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Big Fish - Der Zauber, der ein Leben zur Legende macht

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Big Fish - Der Zauber, der ein Leben zur Legende macht Dietmar Kesten 9.4.04 12:11
Big Fish - Der Zauber, der ein Leben zur Leg jan 29.4.04 08:33

BIG FISH

WORIN LIEGT DIE WAHRHEIT IM LEBEN?

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 9. APRIL 2004.

Liegt die Wahrheit im Herzen des Betrachters, liegt sie irgendwo
in der Mitte, ist sie nur eine philosophische Kategorie, welche die
Adäquatheit der Erkenntnis, ihre Übereinstimmung mit dem
Erkenntnisobjekt, widerspiegelt?
Geht sie nur von einer Abbildtheorie aus, gibt es eine objektive
Wahrheit, die sich in einem Verhältnis von relativer und absoluter
Wahrheit niederschlägt, ist sie nur als Erkenntnisprozess
die Einheit von Absolutem und Relativem?
Viele Fragen, viele Lösungen, oder nur die Frage des Blicks?

Edward Bloom (Albert FINNEY) ist ein begnadeter Geschichtenerzähler,
jemand, der Geschichten aus seinem bewegten Leben erzählt,
fantastische Stories, märchenhafte Erzählungen, die in seinem
Umfeld und von seiner Frau Sandra (Jessica LANGE) geliebt werden,
und die er nach eigenen Angaben, selbst erfahren haben will.
Seit seiner früheren Jugend war Edward (den jungen Ed spielt
Ewan McGREGOR) etwas ganz Besonderes. Er war stark, mutig,
klug. In seiner Heimatstadt war er der einzige, der sich traute,
eine Hexe (gespielt von Helena Bonham CARTER)
in den Sümpfen zu konfrontieren, und sie nach dem Geheimnis
ihres Glasauges zu befragen. Er war der einzige, der es
gewagt hatte, den Riesen Karl (gespielt von Matthew McGRORY),
den 2,40 Meter Mann mit den größten Füßen der Welt aus seiner
Höhle zu locken.
Und er erzählt weiter. Als er schließlich merkt, dass er ein viel
zu großer Fisch ist, um in seiner Heimatstadt wachsen zu können,
geht er mit Karl in die Welt hinaus.
Seinem Sohn William (Billy CRUDUP) gehen die Strories von
Edward schon lange auf den Senkel; denn er weiß nicht, was er
glauben soll, was die Wahrheit ist, wo sie genau liegt.
Auf dem Sterbebett seines Vaters versucht William nachzuforschen,
um das wahre Leben des Vaters zu erkunden.

Die Geschichte basiert auf einem Roman von Daniel WALLACE,
der bereits in seinem Roman nur so von Einfällen sprühte, und die
Tim BURTON („Batman“, 1989, “Edward mit den Scherenhänden”, 1990,
„Batmans Rückkehr“, 1992, „Ed Wood“, 1994,
„Sleepy Hollow“, 1999, „Planet der Affen“, 2001) gekonnt umsetzt.
Es sind Einfälle, für die man eine Gabe haben muss, die blühende
Fantasie eines Münchhausen, der Grimms oder Klaus Störtebeckers.
Die Gewitter sind vorüber, schon bricht die Sonne durch die
Regenfäden. Man warnt in den Wald zu gehen, Nebelschwaden
fliegen durch ihn, springende Spinnen treiben ihr Unwesen,
silbern rieselt das Wasser die Rinde der Bäume hinab.
Erzählungen mit tiefer Bedeutung, eine vertraute Landschaft,
grasgesäumte Pfade, die sich durch ein Blumenfeld ziehen.
Ein Schwarm Raben steigt auf, verdunkeln den
Himmel- Träume, die um die Wahrheit ranken.
Träume enden so, doch vor diesen liegen noch viele, und
das Ganze ist ein Film.
„Big Fish“ ist so ein Traum, etwas Neues, Innovatives, das sich
von den Exessen der Modernität im Kino abhebt, sich mit der
Kindlichkeit und der Welt der Erwachsenen durchsetzt.
Es sind Spiele und Verwandlungen, die uns begegnen,
Realitäten, aufregende Lebensgeschichten, Liebesgedichte,
wahre paradiesische Friedensgeschichten und unwahre
fabulöse Lebensszenen.

Als Edward und Karl in der märchenhaften Stadt
Spectre landen, kehrt alles noch einmal wieder, so, als ob die
Zeit stehen bleiben will: singende siamesische Zwillinge
kreuzen die Bahn, Wassernixen.
Es sind Geschichten für das ganze Leben. Hier möchte keiner
(er-)wachsen. Alles ist seltsam, gebändigt und verzaubert.
Traumvisionen, die im Kindlichen enden, in der Tragödie der
Traurigkeit der Erwachsenenwelt.
BURTON ist ein Spieler. Und er gewinnt hier; denn im Traum
geht die Welt unter, aber im Traum ersteht sie wieder auf.
Denn es gibt keine Zeit in diesem Film und also auch kein
eigentliches Schicksal.
Sogar der geniale Dorfpoet (Steve BUSCEMI) findet vor
lauter Glückskörnern nur Zufriedenheit und schöne Worte.
Das sind Episoden, die das verstaubte Glück, was uns
abhanden gekommen ist, und was wir in der abgerieselten
Vergangenheit niemals wiederfinden können, wenigstens für
einen Moment wahr werden lässt.

