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8 Mile

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8 Mile Dietmar Kesten 15.12.03 09:32

8 MILE

Muss i denn zum Städele hinaus!

von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, Januar 2003.

Deutschland sucht den Superstar. Auf RTL kann man z. Zt.
bewundern, dass die Vernünftigen aussterben. Und selbst
die härteste Keule des Spotts reicht nicht aus, um diese
trostlose Situation der Medienwelten zu beschreiben.
Im Fernsehen proben die Selbstdarsteller ihr Inneres erbrechen,
und stellen sich und ihren Trieb zur Schau, sperren ihre Gedanken
in diesen Kommunikationskäfig, und sind kaum noch dazu in
der Lage, diese Kunstwelt von der Realität zu unterscheiden.
Im Fernsehen befinden sie sich in allerbester Gesellschaft mit
der Gedankenwelt der Vergangenheit; denn auch diese lebt von
der Zerstreuung, von der Verzweifelung, der Zertrümmerung der
Gefühle, und dem Gespür, dass die Gegenwart verloren geht,
und sich in einer unsicheren Zukunft niederschlägt.

Das Kino ist nun das getreue Abbild des Fernsehens. In der
Verstrickung von Illusion und Lebensfilm zelebriert es seine
blinde Herrschaft, und diese kulturelle Veränderung lässt
erkennen, dass sich das Leben selbst allmählich zu einem
eigenen Medium entwickelt, und dass wir dabei sind, gleichzeitig
Darsteller und Publikum in einer grossartigen, fortlaufenden
Show zu werden, die jeden Tag die Selbstzerstörung des
Individuums probt.
Die Verwandlung des Lebens in Unterhaltung und Verkauf
füllt die Köpfe nicht nur mit scheinbaren Vorbildern, sondern
auch mit einem Zustand des Rausches: das pure unterhaltsame
Spiel als Exhibition! Wie sehr sich doch Fernsehen und Kino
gleichen!

Jetzt macht sich auch in Amerika der HipHop-Superstar
Eminem auf, mit seinem ersten Spielfilm, den er in die Kinos
bringt, in diesem ‚Amüsierbetrieb’ (Adorno) Fuss zu fassen,
um die alte Weisheit der Politiker in die Hirne zu hämmern,
dass sich die Identifikation mit dem Publikum bestens für’s
Geschäft verkaufen lässt.
Diese ‚Bodenständigkeit’, falls damit Eminems Auftreten
angemessen gewürdigt ist, erscheint als probates Mittel,
dem Film eine ethische Rückendeckung für (s)einen abgelieferten
Schwachsinn zu geben.

8 Mile soll das Glaubwürdigkeitsgefühl der millionenschweren
Plattenverträge, die zu Eminem gehören wie seine wundersame
Herkunft aus dem Armenviertel, und die ihm Vergleiche mit
Elvis einbringen (etwa Thomas Gross in ‚Die Zeit’ vom 23. 12. 2002:
‚Eminem auf Elvis Spuren’ oder etwa Andreas Hartmann in der
‚Jungle World’ vom 24. 12. 2002: ‚Eminem ist also auf dem Weg,
der HipHop Elvis zu werden’), stärken.
Was dabei herausgekommen ist, ist eine komische Mixtur aus
Lebensveranstaltung und Gesellschaftskritik, aus HipHop-Monopoly
und billigen Ghettostrassen, deren Mythen eigentlich überwunden
schienen.
Doch Hollywood Regisseur Curtis HANSEN (L.A. Confidential)
entdeckt sie neu, steckt Eminem in ein Videoclip-Kostüm und
versucht so die Kultur des Mainstreams wiederzubeleben.

Das Musikgeschäft hängt an dieser Chiffre, an dem Symbol für
alles Mögliche, das man verloren haben kann und sucht (z. B.
die Kindheit im Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen),
oder den Sinn, Sinn des Lebens, Selbstverwirklichung, Erfüllung.
Die Message ist immer gleich: ein Verarbeitungsmuster für Trauer,
Einsamkeit, Liebe, und schliesslich die Vollendung des Meisters
im Finale, hier in der Musik.
Der Stoff, aus dem die Träume sind.
Der Held, der verlorene Sohn, der Raum, den der Rapper betritt,
ist seine Gang, seine Familie, und die Traumkarriere des
All-American-Boy, der auf einmal geläutert erscheint, und sein
negatives Image als Szenen-Rabauke schnell einmal aufpoliert.
Er verweigert den Joint, warnt vor Waffenbesitz im Waffenvernarrten
Amerika und begegnet Homosexuellen und Frauen mit nachdrücklichem
Respekt, was im eklatanten Widerspruch zu seinen Songs steht.
Aber der Filmbranche ist das egal.

