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City of God

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City of God Dietmar Kesten 8.5.04 15:03

CITY OF GOD

GHETTOS, FAVELAS UND BANLIEUE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 8. MAI 2004.

Verwahrlosung, Gewalt, Drogen, Bandenkrieg, Dealer und
Mörder, Schicksale, Raubüberfälle, Hass.
Das Kino zeigt das Ghetto, von dem einst Elvis
sang (“In the Ghetto”, LP: “A Legendary Performer”, 1978,
Vol. 3).
Alles, was sich dort aufstaut, ein Leben ohne Perspektive,
kappute Menschen, die gekennzeichnet sind.
„City of God“ (Regie: Fernandes MEIRELLES, 2002) zeigt
Lebensgefühle. Die Kamera folgt den Einbahnstraßenschicksalen,
bei denen es kein Vorwärts und kein Rückwärts mehr gibt.
Schnitt- ob geschachtelte Häuserfronten, coole Gewaltbilder,
Rachemorde, fiese Typen, Lebensgefühl und Ästhetik: sie
begleitet das lässige Auftreten des Ghettoclans.
Ist es ein Selbstbildnis, das jugendliche Gewalttäter vor die
Kamera holt, die Faszination, die Ghettos auf Filmemacher ausüben,
wenn sie sich Randgruppenproblematiken nähern?

Ist es die Realität dieses Milieus, an dem man sich berauschen
kann, wie einst in „Menace 2 Society“ (Regie: Albert HUGHES/
Allen HUGHES, 1993).
Was soll protokolliert werden: etwa, das es für diese Menschen
keinen Ausweg mehr gibt, das die Globalisierung jetzt auch die
Armenviertel dieser Welt erreicht hat, was wir doch schon längst
wussten, oder das der Mensch Produkt seiner Umwelt und
der Erziehung ist?
Das Kino kann mit jedem sozialen Desaster etwas anfangen.
Ob es Streetwalker begleitet, Gefahren in Dokumentationen
beschreibt: es ist allgegenwärtig. Das, was heute
euphorisch gefeiert wird, ist morgen schon wieder
archiviert.

Der brasilianische Film „City of God“ ist streitbar
Wie viele der Ghettofilme, oder wie die, die vorgeben,
über Slums und Elendsviertel berichten zu wollen.
Er handelt von beunruhigenden und nachdenklichen
Innenansichten eines dieser Viertel, in denen alle
Tage gleich sind, alle Monate, alle Jahre- ein Leben
lang.
Wenn man in den Favelas aufwächst, ist die
Kindheit schnell zu Ende. Darüber, über
Rücksichtslosigkeit, die in Dadinho (Douglas SILVA)
verkörpert ist, Schüchternheit, mit der Buscape (Alexandre RODRIGUES)
nicht so richtig umgehen kann, und der davon träumt, Fotograf
zu werden, über Gesetzlosigkeit, die sich in der Person
Mane Galinha (Seu JORGE) niederschlägt, berichtet der Film
in Rückblenden.
Es ist die Geschichte von Jugendlichen aus einem Viertel
am Rande von Rio de Janeiro.
Er erzählt übergreifend vom Drogenhandel, Dealern,
von Abhängigen, Vergewaltigungen, von der Sucht, davon
loszukommen, ein anderes Leben zu beginnen.
MEIRELLES beschreibt Gewalt und seine Formen:
schwerbewaffnete Kids, hochgerüstete Polizei,
Ort der Krisen, Barbarei, die Aggression.

Eine Reihe von filmischen Hinweisen, Bilder,
Filmschnipsel, dreckige Aufnahmen, aus dem Rahmen
fallende Filmgemälde, belegen die Verschlagenheit
dieser Straßenviertel, Wohnblocks, die
Straßenzüge am Ende der Zivilisation.
Es sind Zeichen der verdrängten Gewalt, der neu
entstehenden, das Leben mit der Gewalt, die hier im
Film vor runden 15 Jahren begann, und die auch hier
endet.

