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Darkness

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Darkness Dietmar Kesten 11.10.03 13:50

DARKNESS

DAS PUZZLE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 11. OKTOBER 2003.

„Zuhause, das ist das geilste Urlaubsland. Zuhause ist schön“ singt
Kanzler-Imitator Elmar BRANDT.
Man sollte meinen, dass sich mit diesem Slogan viele von uns anfreunden
können. Dem ist bei „Darkness“ nicht so.
Eine normale Familie zieht in ein Haus. Es wird sich nicht als Urlaubsland
entpuppen; denn schon bald hört der Sohn der Familie Paul (Stephan ENQUIST)
seltsame Geräusche und wird von unerklärlichen Visionen geplagt.
Dazu gesellen sich noch Schürfwunden und Prellungen.
Mutter Maria (Lena OLIN) schiebt jegliche Bedenken mit dem Hinweis auf Schlafstörungen ihres Sohnes in der neuen Umgebung hinweg.
Das Kind erlebt, wie das Haus und seine beginnende unheilvolle Geschichte
Besitz von ihm ergreift.
So langsam knallt Vater Marco (Iain GLEN) durch, leidet unter schrecklichen
Alpträumen aus der Kindheit, die urplötzlich alte Erinnerungen aktivieren, und
er läuft Gefahr, dem Wahnsinn zu verfallen.
Nur Tochter Regina (Anna PAQUIN) glaubt der Mutter und ihren
Versicherungen, es sei alles in bester Ordnung, nicht.
Sie und ihr Freund (Fele MARTINEZ) wollen herausfinden, was hinter
all dem steckt, während eine Schellackplatte aus den 20er Jahren erklingt
und die Furcht vor Finsternis und Dunkelheit suggeriert.
Die Schnitzeljagd kann beginnen.

Regisseur Jaume BALAGUERO („The Nameless“, 1999) nimmt sich mit
„Darkness“ der alten Gruselstorys an und spinnt sie weiter.
Grusel und Horror ohne Blut, welch eine Neuerung in den Splatter-Geschichten
der letzten Jahre.
Sie kündigten sich allerdings schon lange vor „Darkness“ an, und gehen bis
ins Jahr 1979 zurück, als Stanley KUBRICK sein Meisterwerk „Shining“
vorlegte. Man musste lange warten, bis die Gänsehaut mit Niveau die
Kinos erreichte. Abgesehen von der „Alien“-Sage, brachten die 90er Jahre
endlich die erhoffte Wende.
Zwar oft als Verballhornung dieses Klassikers, doch mit dem Gespür dafür,
dass die Kinowelt durchaus auch im Widerspruch zum Gemetzel steht.
„The Sixth Sense“ (Regie: M. Night SHYAMALAN, 1999),
“The Blair witch Projekt” (Regie: Daniel MYRICK/Eduardo SANCHEZ, 1999),
“The Others” (Regie: Alejandro AMENABAR, 2002) und
“The Gathering” (Regie: Brian GILBERT, 2003) nahmen den Kritikern ihr
höhnisches Gelächter, weil sie ohne den apokalyptischen Blutrausch und
das körperbetonte Abschlachten auskamen.

So kann „Darkness“ durchaus als Überraschung bezeichnet werden.
Hatte noch einst die Eskalation des Horrors mit „Halloween - Nacht
des Grauens“ (1978) von John CARPENTER für den entscheidenden
Schnitt in der Entwicklung des neuen Grusel- und Horrorfilms gesorgt,
so sind seit dieser Zeit pro Anno Hunderte solcher Streifen abgedreht
worden.
Viele davon kamen gar nicht in die Kinos, sondern dümpelten als
Video, später auf DVD vor sich hin.
Die abgewandelten Storys glichen sich wie ein Ei dem anderen.
Wenn, dann waren es die Meilensteine, die auf Grobschlächtigkeiten
und blutrünstige Schockeffekte verzichteten, einer Phantasielosigkeit
sowie ekelerregende Szenen durch die Mittlerfunktion der psychischen
Bedrohung ersetzten, um sie gleichsam als primäre Erzählperspektive
zu favorisieren.
Das hautnahe miterlebte Geschehen wurde dort nie aufgehoben,
sondern bis zur letzten Einstellung in jeden Winkel des Kinos
getragen.
Man bekam einen Eindruck davon, was es filmisch heißt, mit
visuellen und auditiven Mitteln als akutes Bedrohungspotential
zu arbeiten und sie transparent zu machen.
Die eigentlichen Gefahrensignale gingen höchstens vom
Vorführraum aus (Filmriss!). Die Spannung, die aufkam, wurde bis
fast ins Unerträgliche gesteigert.

