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Swimming Pool

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EINE LANDPARTIE? Dietmar Kesten 20.9.04 16:30

SWIMMING POOL

EINE LANDPARTIE?

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 16. AUGUST 2003.

Um als Autorin neue Ideen zu gewinnen und eine Schaffenskrise zu bewältigen, entsendet der britische Verleger Bosload (Charles DANCE) die Krimi Autorin Sarah Morton (Charlotte RAMPLING) zur Erholung auf sein Landgut in Südfrankreich. Dort macht die alternde Dame die Bekanntschaft Bosloads frühreifer Tochter Julie, einer Lolita-Schlampe (Ludivine SAGNIER), die es darauf anlegt, das Moralempfinden Sarahs restlos zu zerstören, und sich mit jedem Mann, dem sie begegnet, erotisch zu vergnügen. Dann geschieht ein Mord. Zwischen den unterschiedlichen Frauen entwickelt sich fortan eine brisante Beziehung. Alfred HITCHCOCK, dessen Filme stetig die Grenzen zwischen Fantasie und Wahrheit verwischten, der Geschichten missbrauchte, um ihnen am Ende seinen Stempel aufzudrücken: der Durchschnittsmensch, der in außergewöhnliche Ereignisse verstrickt wird und im Spannungsbogen selbst noch den Plot auf den Kopf stellt, hätte an „Swimming Pool“ sicherlich seine wahre Freude gehabt. „Vertigo“ (1958) und „Frenzy“ (1972) waren jene Meisterwerke, die sich zwar als schematische und unwahrscheinliche Intrigen auflösten, doch die Tiefe der Charakterisierung seiner Figuren, der Einsatz von Montage und visueller Stilisierung zum Zweck der Manipulation des Zuschauers, mussten den Eindruck erwecken, dass jene alptraumhafte Wirkung, die erzeugt werden sollte, auch über den Kinobesuch hinaus erhalten blieb. Wie etwa bei „Frenzy“, wo der geniale James STEWART einen an den Rollstuhl gefesselten Fotografen spielt, der bei seinem voyeuristischen Zeitvertreib zufällig einen seiner Nachbarn bei einem Mord ertappt, und der letztlich die verwirrenden Ereignisse um ihn herum als Blick in die Tiefen seiner eigenen Psyche erscheinen lässt. „Swimming Pool“ setzt gekonnt auf dieses Verwirrspiel. Sarah Morton, die unentwegt an einer Schreibblockade leidet, findet auf einmal Inspiration in dem Liebesleben von Julie, das sie fortan aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Die sich sinnlich am Pool räkelnde Julie bringt eines Tages einen ihrer Liebhaber um (oder doch nicht?),Sarah hilft ihr dabei, die Leiche zu vergraben. Nichts ist im Leben, wie es ist. Nichts ist so, wie es aussieht. Man darf nicht alles glauben, was der Wahrheit entspricht; denn was sie wirklich ist, weiß man meistens nicht. Selbst bei größter Mühe möglicher Durchschaubarkeit, entzieht sich der Film der herkömmlichen Interpretationsweise. Die verschiedenen Realitätsebenen führen alle hinters Licht. Es ist spannend zuzusehen, wie Sarah und Julie immer dieselbe Geschichte variieren, wie sie sich selbst in schier ausweglose Situationen hineinmanövrieren, wie sie sich ihren Neigungen hingeben, dem Thema, einer Figur oder (nur) der eigenen Obsession. Der Film von Francois OZON („Acht Frauen“) ist ein dichter und gut erzählter psychologische Thriller, der vor dem blauen Wasser das böse Ränkespiel wie eine Landpartie erscheinen lässt, und der bei der Rückwendung schon wieder die „Leichtigkeit des Seins“ (KUNDERA) und die Schwere des Daseins ununterbrochen kolportiert. Wenn am Ende der Plot noch einmal in Frage und auf den Kopf gestellt wird, damit man die Stille wieder hört und den ungetrübten Blick auf den Pool genießen kann, dann ist man versöhnt, und das leere Landgut kehrt in die Welt des Schweigens zurück.

Dietmar Kesten 20.9.04 16:30