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Die fetten Jahre sind vorbei

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FETT IST NUR DER FILMTITEL. Dietmar Kesten 27.11.04 11:35

DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI

FETT IST NUR DER FILMTITEL.

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 27. NOVEMBER 2004.

Rebellische junge Menschen, die ihr Heil in der
Flucht nach vorne suchen, die ihren Zorn auf die
gesellschaftlichen Verhältnisse in nächtlichen Aktionen
ausleben müssen- das gab es im Kino schon lange
nicht mehr.
Jetzt hat das Kino Freude an der ‚Spaß-Guerilla’
gefunden, den Widerstand gegen das Establishment
und verkorkste Strukturen entdeckt und auf ihre Fahnen
geschrieben.
Was für eine Geschichte!
Jan (Daniel BRÜHL)und Peter (Stipe ERCEG), Mittezwanziger,
leben in einer Wohngemeinschaft.
Ihr Ausbruch aus der Großstadt ist zunächst durch sporadische
Taten geprägt. Sie demonstrieren gegen die Kinderarbeit in
der Dritten Welt, sie sind wütend, wenn ein Obdachloser
rabiaten Fahrkartenkontrolleuren ausgesetzt ist. Doch abseits
dieser lebenshelfenden Versuche, revoltieren sie nachts.
Hier beginnt ihr eigentliches Leben, ein subversives Doppelleben
mit Crashs und Flashs, Verwandlungen und Aufbrüchen.
Sie, die sich selbst als ‚Erziehungsberechtigte’ bezeichnen,
brechen zur späten Stunde in Zehlendorfer Villen ein und
hinterlassen ein antiautoritäres Chaos: die Wohnzimmercouch
liegt im Swimmingpool, die Stereoanlage befindet sich im
Kühlschrank, bunte Porzellanfiguren finden sich im
Waschbecken wieder, das Mobiliar ist im Wohnzimmer
aufgetürmt, Kinderspielzeug findet man auf dem Klo.
An den Wänden prangen Parolen: „Sie haben zuviel Geld“,
oder „Die fetten Jahre sind vorbei“.
Jule (Julia JENTSCH), hat Schulden. Als sie noch
zusätzlich mit der Miete in Rückstand gerät und einen
Autocrash mit einem Manager hat, werden diese nicht
weniger. Sie fliegt sie aus ihrer Wohnung, findet Unterschlupf
bei ihren Freund Peter. Doch auch Jan findet sie
ungemein anziehend. Mit der Idee des Kampfes gegen
den „ganzen kleingeistigen Kleinbürgerscheiß“, wird sie
von Jan vertraut gemacht.
Bei einem Einbruch in eine Villa werden sie vom
Manager Hardenberg (Burghart KLAUßNER) erwischt,
entführen ihn kurzerhand- und nun fangen die Probleme
mit Rettungsinseln, radikalen Wenden und Wertediskussion
an.

Erstaunlich, dass Hans WEINGARTNER („Das weisse
Rauschen“, 2002) einen Film über Antiautoritarismus,
Sublimierung, hedonistischer Individualisierung und
falschem Avantgardismus gemacht hat, oder versucht,
einen provokanten deutschen filmischen Roman zu schreiben.
Das steigert allerdings nur das Paradoxe.
Hier geht es darum, politische Erwartungen nachträglich in
einen Film zu gießen, die überholt erscheinen, zumal die
68er Bewegung, und die Kommunen, mit ihren politischen
Großraumphantasien gescheitert waren.
Umso fraglicher ist es, dass es immer noch diese
Fangemeinde mit irritierenden und aufgesetzten
Runzelfalten auf der Stirne gibt.
Was sie einst faktisch propagierten und praktizierten,
wovon der Film, wenn man es genau nimmt, meilenweit
entfernt ist, war der Versuch, eine jugendbewegte
Öffentlichkeit herzustellen.
Ein lebenskulturelles Experiment, das allerdings
an Bilderstürmerei erinnert. Die Kommunen fielen von
alleine auf die Nase. Und die ausgefallenen
Provokationstechniken der Kommunarden, die
die Öffentlichkeit schockierten, und die der Film
unverblümt nachahmt- waren nichts anderes als ein
zynisches Selbstbekenntnis.

„Die fetten Jahre sind vorbei“ knüpft an diesen
Szenerie an, an linke Gepflogenheiten und
sogar, wenn man so will, an den Gestus linker Politik.
Immer dann, wenn deutsche Filmemacher sich diesem
Thema zuneigen, werden Streicheleinheiten neu
verteilt. Man besinnt sich auf die bessere Zeit, die
im übrigen keine war, auf den gemeinsamen
politischen Kampf, auf den Gegner und auf die
Möglichkeit, mit Erfinderstolz das Publikum zu
unterhalten und zu fesseln. Jede Aktion ist hier mit
den damaligen Facetten unterlegt, Motivation,
Ansichten, Bereitschaft, Idee und ungeahnte Wendungen
findet man in diesen Szenen wieder.
Jedenfalls sind die ‚Erziehungsberechtigten’, wie sie
sich selber nennen, erfüllt von einer gewissen Wut
gegen Kultur und Kapitalismus, allerdings ohne
kriminell zu sein.
Reicht das aber, um aufzuwecken, oder ein Bewusstsein
zu schaffen? Dann wäre die Frage zu stellen: wofür?

