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Der Manchurian Kandidat

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DIE LUST AM ERZÄHLEN Dietmar Kesten 20.11.04 11:44

DER MANCHURIAN KANDIDAT

DIE LUST AM ERZÄHLEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 20. NOVMBER 2004.

Politdramen gehen kaum noch unter die Haut.
Der Grund dafür mag in der Übersättigung mit
(der) Politik liegen, die dafür verantwortlich ist,
dass sie undurchschaubar erscheint, dass nach all
den Korruptionsaffären, Lügen, Intrigen, Bestechungen,
Macht und Karriere, Hysterie und Manipulation und
ihrer kriegerischen Komponente ihr allgemeiner
Zustand traumatisch ist, und sie in der derzeitigen Form
kaum noch als echte Alternative für die Lösung
der gesellschaftlichen Probleme angesehen
werden kann.
Wenn Politdramen im Kino sich dieser Inszenierungen
annehmen, dann ist aus guten Gründen Vorsicht geboten.
Es erscheint einem als anachronistisch, wenn Storys
zurechtgebogen, wenn Szenarien inszeniert,
dramaturgisch und gestalterisch aufgebaut werden, wenn
sie spektakulär in Szene gesetzt sind, wenn Handlungsorte
verlegt, aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen und
einer konstruierten Spannung weichen muss.

Der Politthriller, oder das Politdrama zeichnet sich dadurch
aus, dass das Vergnügen wegfällt.
Rein äußerlich garantiert der Stoff Ernsthaftigkeit.
Er schlägt einen besonnenen und ruhigen Ton an und
gibt sich seriös.
Vor allem soll in gewisser Weise die Gesellschaftskritik
auf eine scheinbare niveauvolle Stufe gehoben werden,
um sie von dort aus durchdringen zu können.
Das Politdrama ist sogar eine bebilderte Revanche
gegenüber denjenigen, die belogen, betrogen und
verraten haben. Er ist geradezu szeneatorischer
Bezugspunkt zur Wahrheit, Bürge der Wahrheit
und zugleich Alibi.
Unter diesem Schutz gestalten sich die tragischen
Ereignisse wie Entfremdungen, die wiederum perfekt
als Ablenkung dienen.
Denn es gelingt ihm nicht, die Realität zu verfremden.
Er bleibt mit seiner Gesellschaftskritik an der Oberfläche,
weil er nur am kommerziellen System kratzt.
Man könnte ihn sogar als sozialkritischen Dokumentarfilm
bezeichnen.

Vermutlich gelangte er erst mit dem Pariser Mai 1968 zur
kritischen Blüte. Hier setzte filmische eine radikale
Wende ein.
Es war Jean-Luc GODARD, der als einer der ersten über
sowjetische Dokumentarfilmtraditionen reflektierte
(Sergej EISENSTEIN, Dziga VERTOV u. a.).
Mit diesem Datum trat der Politfilm aus der bürgerlichen
Dunstglocke heraus und wurde, was das wichtigste
Kriterium war, keine Parteisache mehr.
Mit der Entwicklung neuer Produktionsmethoden
(alternative Filmnetze, Professionalismus), wurde
versucht, sich der beschleunigten technologischen
Entwicklung anzunähern.
Marin KARMITZ filmte „Coup pour Coup“ (1971),
GODARD filmte „Alles in Butter“ (1972).
Es gelang jedoch nicht, eine Darstellung, einen Ton zu finden,
die über eine bürgerliche Linie hinausgingen.
Themen und Gegenstände reproduzierten und
duplizierten nur die zeitgenössische Bilderflut und die
darunter liegenden Mechanismen, die trotz aller
Gegenwehr letztlich aber auch wiederum auf ihre Weise
Indoktrinationen aufwiesen. Die hochgelobten Filme
„Z“ (Regie: Constantin COSTA-GAVRAS, 1968),
„L’ Aveu“ (1970) und der als politischer Gewaltfilm
bezeichnete Film” „Etat de siege“ (beide: Regie:
Constantin COSTA-GAVRAS, 1972/73) brachen in
keiner Weise mit der Tradition.
Sie beugten sich den rhetorischen und ökonomischen
Regeln des Mainstream. Die Filme brachten dem
Regisseur Ruhm und Ehre ein. Yves MONTAND wurde
neben Gerald DEPARDIEU nicht zuletzt durch seine
Rollen, die er hier spielte, zu einem der größten
Filmschauspieler Frankreichs.