Doch alle Verwandlungen sind nur scheinbar.
Denn es kommt der Tag, wo nicht nur für Edward die Zeit
stehen bleibt, die unserer größter Feind und unsere größte
Begierde ist.
Der Blick in die schönen Augen von Sandra (Alison LOHMAN)
sind Chiffren.
Sie ist die Göttin der Gebirge, auf die wir steigen, um einen
Blick ins unsere eigene Seele zu werfen, auf der ständig ein
großer Felsblock liegt, auf dem wir jetzt Blumen niederlegen,
damit wir den Grund erkennen: die wahre Liebe ist der
Endpunkt der Weltgeschichte!
Um an diese Hand zu gelangen, unternehmen wir, wie
Edward, das menschenmöglichste.
Jubel und Wehmut vermischen sich. Und wenn wir der
geheimnisvollen Gestalt folgen, dann wird schnell klar,
das Pfirsichbäume auf kahlem Gehölz nicht gedeihen können.

Der Zauber ist wie im Märchen schnell verschwunden, und wir
stehen alleine auf weiter Flur, weinend vor dem ewig blühenden
Baum, der keine Blüten zeigt, weil er ausgebeutet wurde.
Ist Realität nur eine Illusion?
Im Zirkus der Skurrilitäten und der Werwölfe (Danny DE VITO)
kommen erst die ans Tageslicht, die ihr Schweigen brechen und
wahrhaftig handeln.
Das ist eine der Botschaften des Films, eine philosophische
Frage, eine Frage der Erkenntnis, eine Frage des Überlebens.
Bevor es zu spät ist, streicht eine Ahnung durch unsere
gewöhnliche Wahrnehmung: der autistische Wahnsinn
und die wahre Meisterschaft, zwischen Kitsch und Poesie,
was sich reibt.
Die Helden verschwinden aus der Geschichte, sie tauchen unter,
machen sich davon.
Das Leben findet sie wieder, das wahre, das sie niemals
bekommen können, weil die Bilder sie trunken machen.

So geht der Film seinen Weg. Auf unchronologische Weise
mit wirklichen Szenen der Wahrheit, der Findung, Szenen der
Gegenwart, der Vergangenheit der Zukunft.
Das mag der Schlüssel zur Erkenntnis von „Big Fish“ sein.
Nicht Interpretation, da uns sonst die Bilder weggenommen
werden; auch nicht Verriss mit der strengen Maske des
Kunstrichters, sondern Wahrnehmung und Ereignisnachzeichnung.
Das zyklische Erzählen bedeutet hier, das der Film ein
Ereignis ist, ein Ringen um die Wahrheitsmomente im
Leben. Der Film ist ein Instrument, ohne Effekte des
Kinos der Künstlichkeit, der Psychomatik und der
Video- und Computerzauberei.
Das Kino jenseits des Kinos werden wir noch oftmals
erfahren, die marktkonforme Monotonie, die keinen Ausweg
zeigt.

Doch hier ist der Film ein Monolith. Die Charaktere, die Szenerie,
die gesamte Atmosphäre ist auffällig romantisch, gekennzeichnet
durch fabelhafte Arrangements und prächtigen Kunstgemälden.
Der düsteren Zombie-Zeit im Kino wird der Kuss entgegengesetzt.
Mit den einfachen Mitteln des Kinos werden Geschichten
erzählt, die fast ein kleines Wunderwerk sind. Hier erfährt man
viel von hastigen Sprüngen im Leben, der schnellen Wechsel
von Schauplatz zu Schauplatz, von Gesicht zu Gesicht.
Obwohl alles dauernd in Bewegung ist, ist der Film im Vergleich
zu anderen Filmen ein ruhiger Film, verglichen mit dem, was man
sonst so kennt.

Fazit: Ich habe nicht verstanden: ich habe gesehen!
Mit Sorgfalt und Geduld kämpft BURTON um Moralität, um
Konzentration auf die wesentlichen Dinge, um Schlichtheit der
Bilder. Mit einer herzerwärmenden Story, mitreißenden und
überzeugenden Darstellern, ihren Träumen und Hoffnungen
führt er uns in einem grandiosen Finale ins Land der Wahrheit
und der Wahrhaftigkeit.

„Niemand hat die Wahrheit. Wir alle suchen sie.“ (Karl JASPERS)

„Was heißt Wahrheit? Der Mensch ist die Wahrheit.“ (Maxim GORKIJ)

„Worte und Wahrheit gehören zusammen. Es ist ein
Phänomen der Grundverfassung des Daseins.“ (Martin HEIDEGGER)

Dietmar Kesten 9.4.04 12:11