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Luther

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Luther Dietmar Kesten 1.11.03 13:00
Luther Franz C. Kubina 1.11.03 17:37

MARTIN LUTHER

DIE OFFENBARUNG DES PROPHETEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 1. NOVEMBER 2003.

Um die Jahreswende 1843/44 hatte Karl MARX in seiner Einleitung
zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie die Ortsbestimmung
der Reformation in die Worte gekleidet: „Luther hat allerdings
die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft
als Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben
an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens
restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die
Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat die Menschen von der
äußeren Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum inneren
Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert,
weil er das Herz in Ketten gelegt.“ (1)

Die deutsche Reformation, in deren Mittelpunkt LUTHER (1483-1546)
stand, war historisch die ‚Befreiung’ von kirchlichem, zunehmend als
römische Fremdherrschaft empfundenem Zwang und Begründung eines
neuen, verinnerlichten, staatstragenden Zwang. Sie bewirkte,
wie MARX richtig bemerkte, Emanzipation und Repression, durchaus
aber auch im Sinne der Überwindung des Mittelalters.
Sozialgeschichtlich, oder politisch betrachtet, war die Reformation
eher, vor allem in der Schweiz, in Ober- und Mitteldeutschland, eine
Erhebung des ‚gemeinen Mannes’ in Land und Stadt mit dem
Bauernkrieg von 1524/25 als Höhepunkt.

Die Hierarchie der sichtbaren Kirche hatte ihr Pathos verloren und
die landesherrlichen Kirchenregimente, die sich schon in
vorreformatorischer Zeit herausgebildet hatten, fürchteten mehr und
mehr um ihre Freiheit als Obrigkeit.
LUTHER hoffte auf ein Nationalkonzil, dass er mit Karl V. verband,
als dieser 1519 von den deutschen Kurfürsten zum römischen
Kaiser gewählt wurde. Sollte es doch eine umfassende Reform
einleiten.
Diese Hoffnungen zerschlugen sich, weil die habsburgische
Universalmonarchie unter Karl ihren Schwerpunkt nicht mehr in
Deutschland hatte.
Für ihn galt es nun, die ‚wahrhaftigen Gläubigen’ zu sammeln,
die sich um Glauben scharen sollten, und die Gemeinden
zu bilden hätten, Schulen und Universitäten reformieren sollten.

LUTHER setzte dabei auf die weltliche Obrigkeit, die von Gott
verordnet war und das Schwer und die Rute führte, um die
Abweichler zu strafen, um die Frömmigkeit zu schützen.
Durch die Reformation gewannen die Fürsten die Verfügung
über jegliches Kirchengut, womit sie die staatlichen Einnahmen
vermehrten und somit ihre weltliche Herrschaft festigen
konnten.
Darin sah LUTHER schlicht einen ‚Liebesdienst’. Und der
Augustinermönch brachte in der Praxis weltliche und göttliche
Gewalt, Thron und Altar, Zepter und Waffengewalt so eng
zusammen, dass dem Staat eine gewisse Halbgöttlichkeit
zuwuchs.
Die politischen Wirkungen des Luthertums waren damit sehr
radikal ausgebildet und begünstigen geschichtlich die
Entwicklung zum Absolutismus.
Daran konnte auch die Übersetzung des ‚Neuen Testaments’
(ab 1522 auf der Wartburg) nichts ändern, die zwar grundlegend war,
weil sie die gesamtdeutsche Hochsprache schuf, oder der ‚Reichstag
zu Augsburg’ (Auseinandersetzung mit Philipp MELANCHTHON
um das Bekenntnis „Confessio Augustana“), der 1530 den evangelischen
Glauben konfessionalisierte.
Selbst der Anschlag der sog. ‚95 Thesen’ an die Schlosskirche zu
Wittenberg (31. Oktober 1517), die im Zusammenhang mit den
Geschäften des Ablasshändlers TETZEL standen, und in denen
LUTHER zur Disputation aufrief und den römischen Klerus angriff,
brachte nicht die von ihm erhoffte Wende.
Das Heilige Römische Reich blieb erhalten. Es festigte sich sogar
institutionell.

Ohne diesen Hintergrund ist der Film „Luther“ nicht zu verstehen;
denn er setzt voraus, dass man sich mit ein wenig mit der Zeit
und der Biografie des Augustinermönchs beschäftigt hat.
Insofern arbeitet er sicherlich einige Stationen seines Lebens
heraus.
Regisseur Eric TILL („Bonhoeffer - Die letzte Stufe“, 2000) bemüht
sich zwar redlich um Faktentreue, Chronologie und Historie und
wird so dem üppigen Bild des 16. Jahrhunderts durchaus gerecht.
Das alles ist nett anzusehen; das Leben des Mönchs,
sein Streiten, die Anfeindungen gegen seine Person, die
Schmähungen, die er ertragen musste, die Verhärtungen und
Verkrustungen, die sich in der katholischen Kirche offenbarten.
Joseph FIENNES („Shakespeare in Love, 1998, Regie: John MADDEN,
“Enemy at the Gates”, 2001, Regie: John-Jacques ANNAUD) als
Action-LUTHER spielt nicht überragend, aber doch so, dass er sich
deutlich von den anderen Darstellern abhebt.
Uwe OCHSENKNECHT („Fußball ist unser Leben“, 2000, Regie:
Tony WIEGAND) als Papst ist eine Lachnummer und
Peter USTINOV („Tod auf dem Nil“,1978, „Rendezvous mit einer
Leiche“, 1987, „In 80 Tagen um die Welt“, 1988,
„Lorenzos Öl“, 1992) als Adeliger sollte sich an seine besten
Zeiten erinnern, in denen er noch überzeugend wirkte.