Je intensiver man sich mit dem Politfilm, dem Politdrama
oder sogar dem Politthriller beschäftigt, umso deutlicher
wird das, was für alle gilt: der Typus seiner politischen
Erzählung scheint den Zeitumständen nicht mehr
angemessen. Er ist zu einem abgespecktes Streikkomitee
geworden, wo die krisenhafte Zuspitzung des Politischen
als Gegenpropaganda verstanden werden könnte.
Hatte in jüngster Zeit vor allem Michal MOORE versucht,
sich durch politische Enthüllungen in den Vordergrund
zu spielen und sich dabei dem Anspruch genähert,
mit Gegenpropaganda und Gegeninformationen
zu arbeiten, was je nach Standpunkt zur Politisierung oder
Entpolitisierung beitragen konnte, so geht
„Der Manchurian Kandidat“ (Regie: Jonathan DEMME)
einen anderen Weg, den Weg um Hysterie und Manipulation.
Am Original von John FRANKENHEIMER (1962) will sich
der Film messen, am „wegweisenden Klassiker des
Genres“, wie der „Filmspiegel“ in seiner Novemberausgabe
meinte.
Der Kalte Krieg, der noch bei FRANKENHEIMER im
Vordergrund stand, fällt hier ganz weg.
Die Story wird verlagert: vom Koreakrieg in den ersten
Golfkrieg.
In Kuwait geraten Captain Ben Marco (Denzel WASHINGTON)
und seine Männer in einen feindlichen Hinterhalt.
Als rettender Held profiliert sich Sergeant Raymond Shaw
(Liev SCHREIBER), der dafür mit einer hohen Ehrenmedaille
ausgezeichnet wird.
In Amerika der Gegenwart hilft Marco sich mit Medikamenten
über sein Golftrauma hinweg.
Shaw, der unterdessen Kongressabgeordneter wurde,
steht unter der Fuchtel seiner ehrgeizigen Mutter, der
Senatorin Eleanor Shaw (Meryl STREEP), die ihrem Sohn
die Vizepräsidentenschafskandidatur zuschanzt.
Als Marco die gleichen Albträume hat, wie ein weiterer
alter Kamerad, sucht er Shaw auf, um sich Klarheit zu
verschaffen.
Der Heldenmut von Shaw soll nun keiner gewesen sein,
den Marco beginnt anzuzweifeln. Seine Psyche deutet
ihm Kidnapping und Gedankenkontrolle mittels
Gehirnimplantat an. Hinter all dem soll auch noch
der Großkonzern Manchurian stecken, der nach
Weltherrschaft strebt.

Was dieses Drama hier auszeichnet, ist die brüchige
Arroganz, mit der man zu Werke geht.
Die engstirnige dogmatische Beweisführung bei der
Überführung von Shaw, der erhobene Zeigefinger
der im Brustton der Überzeugung vorgetragenen
Gewissheit, kann nur als unbelehrbarer Voluntarismus
bezeichnet werden. Hier wirkt ein Film wie ein
einziges Massenmedium. Die Fronten des politischen Diskurs
entfernen sich schnell und lassen eher die Erinnerung
aufblitzen, dass mit blasser Eintönigkeit eine lockere
Erzählung mit einem aufgesetzten politischen Statement
vermengt wird.
Die Politfilme der jüngsten Zeit, falls sie denn solche
sein sollten, arbeiten mit einem gesellschaftlich-ergreifenden
Kino, dass sich nicht mehr durch die Wirklichkeit
beeinflussen lässt. Er wendet sich dem Subjekt zu und
dient schon lange nicht mehr dazu, Anstöße zur
Reflexion zu liefern und zur Mobilisierung der
Bevölkerung beizutragen.
Hier trifft im Umkehrschluss das zu, was der marxistische
Theoretiker Antonio GRAMSCI einmal sagte:
„Wenn die Kunst erzieht, so tut sie es als Kunst, nicht
als Kunst der Erziehung; denn wenn sie Erziehung
sein will, hört sie auf Kunst zu sein, und eine Kunst,
die sich selbst negiert, kann niemand erziehen.“
Im Film klammert man sich an politische
Glaubensgrundsätze. Es wird so getan, als ob dies
alles gespenstisch ist, was natürlich im allgemeinen
durchaus zutreffend ist.
Doch generell wird die filmästhetische Spekulation
vernachlässigt und letztlich in aufgesetzter (politischer)
Moral gemacht.
Betrachter man sich die Schlussszene, die mit
einem Attentat, das sich an den KENNEDY-Mord
anlehnt, endet, dann stellt sich die Frage, zu was das
Politdrama eigentlich mobilisieren will.
Mobilisiert er Unterstützung für sich selbst, verknüpft
er mediales Interesse mit Interessen der Politik und
der Großkonzerne, oder suggeriert er nur eine andere
Form der Staatsführung?

