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Kill Bill - Volume 1

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Kill Bill - Volume 1 Dietmar Kesten 19.10.03 12:39
Kill Bill - Volume 1 FlowZ 21.10.03 13:13
Kill Bill - Volume 1 Daniel Hamers 19.10.03 23:12

KILL BILL: VOLUME 1

PROVOKATION ODER UNSINN?

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 19. OKTOBER 2003.

Quentin TARANTINO legt mit „Kill Bill: VOLUME 1“ seinen
vierten Film vor.
Nach „Reservoir Dogs“ (1992 ),“Pulp Fiktion“ (1996) und
„Jackie Brown“ (1998) hat er nun einen Actionsthriller gemacht, der
vorab viele Vorschusslorbeeren erhalten hat, und selbst als
„kompromisslosestes, meisterliches und bestes Werk“ (so Dirk JASPER
in seinem Online-Filmlexikon) gefeiert wird.
Ist er das?

Zum Inhalt: Uma THURMAN, die man nur die ‚Braut’ („The Bride“) nennt,
liegt seit einigen Jahren im Koma. Als sie wieder erwacht, kennt sie nur ein
Ziel: Rache!! Sie spürt den Attentätern ihrer Hochzeitsgesellschaft nach.
Und sie will Vergeltung üben. An denen, die fast ihren Tod verantwortet
hätten, an ihren einstigen Freundinnen und Weggefährtinnen, die sie mit
einer Kugel im Kopf um ihren Verstand brachten und sie einfach wie ein
weggeworfenes Ding liegen ließen. Rache an ihrem Ausbilder und
Chef Bill, der sie liebte und den Auftrag für ihre Beseitigung gab.
Mit Wut im Bauch und kopflos stürmt sie als Schwertkämpferin voran und
bereitet einen Rachefeldzug vor, der keine Gnade kennt.

Gut drei Stunden lang wird TARANTINO das Ziel verfolgen,
Uma THURMAN mit dem Schwert in der Hand bei ihren seriellen
Metzeleien zu begleiten. In Part One beginnt das Massaker, und es wird
sich im nächsten Jahr blutig fortsetzen.
Ist der neue Film tatsächlich eine Hommage an die Kung-Fu Filme, eine
Danksagung an das Martial Arts Kino, an die Samurai Filme und
Spaghetti-Western?
Gespickt mit Zitaten und Anspielungen, die aus diesem Genre entnommen
sind, der alten japanischen Philosophie über Tod, Rache und Gewalt
entlehnt werden, holt TARANTINO zu einem Projekt aus,
dass er selber als „Wut einer Mutter“ und „Greatest-Hits-Sammlung“
(Interview mit „Die Zeit“ vom 9. Oktober 2003) der
„Actions-Unterhaltung“ (ebd.) bezeichnet hat.
Mit viel Gewalt, die Uma THURMAN als Killerin zeigt, will TARANTINO
nun das einlösen, was die asiatische Kultur- und Kinogeschichte zur
Kunstform machte. Und mit den unreflektierten Begriffen von ‚Ehre’
und ‚Rache’ macht er sich daran, blutige Vergeltung in Szene zu setzen,
bei der sich einem der Magen umdreht.

Man fragt sich, was TARANTINO bezweckt!
Waren seine Vorgängerfilme tatsächlich Kult, in denen er sein ganzes
Können aufbot, um realistische Szenen und Charaktere rüberzubringen,
so kann der bluttriefende Siegeszug mit abgetrennten Köpfen,
Gliedmaßen, quellenden Eingeweiden und Blut, das aus den Körpern
wie eine Wasserfontäne spritzt, wahrlich nicht in den Kultstatus
emporgehoben werden.
Sein Actions-Kino ist die plumpe Wiederholung all der Streifen,
die mit fulminanten Waffenarsenalen angetreten sind, die in den
Händen der Superhelden gelegt, die Welt retten sollen, oder um
ihrer Ideologie zu folgen, aus einer inhumanen Welt eine humanere
zu machen. Dazu dient ihr der Mechanismus der Gewalt, die
die Brutalität sanktioniert und als gesellschaftlich reales Ereignis
ständig wiederbelebt wird.
TARANTINO hackt sich nur eine Schneise durch den Film,
der mit einem Mord beginnt und auf einem Schlachtfeld endet,
das unsere Killerin als Siegerin verlässt.
In den wenigen ruhigen Szenen sehnt man sich bereits nach
einer halben Stunde danach, es möge so bleiben. Doch
der einstige Kultregisseur kennt keine Gnade; denn sein Blutrausch geht
nun erst richtig los. Mit Panik, Todesangst und von einem
psychischen Trauma beseelt, entwaffnet die Heldin nicht nur ihre
Widersacher, sondern auch die Kinobesucher, die sie mit einem
Samurai-Schwert verfolgt und zum Glück nicht massakriert.