Wer sich als Kind vor dem ‚schwarzen Mann’ fürchtete, dem wurde
in Bälde klar, dass im Kino die Verdrängung stattfand. Und bis auf
den heutigen Tag wird auf diese klassische Weise Verdrängungsarbeit
geleistet.
Mit dieser ‚suspense’ (spannungssteigernde Differenz zwischen
Zuschauer und den ständig wechselnden Erzählperspektiven
des Films) steht „Darkness“ auch in der Tradition der alten
HITCHCOCK Filme. Gedacht ist etwa an:
„Vertigo“ (1958), „Psycho“ (1960), „The Birds“ (1963), und vor allem
an die Orson WELLES Produktion „Touch of Evil“ (1958).
Während HITCHCOCK und WELLES mit den Ahnungen, Hoffnungen
und unterdrückten Wünschen des Zuschauers spielten,
und „Shining“ diese mustergültig umsetzte, schafft es „Darkness“, das
Wechselbad der Gefühle zu komprimieren.
Die Grammofon-Wiedergaben, die erklingen, verknüpfen
zusätzlich musikalisch die Vergangenheit mit den Stimmen und
Stimmungen der Gegenwart und erzeugen mit anderen eingespielten
Geräuschen eine seelische Tortour.

Jaume BALAGUERO und seine „Darkness“ Geschichte ist in weiten
Teilen ein beklemmender Mysterie-Thriller mit okkulter
Architektonik, Sektenglauben und Moon-Story.
Doch ist auch jene Mystifizierung dieser Geschichte (der Kreis, der mit
einer bevorstehenden Sonnenfinsternis geschlossen werden muss!)
ein Teil der Moderne, die die rationale Wirklichkeit verachtet und
die Hinwendung zu okkulten Phantasien, zur Phantasterei, zu
Animismus und Zauberei in einem erschreckenden Maße
zur Droge macht.
Der Sektenkult, dem man im Film ständig begegnet, hat sicher seine
Basis in dieser Irrationalität der Warengesellschaft, und dem Versuch
der Sektengläubigen, den Ausbruch daraus zu praktizieren.
„Darkness“ ist in weiten Teilen ein sehr spannender, beklemmender Film.
Seine überraschenden Wendungen bleiben bis zum Ende erhalten,
angefangen von einer sichtbaren Orientierungslosigkeit der agierenden
Personen bis zur Klimax im Finale. Er ist durchaus provozierend,
doch immer stilvoll. Und seine Spannungselemente, die zwar
voyeuristisch durch die Kamera betont werden, überzeugen durch
visuelle Power und dem Gespür für ‚gespielte Wirklichkeit’.
Für die fließende Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit kommt am
Ende erst die kindliche Einfalt zum richtigen Schluss; denn es ist nicht
originell die Lösung des Puzzles in verstaubten Büchern und Bibliotheken
zu suchen.
Hier hinkt der Film gewaltig. Der dramaturgische Triumph am Ende hebt die
offensichtliche Schwäche jedoch wieder aus den Angeln: die Gewissheit,
dass der Spuk nicht vorbei ist.

So entsteht ein sinnvolles Ganzes. Der ‚schwarze Mann’ ist nun nur
noch ein reaktionäres Wunschbild der Moralhüter; denn er existiert nicht.
Paul erfährt das ständig.
Und in seiner Vereinsamung ist er nur noch die Projektion der
unbewussten, ja verdrängten Angst derjenigen, die die Normen und
Regeln ständig verletzen.
Die Präsentation des filmischen Ereignis reicht selbst für diese scheinbar
schlüssige Interpretation nicht aus. Sie bleibt bruchstückhaft, subjektiv,
ja beliebig.
Geschichten über die menschliche Psyche gelten als Puzzle, als
Klaviatur der Angst. Das, was unter die Haut geht, ist nicht in sieben
Tagen und auch nicht in sieben Nächten aufgehoben.
Wenn daran gedacht wird, wie viele Menschen in ihrem düsteren
Weltbild leben, dann ist ihr Pate „Darkness“.
Panik, die uns befällt, ist etwas, das sich gänzlich unserer Kontrolle
entzieht. Spätestens dann wird es Zeit, die berühmten Männer mit der
Zwangsjacke aufzusuchen.
Weil der Kinosaal prädestiniert für die (pubertierende) Dunkelheit ist,
in der alles geschehen kann, lässt uns BALAGUERO mit seinem besten
Bild zurück: ein alter Architekt läuft am Stock einen mit Neonlicht
überfluteten Zubringer zu einem U-Bahnschacht entlang.
Unvermittelt verlassen alle anderen Passanten das Bild.
Das Heimliche wird zum Unheimlichen. Während er humpelnd auf
den Zuschauer zukommt, verblassen die Neonröhren, das Licht
kippt, die Dunkelheit verschluckt ihn.

Fazit: Die geordnete Welt zu verdrängen ist schon schwer genug.
Sollte sie dann noch aus den Fugen geraten, ist Beseitigung
angesagt.
Zweifellos ist die diffus empfundene Bedrohung und die eigene
Machtlosigkeit das Potential aus dem sich „Darkness“ ständig
erneuert.
Hier wird Angstlust erfahrbar. Und die Aktivierung eigener verborgener
Ängste ist nur durch die Distanz zum Film und zum Alltag möglich.
Trotz Schwächen absolut sehenswert.
Für Fans von: “The Birds”, “Shining“, “The Others“.

Dietmar Kesten 11.10.03 13:50