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Die Reise des jungen Che - The Motorcycle Diaries

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na und... Seldon 10.11.04 19:42
zu "Na und..." Elisabeth 26.11.04 01:08
na und... Dietmar Kesten 11.11.04 16:48

Seldon schrieb:

» Die erste Stunde des Streifens ist wohl nur für
» Leser von Biker-Magazinen wirklich spannend,
» jedenfalls hat sich mir als Fußgänger der
» Unterhaltungswert eines regelmäßig umfallenden,
» nicht verkehrstüchtigen Zweirads nicht erschlossen.
» Der zweifellos gegebenen Schönheit der Landschaft
» wäre in einer halbstündigen Dia-Show, gern unter
» Reichung regionaltypischer Snacks genüge getan.
» Immerhin hätte der Soundtrack hier ebenfalls zur
» angenehmen Untermalung beitragen können.
» Das zwei junge Männer (Jungs) einen spannenden
» Urlaubstrip unternehmen soll ja vorkommen. Ich
» selber bin vor Jahren acht Wochen durch Usbekistan
» gereist. Trotzdem hat bisher niemand einen Film
» daraus machen wollen. Anscheinend kommt es also
» schon ein bißchen darauf an, wer die Reise
» tut...Soll ja auch so sein. Wieso der Film dann
» allerdings konsequent vermeidet, den Protagonisten
» (doch wohl Che?) in seiner Entwicklung zu dem
» Revolutionär, als der er doch bekannt ist,
» wenigstens ansatzweise zu zeigen, bleibt mir
» verborgen. Che werde ganz natürlich und nicht als
» fanatischer Kämpfer gezeigt. Wieso sollte er
» auch...
» Wir erleben also über lange Strecken zwei
» postpubertäre Jungs, der eine eher kopf-, der
» andere schwanzgesteuert, wie es sie also, was wir
» dankbar zur Kenntnis nehmen, auch Anfang der 50er,
» auch in Südamerika gab.
» Als das Moped endlich vollends geschrottet ist,
» bleibt etwas mehr Zeit zum Reden, und so nutzen
» Regisseur oder Drehbuchautor oder wer auch immer
» die Gelegenheit, schnell ein paar ansatzweise
» (sozial-/zeit-) kritische Brocken aufzupappen und
» wir lernen: schon damals war es früher immer besser
» und die Armen hatten's offenbar auch schwer. Diese
» schockierende Erkenntnis sublimiert ein nicht nur
» von Asthma, sondern offenbar einem ausgewachsenen
» Helfersyndrom geplagte Held in einer Leprastation,
» in der das einzige Problem offenbar die regelwütige
» Oberschwester ist. Jedenfalls werden soziale
» Aspekte nunmehr wieder völlig und für den Rest des
» Film ausgeblendet.
» Da die schönen Bilder und lustigen Streiche jetzt
» doch ganz schön viel Zeit gebraucht haben, muß die
» Reise schnell zu Ende geh'n. Wir sehen also einen
» nachdenklichen und introvertierten Che in's
» Flugzeug steigen und fragen uns, welche
» schwerwiegenden Erkenntnisse er denn nun
» verarbeiten muß. Jedenfalls haben sie ihn zu dem
» gemacht was er dann wurde. Der Film klärt uns über
» seine So-Werdungjedenfalls nicht auf.


Ihre Gegenposition ist interessant.
Zeigt sie doch, dass sich nicht alle Filmbesucher
mit "Die Reise des jungen Che" anfreunden
können.
Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass der Film
tatsächlich auf die Tagebucheintragungen des
Ernesto "Che" Guevaras zurückgeht.
Sehr viele Hinweise über sein frühes Leben
finden Sie im "Bolivianischen Tagebuch", aber
auch versteckt in seinem Aufsatz
"Taktik und Strategie der lateinamerikanischen
Revolution". Oder nehmen Sie seine Schrift:
"Ökonomie und neues Bewußstsein".
Letztere z. B. war u. a. auch das Produkt
seiner langen Reise durch den Lateinamerikanischen
Kontinent (siehe Film).
Insofern wird versucht, die Stationen seiner
Reise nachzuzeichnen. Worum es geht, ist, dass
Guevara hier eine wesentliche Entwicklungsstufe
durchmachte, ohne die sein späteres Engagement
nicht zu verstehen gewesen wäre.

Vor allem die Völker Lateinamerikas sah er
prädistiniert, einen Kampf in "kontinentalen
Dimensionen", gegen die verhaßten Yankees zu
entfachen.
Gefordert sei der "absolute Krieg", geführt
von "international geführten proletarischen
Armeen".
Ziel sei es schließlich auf dem
Lateinamerikanischen Kontinent die "totale
Vernichtung des Imperialismus" zu erreichen.
Che hatte diese Vorstufen seines späteren
Denkens in sehr vielen Tagebuchnotizen
festgehalten, die im Resümee ausdrückten,
dass man in diesem geschundenen Kontinent
ein Martyrium erleben muss, um ein freier
Mensch zu werden.

Man erlebt einen jungen Che, der hier als
jugendlicher Mensch Objekt intensiver
Phantasien und Besetzungen wurde (siehe meine
Kritik auf dieser Seite).
Hollywood hat das sicherlich erkannt. Und Salles
traute sich ja auch nicht daran, ein Film über
den Revolutionär Che Guevara zu machen.
Das wäre bestimmt ein Reinfall gewesen.
Che stammte zudem aus einer weißen, wohlhabenden
Familie aus dem bürgerlichen Buenos Aires.
Seine Selbstaufgabe kann sicherlich als Akt eines
reinsten Voluntarismus begriffen werden, mit dem
sich die radikalen Studenten identifizieren
konnten.

Sie mögen Recht haben:
"Der Film klärt uns über seine So-Werdungjedenfalls nicht auf."
Das zu kritisieren, ist richtig und wichtig.
Es wird geradezu tunlichst vermieden, seine politischen Botschaften anzureißen, geschweige
denn sie zu benennen. Nur einmal holt er zur
Agitation aus. Doch diese verblasst schnell im
Steinwurf gegen ein Auto eines Ausbeuters.

Verstehen lernt man Guevara eigentlich nur durch
seine frühe Jugend. Man kann dem Film nicht
vorwerfen, dass er das nicht versucht.
Vieles ist hier aufgesetzt, Hollywoodklischees
begegnen uns, Missionierungsgedanken und vieles
andere mehr.
Nur: Ches Jugend ist das Schlüsselglied für
sein späteres Erwachen. Er notiert auf seiner
letzten Station in Venuzeala: "Ich spüre, ich
bin nicht mehr derselbe."
Hier reißt der Film. Aber er ist hier auch zu
Ende.
Jetzt erst kämen die Revolutionäre ins
Spiel: Debray, Gaston Salvatore
(einst Freund von Rudi Dutschke), Vitale,
Mauro Marini, Castano, Torres und viele
andere.
Viele folgten dem Commandante Che Guevara
und starben auch (vgl. Gretchen Dutschke:
"Wir hatten ein barbarisch schönes Leben").
Leider wurde er später zu einer Ikone der
Jugend des Westens, zu einer der
metropolitanten Pop-Kultur.
Aber wollte man darüber und über seine
offensichtlichen politischen Fehlleistungen
einen Film drehen wollen?
Insofern entstand aus seiner Jugend und
Kindheit ein Mensch, der der Naivität
trotzte. Und nachvollziehbar ist sein
späteres Handeln allemal.

Dietmar Kesten 11.11.04 16:48