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Die Träumer

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Bertolucci zum Wiederverlieben Spoiler! Christian 30.1.05 04:57
Bertolucci zum Wiederverlieben Dietmar Kesten 30.1.05 10:54

Christian schrieb:

» Die Träumer von Bernardo Bertolucci
»
» 14.01.04 [Kritik von CampusReporter.de]
»
» Ein junger Amerikaner unterwegs auf den Straßen von
» Paris, auf dem Weg ins Kino. Aber er geht nicht in
» der Mitte, sondern am rechten Rand der Leinwand,
» dessen Zentrum seinem Schatten gewidmet ist in
» Bernardo Bertolucci's neuer Hommage ans Kino, Die
» Träumer.
» Die Schattenwelt der Leinwand ist Antrieb in
» Matthews (Michael Pitt) Leben, sein allabendliches
» Ziel die Cinémathèque Francaise.
» Er ist schüchtern, er ist wohlerzogen und fühlt
» sich fremd in dieser Stadt. Zuhause ist er nur im
» Kino, in der ersten Reihe, dort, wo man den Film
» noch als erster zu sehen bekommt bevor sich die
» Bilder in die hinteren Reihen weiterquälen.
» Es ist März 1968, de Gaulles Innenminister Andre
» Malraux entlässt Henri Langlois, Ikone der
» Cinephilie in Frankreich. Langlois hatte die
» Cinémathèque aufgebaut als rein privates
» Unterfangen; hatte seit Beginn der Sechziger abend
» für abend die Klassiker aus Hollywood, aus dem
» Frankreich der dreißiger Jahre und nun auch die
» Werke der Nouvelle Vague einem begeisterteten
» Publikum geboten.
» So erlebt Paris die ersten Demonstrationen der
» 68er, der Linken, die eine Re-Privatisierung einer
» staatlichen Kultureinrichtung fordern. In diesem
» Tumult trifft Matthew auf Isabelle (Eva Green) und
» Bertolucci mischt Orginalaufnahmen damaliger
» Proteste vor der Cinémathèque mit neu
» hinzugedrehtem Bildmaterial; auf dem einen spricht
» Jean-Pierre Léaud im Original als junger Mann, dann
» spielt der alte Lèaud sich selbst im Kino.
» Aber Matthew interessiert sich schon mehr für
» Isabelle und ihren Bruder Theo (Louis Garrel),
» fängt Kinorätsel mit ihnen an, läßt sich einladen
» zu ihnen nach hause. Und hetzt mit ihnen durch den
» Louvre, um den Rekord von 9:45 min. aus Godards
» "Aussenseiterbande" zu unterbieten.
»
» Bei Isabelle und Theo zuhause lernt Matthew auch
» die Eltern der beiden kennen, liefert sich ein
» philosophisches Duell mit dem Vater, der an A.
» Moravia erinnert. Als die Eltern in den Urlaub
» fahren, folgt Matthew dem Angebot, zu Isabelle und
» Theo mit in die Wohnung zu ziehen, um sie bis zum
» Ende des Filmes kaum noch zu verlassen. Die ganze
» (Nicht-)Realität der drei spielt sich nun zwischen
» diesen Wänden ab, in einer Wohnung, die auch für's
» Kino stehen könnte.
» Aber die Rätsel um Godard, Marlene Dietrich werden
» ernster: als Theo verliert, muss er vor einem
» Poster Marlenes onanieren, vor Matthew und
» Isabelle, die dies ihrem Bruder abverlangt hat...
» dann verliert auch Matthew; die Aufgabe: er soll
» mit Isabelle schlafen, für beide das erste Mal. Ab
» hier fehlt den dreien der letzte Stoff auf ihren
» Körpern, nackt, frei und unabhängig vegitieren sie
» dahin in ihrer Höhle dieser Wohnung, wobei
» Bertolucci es elegant vermeidet, hierin nur ein
» Zitat seines "letzten Tangos in Paris" zu sehen.
»
» So entwickelt sich die wohl schönste "Ménage à
» trois", die seit langem auf einer Leinwand zu
» verfolgen war. Gänzlich sind die drei in ihrer
» Traumwelt aus Filmzitaten, Liebe und Sexualität
» gefangen; werden auch nicht von den Eltern der
» Geschwistern herauserweckt, als diese kurzseitig
» ihrer Wohnung einen Besuch erstatten und selbst der
» darauffolgende Selbstmordversuch Isabelles stellt
» noch ein Filmzitat da (Bressons "Mouchette") und
» wird nur durch einen Pflasterstein verhindert, der
» von der Straße durch die Fensterscheibe fliegt...
» auch dies Bertolucci in Höchstform, so wartet er
» beim Filmen immer darauf, ob nicht die Realität
» durch eine Tür in den Set hineintauchen könnte.
» Draußen, außerhalb der geschlossen verträumten Welt
» dieser mondänen Jugenstilwohnung, kämpft die
» Straße.
»
» Die letzten Szenen, in welchen sich die drei in das
» Geschehen der Mai-Revolutionen stürzen, bilden da
» nur einen verklärten Ausklang dieses Meisterwerkes
» über das Kino und einer demütig ersponnenen
» Liebeserklärung an die Zeit der Sechziger Jahre, an
» das Gefühl der Hoffnung und des Aufbruchs, an die
» Nouvelle Vague und die Jugend, an die Sexualität
» und die Liebe, an Godard, Chaplin und Keaton; an
» die Liebe zur Leinwand und die Liebe zu den
» Liebenden.
»
» Bertolucci's Meisterwerk hat u.a. anderen dem Autor
» der Romanvorlage ("The Holy Innocents"), Gilbert
» Aldair, so zugesprochen, dass jener seinen Roman
» einfach umgeschrieben hat, wodurch nun der Film die
» Vorlage zum Buch (Träumer) darstellt.


