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Das Wunder von Bern

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Das Wunder von Bern Dietmar Kesten 18.10.03 13:46
Das Wunder von Bern Ulrich Verspohl 2.11.03 15:19

DAS WUNDER VON BERN

EIN PHÖNIX AUS DER ASCHE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 18. OKTOBER 2003.

Im Nachkriegsdeutschland wird auch wieder Fußball gespielt.
Bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz droht der deutschen Nationalmannschaft frühzeitig das Aus.
Sie geht als krasser Außenseiter ins Turnier und erringt überraschend
den Weltmeistertitel.
Diese Geschichte, 49 Jahre nach dem legendären Spiel gegen die
Ungarn (3:2), ist für Sönke WORTMANN ( „Kleine Haie“, 1992,
„Der bewegte Mann“, 1994, „Das Superweib“, 1996,
„Der Campus“, 1998, „Der Himmel von Hollywood“, 2002) Anlass,
den Mythos der deutschen Nationalelf um ihren Stürmerstar
Helmut RAHN noch einmal auferstehen zu lassen.
Der Film „Das Wunder von Bern“ ist auch die Geschichte des
Essener Fußballspielers RAHN, der sich einen Stammplatz in der
Nationalmannschaft erkämpft, und schließlich in Bern zum ‚winner’ wird.
Darum dreht sich diese fiktive Handlung, die mit Matthias
(Louis KLAMROTH), einem Fußballfan und Taschenträger des Stürmers
beginnt, die familiären Verhältnisse, in denen er lebt reflektiert, und vor
dem Hintergrund der Ruhrkulisse ein Nachkriegsmelodram inszeniert,
in dem das Heimkehrerschicksal des Vaters (Peter LOHMEYER)
ebenso angesiedelt ist, wie der Versuch, die politische und sportliche
Ebene der damaligen Zeit miteinander zu verbinden.

Mehr als irgendeine andere Spezialität der Moderne war es der Fußball,
der die Einheit von Leichtigkeit und Schwere zu symbolisieren
begann. Sein System hat keinen Zweck, da es bistabil ist; denn man
kann gewinnen und verlieren.
Alle Positionen (auf dem Feld und in der Tabelle) wechseln ständig
und auf Grund spezifischer Eigenarten (Taktik, Zufall und anderer
Handlungsstränge/ Phänomene) gelingt es dieser Sportart,
Millionen zu begeistern.
Der Marktwert ist kaum zu überschätzen. Man kann nicht nur die Bälle
als Erwerbsquelle betrachten, sondern auch Spieler wie in einem
Basar kaufen- und verkaufen (‚Bossmann’ Urteil, 1995).
Die Zuschauer, schrieb einst Niclas LUHMANN, „können sich mit dem
Gewicht ihrer nationalen Gefühle, ihre Fans sogar mit dem Gewicht
ihrer Körper engagieren“ (Niklas LUHMANN: „Short Cuts“, 2001).
Kurz: Fußball leidet in der modernen Gesellschaft ebenso an den
Widersprüchen des Kapitalismus wie die kapitalistische
Geldmaschine selber, und er hat im Laufe seiner Geschichte jene
inneren Widersprüchlichkeiten hervorgebracht, die auch immer
wieder Nationalismus (z. B. rechtslastige Hooligan Szene) und andere
Drohgebärden(Aggressionen, Fanlager, Racheakte) begünstigten.

Vor diesem Hintergrund ist das „Wunder von Bern“ nun gar kein
‚Wunder’ mehr; denn irgendwo begann selbst im Fußball der Bilderbogen
der Paradoxie (Spieler, die noch vor Jahren durch den Schlamm liefen
wurden Millionäre!), und mit der 1. Bundesliga (Start: 24. August 1963)
setzte der eigentliche materielle Höhenflug von Spielern, Medien,
Funktionären und Werbeträgern ein.
WORTMANNs Beitrag zu einem (historischen) Ereignis, welches nun der
Gewinn der Fußballweltmeisterschaft ohne Zweifel war, ist deshalb sehr
schillernd, weil er sich auf einem Niveau bewegt, dass von den
Folgeerscheinungen absieht und zufällige Vorfälle (über den Rasen
laufen) zu einem Weltereignis stilisiert.
Da ist der Grat, auf dem er sich bewegt äußerst schmal; denn selbst
noch heute ist es relativ einfach, den nationalen Rausch (Deutschland
war nach einem verlorenen Krieg endlich wieder eine nationale
Größe) zu verklären, aber auch gleichzeitig das Museumsstück der
54er Elf im geißelnden Licht der individuellen Schicksale
(angefangen vom Spätheimkehrer bis zu Helmut RAHN, der sich wohl
nie mit den Eigenarten des ‚Chefs’- Sepp HERBERGER- anfreunden
konnte) und jener Kulturindustrie zu betrachten, für die die alltägliche
Wahrnehmung zur Richtschnur von Massenkultur und
Warenproduktion geworden ist.