Sie lassen ihre Helden im Gleichschritt die degenerierte kulturelle
Wüste durchschreiten, um am Ende im ungeheuerlichen Markterfolg
die Fratze ihrer ‚Vergötzung des Daseienden’ (Adorno) zu offenbaren.
Könnte das Illusionstheater jemals etwas anderes hervorbringen als
trübe Identität?
Die bürgerliche Verlogenheit, die in 8 Mile einmal mehr den ‚Wert’ des
Künstlers und seine Karriere steigern wird, ist im Kino tausendmal
erfolgreich geprobt: aus einfachen Verhältnissen kommend, entsteigt
man mit Bildern pittoresken Elends dem Chaos, schlägt sich durch,
und am Ende siegen die guten Charaktereigenschaften.
Der Glaube an das Gute, das offenbart das Kino, entdeckt man in
den charismatischen Persönlichkeiten, die sich mir nichts, dir nichts
verwandeln, und die Demarkationslinie der Verwahrlosung,
konkurrierender Gangs und einer undurchsichtigen lokalen
Musikindustrie mit einem Quantensprung hinter sich
lassen: ‚A Star is born’.

Eminem gleicht hier dem Pseudo-Leben von Elvis Presley und
seiner Künstlichkeit, die ihn umgab, als sein Stern sank.
Kluge Schachzüge seiner Manager verhalfen ihm, in der
Popularitätsskala einen vordersten Platz einzunehmen, und sie
sahen in der Beständigkeit seiner Publicity, die einzige Chance,
seine künstlerische Identität zu bewahren.
Mit einem Herz- und Schmerz Song (der aus dem November 1961
datierte Song ‚Cant help Falling in Love’ markiert die eigentliche
Wende von Elvis. Der ‚König’ des Rock’n Roll verwandelt sich in
einen Schnulzensänger), den sie ihm auf’s Auge drückten, versuchten
sie verzweifelt, seine Authentizität zu bewahren. Doch es gab
nichts mehr zu retten.

Elvis landete von 1962-1969 nicht einen einzigen Top-Hit,
und seine Mini-Soap-Opera ‚In the Ghetto’ ( April 1969) war nicht
mehr, als der Versuch einer Anpassung und Versöhnung mit
Plattenfirmen und Fernsehshows, die die ‚Tin Pan Alley’ Ära
irgendwie wiederzubeleben versuchten.
In dem immer gnadenloser werdenden Musikgeschäft war
jedoch sein Verfall vorprogrammiert, und er hielt sich nur noch
mit seiner Vergangenheit, die ihn einst berühmt machte, über
Wasser.

Sein ‚Ghetto-Credo’ ist das der heutigen Rapper, die über
MTV und Viva die Charts und Musikkanäle beherrschen.
Sie besitzen eigene Plattenfirmen, haben erfolgreiche
Management-Agenturen, Sportartikel-Unternehmen, sind
in der Modebranche eine feste Grösse: Erfolg als Sublimation.
Während im Kino öffentliche Lebensfilme mit Prominenten
in der Hauptrolle laufen, gibt es im täglichen Leben Milliarden
von persönlichen Lebensfilmen, die nicht auf die andere Seite
der Scheibe wechseln können.
Insofern ist die Selbstdarstellung Emimens nichts anderes
als eine breite Palette sich endlos wiederholender Gesten,
evozierenden Posen und pathetischen Gesichtsausdrücken,
die niemanden besonders tangieren können.
Die Sucht zu dominieren, ist eine unheilbare Krankheit.
Das macht seine Nähe zur RTL-Gemeinde aus.
Deutschland sucht den Superstar. Eminem schickt sich in
den USA an, ihn zu verkörpern, scheitert jedoch gänzlich
bei dem Versuch, die abstrakten Wunschbilder gegen
pragmatische Hoffnungen einzutauschen.

‚Was, wenn die Welt eine Art – Show wäre? Was, wenn wir
alle nur Talente wären...? Die grosse Show des Lebens!
Jeder ein Schauspieler! Was, wenn Unterhaltung der Sinn des
Lebens wäre!’ (Philip Roth)

Anmerkung:

8 Mile läuft seit dem 2.1.2003 in den Kinos.
Regie: Curtis HANSON
Musik: Eminem
Darsteller: Eminem als Jimmy ‚Rabbit’ Smith jr.
Omar Benson Miller als Sol George
Evan Jones als Cheddar Bob
Kim Basinger als Stephanie
De’ Angelo Wilson als DJ Iz
Brittany Murphy als Alex

Dietmar Kesten 15.12.03 09:32