Selbst die Postulate des Managers Hardenberg,
der als Student „den 68er Idealen „nahestand“, ist nur
eine Pose, die später obsiegt, weil wir ja alle in einem
Boot sitzen.
Die schicke Aufrichtigkeit, die hier vorangetragen wird,
soll den Individuen helfen, Kraft zu schöpfen für
die Reflexion, zur Selbstbestimmung mit Hoffnung und
Einsicht.
Jan meint sogar, dass wir die „Dinge in einem größeren
Zusammenhang“ sehen, alles „auf eine höhere
Stufe stellen müssen.“
Das sagte einst die Kritische Theorie auch.
Erinnert das nicht an Herbert MARCUSE und seinen
„Eindimensionalen Menschen“, oder an die
Streitthese von ADORNO, dass die „Bürger in
Abhängigkeit und Unmündigkeit“ gehalten werden,
dass der „universelle Verblendungszusammenhang“
kritisiert werden muss, und dass die Kritik daran,
„ständig erneuert werden muss?“

Tragischerweise findet man sich in diesen Allgemeinplätzen
wieder, in dem Credo, dass alles „gut wird“ (DORO).
Und durch die Verbindung von Aufklärung und Erziehung,
mit ein paar unverwüstlichen Propagandatricks der
68er, die alles erstarrte aus der Verwüstung herausholen
kann, bekommt das existentialistische Wertegefühl scheinbar
ganz neue Dimensionen.
Alles kann man zur Not auch nachlesen (Literatur gibt
es genug), ausprobieren (wenn man will), oder wenn man ganz
sicher gehen will, sich in Tränen ergießen (die man noch hat),
wenn ganz zum Schluss die Sinnfragen erörtert werden.
Meinte doch Katja NICODEMUS dazu in der „Zeit“ vom
24. November:
„Lieber fragt er (Hardenberg, d. Vf.) gemeinsam mit ihnen,
wie alles gekommen ist und ob es wirklich so weitergehen
sollte. Auch das sind letztlich naive Fragen. Aber man muss
sich manchmal einfach trauen, sie zu stellen.“

Die Geschichte, die auch als biedere Dreiecksgeschichte
funktionieren kann, konfrontiert sich mit einer Peinlichkeit
nach der anderen.
Hardenberg, selbst Alt-68er, erstaunt sein junges
Publikum, bittet um die Hasch-Zigarette, erzählt von
Verbindungen zu H. J. KRAHL und Rudi DUTSCHKE,
von Partnertausch und Aktionen. Jan geizt nicht mit
plumpen Sprüche. Sein bester ist noch: „Von allen
Revolutionen überleben die besten Ideen.“ Selbst
Julia erkennt bei der Entführung von Hardenberg, dass
er doch auch „nur ein Mensch ist“.
Alles endet im gestählten und verklärenden Blick des schon
erzählten, gesagten, getanen, spaßigen, weltverbesserischen
und legendären.
Unsere Selbstdarsteller fordern voller geläuterter Demut,
man möge doch endlich „menschliche Zustände“ schaffen.
Das mutet an wie Robin-Hood, der zuletzt auch keinen
eigentlichen Ausweg mehr wusste, da er voller Schuldkomplexe
war.
Das wundersame Drama mit einem für viele Rezensenten
„glaubwürdigen Spiel“, ist hier offenkundiger Ausdruck für eine
Schuldgeschichte mit vielen ideologischen Ungereimtheiten
und der Vorgabe von Hintersinn.

Mittlerweile ist diese spielerische Radikalität zu einer Art
Lebensbeichte im Kino geworden.
Das undefinierte Etwas zieht sich wie ein roter Faden
durch die zerbrochenen Ideale, die man wieder zu erwecken
glaubt. Wenn einem nichts mehr richtiges einfällt, greift man
zurück in die Mottenkiste der 68er und der Kommunen.
Dazu noch mit der Handkamera gefilmt, die möglichst den
„authentischen Blick“ der jungen Darsteller wiedergeben soll.
Wie falsch müssen Filme sein, die sich von dieser Bewegung
nur das herauspicken, was die Besucherzahlen in die
Höhe treibt?
Ein Jugendfilm für Heranwachsende und Frustrierte mit einer
psychohistorischen Untermalung- das ist neues deutsches
Kino mit Gruppendynamik, speziell ausgewählter Musik
von Daniel BRÜHL („Good Bye, Lenin“, Regie:
Wolfgang BECKER, 2002), dem (politischen) Kampf als
inneres Erlebnis.
Es fehlt nur noch der Sinnspruch der ehemaligen
‚Kommune I’, die mit Fritz TEUFEL, Rainer LANGHANS
und Dieter KUNZELMANN einst in Berlin im Mai 1967
begann:
„Unsere Aufgabe ist es, den Feind wieder sichtbar zu
machen.“ (KI: „Klau Mich“, Berlin (West) 1968).
Da im Kino alles möglich ist und alles gezeigt werden
kann, kann es sein, dass die Parolen der drei
liebenswerten Menschen verfangen, und dass
die Assoziationen auf dem Fuße folgen.
Doch einfache Solidarisierung, die in einer Politmaske
steckt, ist grob gesagt eine Fahrlässigkeit.

Fazit: Nach „Gegen die Wand“ und „Der Untergang“
mit dem ständigen Aufspüren von Themen und Breittreten
angeblich geschichtlich relevanter Fragen, ist dies
der dritte Film, der als Reinfall bezeichnet werden
muss.
Es verwundert einen, dass es heutzutage schon
reicht, einen Film über den Ausbruch von
Jugendlichen aus dem Alltag zu drehen, der dann
noch als Meilenstein in der jüngsten deutschen
Filmgeschichte verkauft wird.
Dass der Film keine eigentliche (politische)
Botschaft hat, sei nur am Rande bemerkt.
Was sollte sie auch sein?
Die ziemlichen Verrenkungen, die hier auftauchen,
wirken wie Auf- und Rückwärtswinde, die
schließlich auf das offene Meer hinausgetrieben
werden.

Dietmar Kesten 27.11.04 11:35