Das ist der Punkt: nicht nur die Politik wird hier vom
Wirbelsturm des Entertainment mitgerissen, auch die
Öffentlichkeit.
Die übliche konventionelle Unterhaltungsform wäre
hier erweitert nichts anders als ‚Politainment’.
Politik wird unterhaltsam gemacht, zu einem zusätzlichen
Aspekt des kulturellen Lebens.
Ben Marco zwischen Idealismus und Wahnsinn. Seine
unglaublich (verstrickte) Geschichte will wahrhaftig
gemacht werden.
Der ultimative Held als Manipulationsopfer.
Doch mit dieser Eröffnung gehört die (kritische) Darstellung
der Politik im Film zur Populärkultur wie alles andere.
Politik ist hier Showbusiness für plakative Handlungen mit
Spannungsbögen.

Der Ausgangspunkt der Betrachtung war der
Pariser Mai von 1968.
Daniel COHN-BENDIT, einer der Führer des damaligen
Studentenprotestes meinte einst: „Richtig ist, dass die
revolutionäre Bewegung von heute unfähig ist,
das Kino in ihre Praxis zu integrieren.“ Und dieses
Unvermögen wiege umso schwerer, als es unvorstellbar
sei, „in allen Bereichen der Gesellschaft einen nachhaltigen
Einfluss ohne das Medium Film zu gewinnen.“
(Daniel COHN-BENDIT: „Der große Basar“, München 1975).
Der zum gesellschaftlich eingreifenden Kino gewandelte
Politfilm mag das als Sackgasse begriffen haben.
Und so steht „Der Manchurian Kandidat“ in dieser besten
Tradition, in „bester Tradition der politischen
Protestbewegung“, wie Ignacio RAMONET in
„Liebesgrüße aus Hollywood“ (Zürich, 2002) schrieb.
Als Politdrama ist „Der Manchurian Kandidat“ trotz seiner
guten Presse eine Verblendung. Er starrt immer auf die
Macht der anderen, aber nie auf seine eigene.
So gibt er eine Richtung vor, die mit Spannung unterlegt,
viel mit Träumen und Träumereien zu tun hat.
Bisweilen kommt er einer regelrechten Einkerkerung
gleich, weil seine veritablen Gefängniszellen
(hier Hirnzellen) alle Merkmale eines (politischen)
Strafgefangenen kennzeichnen: den geschlossenen
Raum, Bewegungsunfreiheit, Dunkelheit, Stille, Einkehr.

Fazit: Unter solchen Umständen wird das Politdrama
zur Qual.
Mit seiner gegenpropagandistischen Stoßrichtung ist der
Film überladen. Er hat einen Hang zum Falschen,
zur Kulisse, zur Künstlichkeit, zur Theatralik. Der Film
könnte auch ein Italo-Western sein, der in einer Welt
von Machos spielt, wo sich die Helden primär durch
Schläue, Gerissenheit und Finten auszeichnen.

Dietmar Kesten 20.11.04 11:44