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Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs

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Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs Markus Wolf 27.12.03 12:17

Nach Dietmar Kestens Kritik sehe ich mir den Film lieber nicht an. Furchtbar, dass all die alten überkommenen Mythen, die Tolkien in seiner Schwarte verwendet, zum Erzählen einer Geschichte benutzt werden. Ich werde statt dessen vor meinem Kamin hocken, Philosophie und Gesellschaftskritik studieren und über Wege nachsinnen, Faschismus, Rassismus und Kriegstreiberei in mir zu bewältigen, da ich an den vorangegangen Filmen, wie ich schuldbewußt gestehe, Freude hatte.
Ganz im Ernst: Ich habe den Film gesehen und war etwas enttäuscht, da er wirklich nur eine Light-Version des Buches ist. Sarumans Tod: auf der DVD, Eowyn und Faramir in den Häusern der Heilung: auf der DVD, Bruce Spence als Saurons Mund: auf der DVD, Aragorn und die Armee der Toten erobern die Korsarenschiffe: auf der DVD, Gandalf und der Hexenkönig: auf der DVD, Merry wird in die Dienste König Theodens aufgenommen: auf der DVD etc. Ich hatte am Ende das Gefühl, nur einen Teil des fertigen Films gesehen zu haben, ein Best-of, das gnadenlos in gut drei Stunden untergebracht werden musste. Nichtsdestoweniger eine erstaunliche Leistung Peter Jacksons, die in die Filmgeschichte eingehen wird. Respekt auch, dass er den Mut zu der vielfach kritisierten, halbstündigen Coda hatte. Immerhin haben wir es mit einem Zehn-Stunden-Film zu tun. Noch ein Wort zur vorangegangenen Kritik: Natürlich sind Anklänge zu Leni Riefenstahl-Inszenierungen spürbar, und man kann bei gewollter Interpretation dem Film zweifelhafte Tendenzen unterschieben. Es ist eben nur fraglich, wo die Grenze zwischen Manipulation durch einen Film und der eigenen Paranoia vor aufkommendem Faschismus etc. liegt. Ich für meinen Teil habe die Filme sehr genossen, Tolkien-Puristen und der vorhergehende Kritiker werden das anders sehen. Möglicherweise bin ich ein leichtfertiges, denkfaules und manipulierbares Subjekt, aber irgendwie schießt mein Vorgänger etwas über das Ziel hinaus. Ich warte auf jeden Fall auf die Extendend Edition der DVD, auf der die oben aufgeführten Szenen hoffentlich alle zu sehen sind.

Das hier gehört eigentlich in die Sparte "Antworten" zu Herrn Kestens Kritik. Ich füge es aber an meinen Beitrag hinzu, weil hier durchaus Raum für Denkanstösse ist:

Lieber Herr Kesten

ich muss Ihnen ganz ehrlich gestehen, dass ich beim ersten Lesen Ihrer Kritik etwas den Kopf geschüttelt habe. Aber auch wenn ich nicht mit ihr übereinstimme, hat sie mich etwas nachdenklich gemacht.

Ich musste an ein Erlebnis denken, welches Stephen King in seinem Sachbuch „Danse Macabre“ schilderte. Er besuchte mit seinem Sohn eine Aufführung des Walt-Disney-Zeichentrickfilms „Bambi“. Und obwohl er sich bewusst war, dass er manipuliert wurde, begann er bei tränentreibenden Momenten der Handlung zu weinen, voller Ärger über sich selbst. Das brachte mich dann umso mehr ins Grübeln. Ist diese Manipulation verwerflich, oder spricht sie dafür, dass ein Kunstwerk gelungen ist? Sicherlich ist das Erzählen einer Geschichte, sei es literarisch auf Buchseiten durch bloße Sprache, dramatisch auf der Theaterbühne mit ihren Mitteln oder auf der Kinoleinwand, auf der sich Bilder mit vielfältigen Konnotationen aneinander reihen lassen, doch erst dann gelungen, wenn der Leser sein Interesse an den Protagonisten und ihren Konflikten behält. Ist diese Sicht aber noch zeitgemäß, oder sollten wir nach Brechts epischem Theater vielleicht über diese hinausgewachsen sein?

Ich hatte für drei Stunden meine vielfältigen Probleme vergessen und muss gestehen, dass ich in pathosbeladenen Momenten (Ritt der Rohirimm etc.) mich fast körperlich einbezogen fühlte. Und obwohl ich oftmals etwas den Kopf schüttelte über Dialoge, die sehr stark auf die Tränendrüse drückten, wurde diese bei mir dennoch angesprochen.

