDERSEN (Scully),
William B. DAVIS, Armin MUELLER-STAHL, Martin LANDAU.

(5) Zitiert nach Ingolf AHLERS: „Der Westen in Not. Planetarische Politik
und globale Kulturkämpfe im Zeitalter des Neokulturalismus“, in Krisis Nr.
20/1998, S. 33.

(6) Ebd. S. 33.

(7) Ein wichtiger Vertreter dieses Trends ist der Ufo-Papst
Johannes von BUTTLAR, der eine sehr extreme Variante des
Irrationalismus vertritt.

(8) Vgl. z. B. die politischen Verschwörungstheorien in „23“.
Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit und beschreibt Aufstieg
und Fall des Computerhackers Karl KOCH, der sich in den 80er Jahren
vom KGB anwerben ließ und unter mysteriösen Umständen in einem
Berliner Waldstück tot aufgefunden wurde.
Die Verschwörungstheorie, die in „23“ politisch verbrämt wird, basiert
u. a. auf mystische Geheimdienstverbindung der 'Illuminaten' (vgl.
auch Illuminatenorden der freimaurerischen-geheimen Gesellschaft des
18. Jahrhunderts), die entführen, rauben, zum Absturz bringen, morden etc.
Alles würde irgendwie mit der mysteriösen Zahl '23' zusammenhängen:
Geburts- und Todestage von Politikern, Zugfahrpläne, Jahreszahlen,
Hausnummern usw. Auf der Suche nach diesen
Verschwörern (vgl. auch Robert Anton WILSON: „Illuminatus“) verstrickt
sich Karl KOCH immer tiefer in die Absurdität.
Zwischen Brockdorf und KGB, zwischen Ost-Berlin und dem Netz von
Datenbanken, der Esoterik und Katastrophen spielt der sicher fesselnde
Hacker Film.
Der fade Nachgeschmack: die Weltverschwörung wird von den 'Illuminaten'
in Szene gesetzt. Ihre Machtmaschine und die totalitären Tendenzen breiten
sich unvermindert fort, bis die Gleichschaltung der Menschen erreicht ist.
Der Film begründete vielleicht den Mysterie-Kult in den deutschen Kinos.
Regie: Hans-Christian SCHMID (Januar 1999).

(9) Schauspieler in der Serie „Akte-X“.

(10) Die „Geheimen Akten“ des FBI geistern in der „Akte-X“ ebenso herum,
wie z. B. auch in „Adams Planet“ (1991). In dem Buch des Autors
Johannes von BUTTLAR wird davon ausgegangen, dass die amerikanische
Regierung seit 1947 Berichte über unbekannte Flugobjekte strengstens
verschlossen hält.
Auslöser dafür soll der sog. 'Roswell-Zwischenfall' gewesen sein. Danach soll
in der Wüste von Neu-Mexiko eines dieser UFO-Objekte abgestürzt sein.
Daraufhin soll TRUMAN sog. Geheimkommissionen ins Leben gerufen
haben, die diesen Vorfall untersuchen sollten.
Die Amerikaner sollen bis heute im „Besitz von Wrackteilen eines
außerirdischen Raumschiffes“ sein (vgl. BUTTLAR: Adams Planet, S. 226).

(11) Die Serien laufen auf VOX.

(12) Lief auf RTL.

(13) Lief auf Pro 7.

(14) Lief auf Pro 7. In der Zwischenzeit laufen dort eine Reihe anderer
Fantasy-Filme.

(15) Liefen sehr lange RTL 2. Auch dort gibt es in der Zwischenzeit
Fantasy bis zum Abwinken:

(16) „Poltergeist“ und „Profiler“ laufen auf VOX.

(17) Lief erfolgreich auf Pro 7.

(18) Psychopathischer Serienmörder aus „Das Schweigen der Lämmer“ (1991).
Regie: Jonathan DEMMES. Darsteller: Jodie FOSTER, Anthony HOPKINS,
Ted LEVINE.

(19) James Clark MAXWELL: Schottischer Physiker (1831-1879). Er
entwickelte u. a. die Theorie des elektromagnetischen Feldes (Elektrizität)
durch Mathematisierung der von FARADAY in die Physik eingeführten
Feldbegriffs.

(20) „Outbreak“: Apokalyptischer Filmstoff. Der Film beginnt mit mysteriösen
Todesfällen. Nach und nach stellt sich heraus, dass ein Totenkopf-Affe
Killer Viren überträgt. Das befallene Opfer blutet aus stirbt daran.
Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Dustin HOFFMANN jagt den Affen und kämpft für die Zivilisten und gegen
uniformierte Apokalyptiker.
Regie: Joe JOHNSTON/Maurice HUNT (1992).

(21) „Independence Day“: Alien-Spektakle aus dem Weltall. Außerirdische
greifen unseren Heimatplaneten an, um die Menschheit auszurotten.
Unter der Führung der Vereinigten Staaten raffen sich die Erdlinge
zum verzweifelten Gegenschlag auf. Regie: Roland EMMERICH (1996).

(22) „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“.
Ein kleiner Junge stürzt vom Dach - tragischer, tödlicher Unfall?
Smilla, eine junge Mathematikerin sagt etwas anderes, und hat ein
'sicheres Gespür' dafür, was wirklich geschehen ist.
Eine Suche beginnt. Undurchsichtige Existenzen kreuzen ihre Wege, bis
sie in die Eiswüste der Antarktis verschlagen wird. Die 'gefährlichen
außerirdischen Parasiten' sind es, die die gnadenlosen Verfolger waren.
Regie: Bille AUGUST (1996).

Dietmar Kesten 3.10.04 12:40