Das alleine könnte zunächst ausreichen, um sich das Spektakel um
Martin LUTHER anzusehen.
Allerdings sind die historischen Ansätze, die der Film vermittelt,
nur ein Teil seines Lebens. Und damit setzt auch der Verriss ein.
Heinrich HEINE hatte LUTHER einst als „größten und
deutschesten Mann unserer Geschichte bezeichnet“. (2)
War er das? Und ist das LUTHER- Bild, das sehr viele Menschen
von ihm haben, das eines ‚reinen Mannes’?
Dieser LUTHER, der in diesem Zeitmosaik lebte,
predigte die Unterwerfung unter den weltlichen Staat als
Vollzug des göttlichen Willens und das Handeln als Selbstzweck.
Er schuf ein Idol, an dessen Ansprüche der real existierende
Mensch zeitlebens scheitern würde, woraus - durch das Paradigma
der ‚Erbsünde’ (von Natur aus schuldig) - ein bis heute existierendes
Schuldgefühl resultiert, das vor allem bei denjenigen verfängt, die
dem christlichen Glauben überhaupt noch etwas abgewinnen
können.

Der Reformator hasste Fröhlichkeit, verwarf materielle Gelüste,
war der Wegbereiter des Puritanismus, sanktionierte die
Ge- und Verbote, predigte den Gehorsam zur weltlichen Macht
(was bahnbrechend für die Entwicklung des späteren Kapitalismus
war!), und dort, wo es menschliche Regungen gab, einen
Freiheitsdrang zu praktizieren, wurde er rasend.
LUTHER war nicht der, den der Film zeigt, er war weitaus
reaktionärer und er war auch nicht der Vorbereiter der
deutschen Aufklärung.
Mit Martin LUTHER verschwand zwar der Glaube an katholische,
nicht aber der an teuflische Wunder, deren schauderhaftes
Treiben er ausmalen konnte, wie kein zweiter.
Die aufrührerischen Bauern verabscheute er. Für die, die sich von
der Knechtschaft befreien wollten, hatte er nur die Verdammung übrig.
Damit war er despotischer als die Fürsten selber.
In seinem Pamphlet „Wider die aufrührerischen und räuberischen
Rotten der Bauern“ (3) wollte er sie umgebracht sehen, „zerschmeißen,
stechen, heimlich und öffentlich... und wie einen tollen Hund
totschlagen“.

LUTHER läutete die Mordglocke in einer Zeit, in der zur öffentlichen
Exekution aufgefordert wurde. Sie wurde gepredigt und hofiert.
Die Bilderstürmer und Schwärmer belegte er mit dem Bann,
die man nur mit Gewalt niederringen könne.
Die Juden fand er „schlimmer als eine Sau“. Für sie und die
Teilnehmer an ihren religiösen Zeremonien forderte er die
Todesstrafe, und verlangte, dass ihre Häuser und Synagogen
niederzubrennen seien, „dass kein Mensch keinen Stein
oder Schlacke davon sehe ewiglich“. (4)
Er war durch und durch Antisemit. Das Heldentum und
seinen angeblich rebellischen Charakter gab es nicht.
Die Worte, die er am 17./18. April 1521 auf dem ‚Wormser
Reichstag’ gesprochen haben soll: „Hier- stehe- ich- und
kann- nicht- anders“, waren unter diesem Gesichtspunkt nichts
anderes als die Festigung einer antisemitischen Haltung in
Theologie und Liturgie.
LUTHER hatte diesen Antisemitismus in seinem Innersten
gehegt und gepflegt, und es verwundert nicht, dass er im
mittelalterlichen Europa für einen universellen (bösartigen)
Antisemitismus stand.

Selbst seine Anklage gegen den Ablass wurde von ihm
durch die Erhöhung des von ihm gepredigten entsagenden
Individuums im Prinzip wieder aufgehoben; denn dadurch
etablierte sich auch die Dichotomie zwischen Innerlichkeit und
Kommerz, die sich wie ein Geschwür durch die deutsche
Geschichte zieht.
Kurz: Luther war zwar auch der, den der Film darstellt, er
ist aber viel differenzierter zu betrachten.
Das alles sucht man vergeblich in „Luther“.
Er war eben auch ein selbstgefälliger Falschspieler, der die Menschen
zu seiner Zeit in eine andere Abhängigkeit führte, in
die (selbstverschuldete) Unmündigkeit, in den Kanon der späteren
bürgerlichen Gesellschaft mit all ihren katalogisierenden Einteilungen
über die Spezies Mensch.

Fazit: Über weitere Strecken des Filmes begegnet man einem
Martin LUTHER, der ein Schlaglicht der Zeitgeschichte war.
Jedoch ist sein gesamtes Auftreten mit jenen Anekdoten unterlegt,
die nur den ‚braven Mann’ als Rebell gegen den katholischen
Klerus zeigen.
Insofern ist er total undifferenziert und wirkt leider nur wie ein
mit Spannung unterlegter Film über die Reformation.
Er ist zu pathetisch, ein zu dick aufgetragenes Epos. Und im
übrigen kein Film für Atheisten und Agnostiker.
Da es dem Film an jeglichen kritischen Reflexionen über ihn
mangelt, muss man sich leider über zwei Stunden auf
das ‚Jüngste Gericht’ einlassen.

Anmerkungen:

(1) Vgl. MEW, Bd. 1, Berlin-Ost 1969, S. 386.

(2) Heinrich Heine, Sämtliche Werke, Teil 5 und 6
(Über Deutschland), Berlin-Ost, 1978.

(3) Zitiert nach: Wilhelm Zimmermann: Der große
deutsche Bauernkrieg, Berlin-Ost, 1952.

(4) Alle Zitate: Ebd.

Dietmar Kesten 1.11.03 13:00