filmz.de
Closed

Seabiscuit - Mit dem Willen zum Erfolg

[ Info ] [ Links ] [ Kommentare ]
Seabiscuit - Mit dem Willen zum Erfolg Dietmar Kesten 28.9.03 14:45

SEABISCUIT – MIT DEM WILLEN ZUM ERFOLG.

AUF DEM RÜCKEN DER PFERDE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 28. SEPTEMBER 2003.

„Seabiscuit“ handelt von der wahren Geschichte des legendären
Rennpferdes, das Amerika am Ende der wirtschaftlichen Depression
der 1930er Jahre so sehr begeisterte, dass eine ganze Nation in
Verzückung geriet und mit dazu beitrug, von den Alltagssorgen
abzulenken.
Nach dem Unfalltod seines Sohnes am Vorabend des großen
Börsenkrachs am 24./25. Oktober 1929, verliert Charles HOWARD
(Jeff BRIDGES) sinnbildlich auch sein Geschäft als Ingenieur und
bleibt als gebrochener Mann zurück.
In seiner tiefen Traurigkeit entwickelt er eine Leidenschaft, die er
bisher kaum wahrgenommen hatte: den Pferderennsport.
Fortan konzentriert er sich auf das halblahme Pferd „Seabiscuit“,
das er wie ein Manager hegt und pflegt, findet den Jockey
Red Pollard (gespielt von Tobey MAGUIRE), einen Trainer und führt
das Pferd bis in den Kampf um die Landesmeisterschaft.
Bis zu 40 Millionen Menschen sollen damals an den Radios sitzend den
Auseinandersetzungen um Ruhm, Geld und Ehre auf der
Galopprennbahn gefolgt sein.

Der Film ist konzipiert als Familien- und Erfolgsgeschichte, als
gefühlvolle Episode eines sensiblen Mannes und seines nicht weniger
sensiblen Jockeys. Wenn man so will ist „Seabiscuit“ ein altmodischer
Film mit altmodischer Leinwanddramatik und mit altmodischen
Botschaften (über den Willen zum Sieg!).
Ein Rennpferd rettet die amerikanische Seele, das Amerika des
Fordismus, des wirtschaftlichen Niedergangs, der Jahre des
Aufbaus.
Wäre Amerika nicht schon das Sinnbild des Patriotismus schlechthin,
dann müsste es mit „Seabiscuit“ neu inthronisiert werden.
Das alte Amerika wurde auf dem Rücken der Pferde begründet, und
auf dem Rücken der Pferde ersteht es im Film neu.
Der Freiheitsdrang, Abenteuer und ungezähmter Wiederaufbau machte
jenen Fortschritt aus, von dem Amerika bis heute zehrt.
Das ist für eine Nation eigentlich unerreichbar, birgt aber auch, wie die
jüngsten Erfahrungen verdeutlichen, eine Menge Zündstoff und
Traumata in sich.

Gary ROSS hat als Regisseur ein kaputtes Pferd in einem
dahinsiechenden Land gefunden.
Insofern ist die Story doppelt überlagert.
Zum einen soll die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Tier
und Mensch, auf der anderen Seite auf die Bewältigung des
Krisendramas Amerikas gelenkt werden.
Beides geht nicht! Was ROSS über den Fordismus sagt, ist nicht
mehr als eine Einführung, und was er über die Auswirkungen
der Weltwirtschaftskrise in Amerika sagt, hätte er lieber unterlassen
sollen.
Stattdessen soll sein Rennpferd mit dazu beitragen, Identifikation,
Bewunderung und Höhenflug gleichermaßen zu sein; denn der
„Amerikanische Weg“, der „Amerikanische Traum“ und die
„Amerikanische Kreativität“ sind eben unerreichbar.
Und schon galoppiert sich „Seabiscuit“ die Seele aus dem Leib.
Der kometenhafte Aufstieg dieses Pferdes spiegelt dann auch die
Empfindlichkeit einer Nation wider, die sich nach Größe und
einstigen Tugenden sehnte.
Mit „Seabiscuit“ verbindet er auch jene Moralvorstellungen,
die jenes uramerikanische Siegergefühl ausmachen, dass bis
heute durch die Geschichte, und nicht nur der amerikanischen,
geistert.

Der Film ist edel gemacht und gut fotografiert. Man sieht ihm
seine altmodische Trägheit an. Das ist nicht unbedingt ein Makel.
Doch wenn es 2 ½ Stunden währt, dann wirkt es nervig.
Zeitlose Leinwandmagie hat viele Vorteile. Die Nachteile überwiegen
dann, wenn die Subplots unterentwickelt sind und der Funke nicht auf
die Zuschauer überspringt.
Quälendes Training und die permanente Sicht auf den
halsbrecherisch reitenden Jockey machen aus einem Aschenputtel
eben keinen Prinzen.
Man wird den Eindruck nicht los, dass „Seabiscuit“ dieses Genre,
wenn es denn ein solches gibt, neu beleben will.
Hatte jüngst noch Robert REDFORD im „Pferdeflüsterer“ (1998)
gefloppt, so soll sich der Film von einer anderen Seite zeigen, nämlich
die alten Wertevorstellungen auf dem Rücken der Pferde neu
vortragen.
Leider gelingt es nicht; denn die emotionale Distanz zwischen
dem Filmbetrachter und dem Movie bleibt zu groß.

Jeff BRIDGES knüpft an seine großartigen Leistungen, die
er etwa in „Die fabelhaften Baker Boys“ (1989),
„König der Fischer“ (1991), „Spurlos“ (1993),
„The Big Lebowski“ (1998), „Arlington Road“ (1999) oder
“Rufmord - Jenseits der Moral” (2000) abgeliefert hatte,
leider nicht an.
Zwar spielt er fesselnd, doch mit dem Hang zur Übertreibung
und der Tränenkeule, die er als Anhängsel bis zum Abspann
mit sich herumschleppt. Er wirkt zu blass und übertreibt
das amerikanische Urvertrauen gewaltig.
Er ist souverän, aber wie der Film, subalternd.
Das trifft auch auf Tobey MAGUIRE zu, der im Sattel wie ein
verklemmter Michael SCHUHMACHER Verschnitt aussieht.
Der unweigerliche beschwörenden Handlung passt sich auch der
Trainer Chris Cooper (Tom SMITH) an, der stets mit weinerlichem
Gesicht herumläuft, und den Eindruck vermittelt, er sei es
selbst, der Rennen verliert.
Die verlorenen Seelen finden sich so in einer Art
Zweckgemeinschaft auf dem Rücken „Seabiscuits“ wieder.
Pferdegeschichten sind vermutlich keine reinen Mädchenangelegenheiten.
Auch Männer finden sich dort, wenn auch ihre verglaste Fassade
mehr modernen Museen gleicht.
Fazit: „Seabiscuit“ ist ein Pferdefilm. Wer Pferde mag, findet
Gefallen daran.
Die Seelenklempnerei, die auf dem Sattel abgeladen wird,
ist übertrieben. So schleppt sich der Film mühevoll durch die
Zeit.
Tradition und Fortschritt, die ROSS in seiner Erzählweise
favorisiert, halten sich die Waage. Was überwieg im
„Amerikanischen Traum“?
„Wir müssen uns emanzipieren. Dann werden wir unser
Land retten.“ (Abraham LINCOLN)
„Seabiscuit“ möge man zurufen: wer ein gutes Pferd hat,
der ist gut bewaffnet.

Dietmar Kesten 28.9.03 14:45