Jetzt, hinterher, stellt sich bei mir die Frage, was den Unterschied zu einem Film wie „Hitlerjunge Quex“ oder „Kolberg“ macht. Mit Söhnke Wortmanns Film „Das Wunder von Bern“ ging ein Aufatmen durch den Blätterwald. Endlich sind Pathos und Gefühle im deutschen Film wieder möglich! Die Frage ist eben, gewinnen wir damit eine Unschuld zurück, die wir eigentlich verspielt haben, oder sind wir bereits auf einem fatalen Weg, Dinge pathosbeladen zu vereinfachen?

Sollten wir nicht auf rationale Weise für uns selbst überprüfen, wie wahrscheinlich die bewusste Absicht der Zeichnung konservativer, überkommener Bilder ist, die sie an den Filmen doch offensichtlich bemängeln? Ist es nicht sehr viel wahrscheinlicher, dass Peter Jackson als großer verspielter Junge jenseits aller Gesellschaftsproblematik einfach nur einen gigantischen Film schaffen wollte, ein großes Räuber-und-Gendarm-Spiel in seinem eigenem heimischem Sandkasten? Da gleich tiefgründige gesellschaftliche Hintergründe herbeizuzitieren, erscheint mir irgendwie – bitte nicht beleidigt sein – auf eine 68erhafte Art antiquiert. Es ist natürlich die Frage: Wenn wir uns bereitwillig von einem Film manipulieren lassen, sind wir dann denkfaule Lämmer, in gewisser Weise zu degeneriert und manipuliert, um Wahrheiten hinter Pathos zu erkennen. (Und wenn ich sehe, was uns von den TV-Sendern jeden Tag rund um die Uhr ins Haus geschickt wird, ohne dass ein Massenprotest ausbricht, frage ich mich, ob wir nicht wirklich so weit sind!) Oder sind wir einfach unverkrampft und genießen die Aufbereitung alter Mythen, eben jener Ihnen so verhassten Heldenlieder, deren Wirksamkeit wie es scheint, nie nach lässt? (Sonst wäre die heutige dramatische Kunst ja nur noch Brechts episches Theater, oder?)

Vielleicht bin ich zu feige, eine konkrete Meinung abzugeben. Ich merke gerade, dass ich nur Fragen gestellt habe. Ja, ich mag die Filme, sie sind für mich eine perfekte Weltflucht, und ich bin mir dessen bewusst. Aber ich weiß auch, dass dies eine gefährliche Gratwanderung ist. Wenn plötzlich das Gefühl wieder Einzug hält ins Kino (siehe in Deutschland „Wunder von Bern“) und dann nicht gleich die Keule des Kitschvorwurfs geschwungen wird, muss das nicht negativ sein. Ich habe immer das Bild einer wunderbaren, sehr schmackhaften Torte vor mir, die im Übermaß genossen allerdings den Magen verderben kann. Wann immer ich anfange, Ihre sehr rational-analytische Welt etwas zu betrauern, kommt mir wieder ein Film wie das Nazipropagandawerk „Kolberg“ in den Sinn, und ich rufe mich innerlich selbst zur Wachsamkeit. Ich denke, ein Merkmal, dass man in seiner Identifikation mit fiktiven Helden und Handlungen zu weit geht, ist, wenn die kritische Auseinandersetzung über die Filme zu emotional wird und zu persönlichen Angriffen führt. Allerdings kocht gegen Ende Ihrer Kritik – seien Sie mir da bitte nicht böse - ebenfalls die Passion etwas hoch. Und ob die Verfilmung von „Herr der Ringe“, die ja in ihrer Entstehung ein ganz eigenes, bemerkenswertes Abenteuer und Glücksspiel, welches so gar nicht auf den Markt ausgerichtet war, in den Archiven verstauben wird, nun, da habe ich doch meine Zweifel. „Intolerance“, „Vom Winde verweht“ und „Triumph des Willens“ sind unabhängig ihrer fragwürdigen moralischen Haltung filmische Klassiker, die keineswegs vergessen sind. In diesem Sinne hoffe ich, ich war nicht zu harsch und verbleibe, über die Frage grübelnd, ob ich ein manipuliertes Schaf oder ein in aller kindlicher Unschuld genießender bin,

Ihr Markus Wolf.

Markus Wolf (Homepage) 27.12.03 12:17