Hatte noch RODRIGUEZ in „Irgendwann in Mexiko“ (2003) gezeigt,
dass seine pointierte Handlungskulisse im dialektischen Umschlag von
objektiver dramatischer Ironie gipfelt, und das sein gewaltiger
Bilderbogen Grausamkeiten allenfalls als modische Glättung
inszenatorisch zur Geltung, ja ins Spiel bringt, so ist TARANTINO
davon weit entfernt.
Die Verquickung von Aggressionen und Brutalität ist im Film
sicherlich die letzte Widerspiegelung der strukturellen Gewalt
in Staat und Gesellschaft.
In diesem Spiegel betrachtet, kann man in ihm sämtlichen Unsinn
abliefern, der einem vors Objektiv kommt.
Allerdings sollte der Spaß dort aufhören, wo man das gesamte
Gewaltpotential als Obsession versteht.
„Kill Bill“ und die handelnde Requisitenkammer mit der Verdoppelung
der ‚Smith-Agenten’ aus „The Matrix Reoladed“ (2003) ist nichts
anderes als die Auslotung von sadistisch-masochistischen
Alltagsritualen der alten fernöstlich-höfischen Kaiserdynastien und
ihrer zerstörerischen Selbstreflexionen.
Das ist keine Kunst, sondern pervers verhärtet.

TARANTINO fällt weite hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Für ihn mag „Kill Bill“ eine Selbstbestätigung sein. Da die Welt
voller Gewalt ist, könnte man den Film als ins System passend
interpretieren, oder als Synthese für die Legitimation
der Gewalttaten, die um uns herum lauern, verstehen lernen.
Selbst dem mag ich nicht zu folgen. Da die fragwürdigen Begriffe von
‚Ehre’ und ‚Rache’ ebenso im Mittelpunkt stehen wie die
radikalen Säbelgefechte, ist er jenseits jeder Moral, nur der eigenen
Professionalität verpflichtet.
Der ‚Meister’ hat sicherlich viel Wert auf die Kulisse, auf das
Honkong-Kino gelegt. Dieser Griff ist wenig erfolgreich, da er
diese Codes ständig zerstört. Seine Schauspieler sind statische
Figuren, die sterben oder einfach verschwinden.
Sie haben keinen Charakter, da sie nur zum Kampf und zum
töten bestellt sind.
Uma THURMAN, die ihre besten Filme mit „Pulp Fiction“
(Regie: Quentin TARANTINO, 1994 und „Gattaca“ (Regie:
Andrew NICCOL, 1997) hatte, symbolisiert Frauenpower an der
falschen Stelle. Sie ist keine reinigende gesellschaftliche Kraft,
zwar die einzige Figur, die sich durch das Erlebte verändert,
doch mit beiden Beinen dem kämpfenden Matriarchat verbunden
bleibt.
Mit ihrem schwarz-gelben Motorradanzug schaut sie wie
eine geläuterte Christiane F. aus dem Film „Wir Kinder vom
Bahnhof Zoo“ (Regie: Ulrich EDEL, 1981) aus.
Sie zeigt die Welt aus ihrer Sicht, die ein Planquadrat ist, auf dem
sich die abgeschlagenen Gliedmaßen bestens verteilen lassen.
Ihr Auftritt hat nichts mehr gemein mit der bildfüllenden Totale
aus „Pulp Fiction“ an der Seite von John TRAVOLTA.
Im Showdown tötet sie ihre Rivalin O-Ren Ishi (Lucy LIU) während
ihr Kimono aufdeckt, was verbreitet wird: der ritualisierte
Antagonismus geht in Volume 2 weiter.

Fazit: Mit seiner distanzlos eingesetzten brutalen Waffengewalt
wird der Film zur Oberfläche und in seinen meisten Szenen zu einem
schlichten Selbstzweck. Das Objekt der Verehrung
verkommt bei TARANTINO zu einem Manifest des Horrors
von ekelerregenden Szenen.
„Kill Bill“ ist kein Kult. Er ist verwerflich, bösartig, raubeinig,
grobschlächtig und sollte in die untergehenden Epoche des
Martial-Arts Kino eingeordnet werden.
„Tiger&Dragon“ (Regie: Ang LEE, 2000) und „Hero“ (Regie:
Zhang YIMOU, 2003) sind als Gegenpart eine Augenweide
und faszinierend. Sie zeigen Tradition in zeitloser Schönheit.
Die klassischen Augenblicke dieser Filme sind als Referenz
an dieses Genre sehenswerter als die Transformation der
flüchtigen Morde von TARANTINO.

Dietmar Kesten 19.10.03 12:39