WORTMANN entwirft daher auch ein konservatives Bild vom Gewinn
der Weltmeisterschaft, was konservativer gar nicht sein kann.
Er bettet den Sieg über die Ungarn in ein verlorenes Gefühl ein,
in ein Deutschland, das mit Hilfe der USA begann, sich zu einem
neuen Kapitalismus zu mausern, in dem der Profifußball eine
nicht zu unterbewertende Rolle spielen sollte.
Wer einen solchen konservativen Film abliefert (1), der begeht dann
Schnitzer über Schnitzer, und jene deutsche Geschichte, primär aber die
Bewältigung der Vergangenheit, wird völlig unreflektiert erzählt.
Da ist die Rolle des Vaters, der gebrochen aus der Kriegsgefangenschaft
zurückkehrt, die Familie, die trotz Entbehrungen den Plan einer
Zukunft entwirft, und da ist Matthias, der den ‚Boss’ verehrt.
Sie alle beginnen dem neuen Wirtschaftswunder zu huldigen und
verstecken sich hinter der Fassade ihrer eigenen Schicksale.
Die emotionale Richtung, die man seit Hildegard KNEF, Heinz RÜHMANN,
Gert FRÖBE oder Heinz WEISS kennt, ist immer gleich: man bemüht
die Tränendrüse, das Kokketieren mit Opfern und Tätern, familiären Dramen,
Rührseligkeiten, starken Männern, schwachen Frauen und Töchtern,
weinerlichen Söhnen.
Das alles wird zum Einheitsbrei. Und er gedeiht bestens, wenn sich dazu
noch ein Fußballspiel gesellt, welches mehr vom Ruhm als von (s)einer
fußballerischen Kunst zehrt.

Der Rest ist ein Baukastensystem.
WORTMANN setzt ohne erkennbaren Grund nachgestellte Szenen
aus dem WM-Endspiel im Berner Wankdorf-Stadion ins Bild.
Die ‚Liebe’ zum Detail entpuppt sich hier als Bumerang, weil ein
Pixelpublikum, ein virtuelles Publikum Deutschland nach vorne
schreit und echte Endspielszenen erst gar nicht auftauchen. Und
hatte damals das Publikum nicht „Deutschland, Deutschland,
über alles“ gesungen?
Wie schlecht muss es um den deutschen Film bestellt sein, wenn
darauf zurückgegriffen wird.
Sepp HERBERGER, der Trainer der deutschen Nationalmannschaft,
spricht eigentlich nur die Sätze, die zum Vokabular jedes
Fußballinteressierten gehören. So wird er zur Randfigur.
HERBERGER (Peter FRANKE), dem die Sätze angedichtet werden:
„Der Ball ist rund. Ein Spiel dauert 90 Minuten“, „Wenn Du nicht
weiß wohin mit dem Ball, schieß ihn ins Tor“) lächelt immer
süffisant, wohl auch über seine eigenen Floskeln.
Der legendäre Sportreporter Herbert ZIMMERMANN fristet sein
Dasein an der Außenlinie und darf noch einmal die Sätze
anstimmen: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn
schießt auch... Tor, Tor für Deutschland, Deutschland ist
Weltmeister“, und inmitten des Trubels auf den Fußballplatz
taucht Matthias, der Taschenträger, auf.
Die historische Zuordnung ist damit fern jedes realen Sachverhaltes.
Hauptsache ist: Deutschland ist wieder wer!!
Die hintertreppige Gedankenführung gipfelt in der Verklärung eines
Mythos, den die Zuschauer noch einmal nachvollziehen sollen,
hoffentlich ein letztes Mal.
Am Ende sollte man sich sagen: wer im Fußball auf die Nase
fällt, der hat noch längst nicht verloren.

Fazit: „Das Wunder von Bern“ ist ohne einen wirklichen
Höhepunkt. Der Film ist unterhaltsam, wie viele andere auch,
doch in seiner Künstlichkeit und Überhöhung von Emotionen
und Euphorie ist er nur ein Teil der deutschen Melancholie
nach 1945.
Er ist kein „Kinowunder“ (‚Cinemaxx, Oktober 2003), sondern
ein Kinoreinfall.

Anmerkungen:

(1) Diedrich Diedrichsen meinte sogar in „Die Zeit“
vom 16. Oktober 2003 dass Wortmann „national-allegorisch“
erzählt.

Dietmar Kesten 18.10.03 13:46