Fast fühlt man sich an die ‚Black- Panther’ Bewegung
zu Beginn der 60er Jahre erinnert, wenn man die
Pistoleeros sieht, sie reden hört.
Ihr Outfit könnte einem Andy WARHOL Vorschlag
entnommen sein, ihre Frisuren lassen an Che GUEVARA
denken, und insgesamt liegt auf diesem Underground
Black- Musik.
Man fühlt, dass man sich in die Lage dieser Menschen
versetzen könnte, und trotzdem ist man froh, nicht zu ihnen
zu gehören.
Ein Leben ist schnell beendet.
Für eine Handvoll Dollar, lohnt es sich nicht zu sterben.
Auch nicht für ein paar Gramm Heroin oder Crack.

Jugendgewalt, ein Dauerthema im Kino.
Man muss sie darstellen, deutlich und mit Verve.
Doch leider hat die Bilderpopkultur einen Film,
der überragend hätte sein können, zerstückelt.
Das, was ehrenvoll begann, endet ehrlos,
was zu Anfang noch nachdenklich stimmte,
wird Klischee.
Bilder wie diese, in schwarz-weiß oder in Farbe
zeigen, dass selbst die heikelsten Themen den
Abnutzungserscheinungen dieses Geschäfts
unterliegen.
Der Blick der Kamera auf abgerissene Kleidung,
Goldkettchen, oder verstörte Gesichter,
sind (zu) aufdringlich als dass sie warnend wirken
könnten.
Wir wiegen uns auf der sicheren Seite, weil doch die
Bilder nur das Ghetto zeigen, nicht darüber
hinausgehen.
Und weil sich die Gewalt nur nach innen richtet,
beruhigt das.
Ein vermeidbarer Fehler?

Das Aussteigen ist indes ein schmaler Grat.
Drogen, Gewalt und Kriminalität sind allgegenwärtig.
Das Aufkeimen der Gewalt, seine Verselbständigung,
die Charaktermasken, hinter denen Sachlichkeit
und überforderte Zivilisation steckt- sie ist ein Grund
mehr, sich aus der eigenen Trutzburg zu befreien, und
sich trotz allem sachlich mit der Thematik zu
beschäftigen.

Der Ghettofilm „City of God“ mag eine filmische
Belehrung mit farbenprächtiger Optik sein.
Er ist manchmal einen Tick zu postmodern.
Das Schlachtermesser zu Beginn des Films
(inmitten eines Federviehs), das sich rotierend
auf einem Schleifstein bewegt, den Beginn der Kämpfe
signalisiert, darf nicht für die Moderne stehen.
Nicht heute, nicht morgen und auch nicht für
alle anderen Zeiten.

Fazit: Aus der Distanz heraus erfährt man hier
viel über den Zerstörungs- und Selbstzerstörungsprozess
des modernen Kapitalismus.
Man sollte sich aber nicht von der eigenen Ohnmacht
dumm machen lassen.
Zu aufgesetzt wirkt der Film.
Über alle Grenzen hinweg ist die gesamte
Modernisierungsgeschichte auch über die Ausgrenzung,
Globalisierung, gesellschaftlicher Kehrtwendung,
soziale Degradation, Verelendung und Entsolidarisierung
aufgebaut worden.
Die Ansätze des Films, das zu beschreiben sind
ehrenvoll.
Was soll er sein? Ein politischer, ein gesellschaftskritischer
Film, einer der eingebunden ist in die Geschichte
von jugendlichen Banden, von Menschen, die die Kurve
kriegen?
Vieles kann er nicht einlösen. Was er nicht einlösen
kann, muss die Aufgeklärtheit den Menschen
überlassen bleiben: dazu beizutragen, das wir selbst nicht
zu Emigranten im eigenen Lande werden.

Dietmar Kesten 8.5.04 15:03