Ja, die Verklärung der Revolte!
Wer hätte sie nicht gerne wieder? Filmisch
gibt es eine Auferstehung nach der anderen,
wenn etwa an das jüngste Werk "Die fetten
Jahre sind vorbei" von Hans Weingartner
gedacht wird. Ob westdeutsche Studentenrevolute
oder Pariser Mai: hier wird alles aus der
Mottenkiste herausgeholt, was noch einigermaßen
verwertbar erscheint, um den Zuschauer an der
Nase herumzuführen.
Man sollte nicht vor großen Namen stehen bleiben.
Bertolucci in Ehren!
Doch der gesellschaftliche Aufbruch mit einer
Thematik, der versuchten sexuellen Revolution,
war in sich nur eine pathetische Anstrengung.
Gerade der Pariser Mai war nichts anderes als
ein Generationskonflikt, der von einer
Rivalität überlagert war, deren Ursachen in
einer spezifisch sozialen Schichtung lagen.
Sunil Khilnani schrieb in seinem Buch
"Revolutionsdonner. Die französische Linke
nach 1945" dazu: "Man könnte sie (die
Schichtung, d. Vf.) als Wettkampf zwischen
der 'niederen Intelligentsia... und der
höheren Intelligentsia bezeichnen."
Der Bruch zwischen Intellektuellen und
Linksparteien etwa, drückte die Hoffnung
aus, unter einer Regierung der Linken hätte
man eine Chance auf die Umgestaltung des
Landes.
Nun war ja auch schon die französiche
"Volksfront" an diesem Umstand gescheitert.
Und dem Gaullismus gelang es ziemlich
schnell an die politische Sensibilität der
Intellektuellen zu appellieren, dass ihre
Hoffnungen unter einer Regierung der Linken
keine Chance auf eine Erfüllung ihrer
Träume hätten. Sartre und Focault z. B.
brachen ein. Ihre Kritik an der neuen
Philosophie in Frankreich endete in der
Begriffsinflation des Totalitarismus. Eine
Polemik, die kaum noch Widerhallt fand.
Diese philosophische Debatte fiel in
Frankreich mit der politischen Krise
zusammen: mit der Erwartung eines
Wahlsieges der Linken. Diese Träumereien
wurden vom kapitalistischen Staat ad
absurdum geführt.

Der Pariser Mai und die Erneuerung der
revolutionären Tradition von 1789 bot
zwar die Möglichkeit, die angeschlagene
politische Identität wiederherzustellen,
doch der illusionäre Charakter des
französischen Nationalmythos war in
Wahrheit immer Metapher für ein
Theaterdonner und nur nostalgische
Selbstvergewisserung. Die "welthistorische
Mission", mit der der Pariser Mai
auftrat wurde durch die komplexen
politischen Gegegebenheiten widerrufen.
Der Glanz der französischen Revolution,
mit der einst die jungen Intellektuellen
den Protest vom Campus auf die Straße
tragen wollten, ist verblichen.
Damit macht man im Kino keinen Staat mehr.

So schwelgt der Film vor diesem Hintergrund
in großbürgerlichen Szenen. Die Träume sind
dahin, der gesellschaftliche Aufbruch auch.
Die "sexuelle Revolte" und die Überzeichnung
mit Sex, Erotik und Geschlechtsorganen kann
nicht als Hoffnungssymbol gelten. Sie wurde
schnell wieder von den gesellschaftlichen
Normen eingeholt. Allerding war sie eine
gewisse hedonistische Selbstbefreiung, über
die man heute nur lächeln könnte.
Da hilft auch nicht Edith Piaf, Jimmy Hendrix
oder Bob Dylan.
Man merkt einfach, dass Herrn Bertolucci
seine unvollendeten Werke wie ein
Mühlstein am Hals hängen. In "Der Konformist"
oder "1900" war es nicht anders. Es fehlt ihm
an (ideologischer) Überzeugung. Vor allem
der fehlerhafte analytische Kern seiner
Darstellungen, zieht sich wie ein roter
Faden durch seine Filme.

Man spürt förmlich, dass seine orthodoxe
Interpretation in die "Die Träumer" gar
nicht dem Interesse an einer historischen
Erzählung gilt, sondern der dürftigen
Widersprüchlichkeit des Sexus, woran er
auch schon im "Letzten Tango in Paris"
(1972) zu knabbern hatte. Die
Machtart dieses "Skandalfilmes" findet man
heute in "Die Träumer" wieder. Das mag
am Druck der Produzenten gelegen haben,
ihm endlich wieder einen Kassenfüller
auf's Auge drücken zu wollen. Ob er sich nur
dem gebeugt hat?

Zu vermuten ist eher, dass seine reichlichen
Nacktszenen in "The Dreamers" snobistische
und inzestiöse Hintergründe haben, so als
hätten die Protagonisten die geheime und
gleichzeitig gefährliche Kraft der
Sexualität so eben erst entdeckt. Es ist
so, wie es Focault in "Sexualität und
Wahrheit" einmal ausdrückte:
"Die Gesellschaft entwickelt Strategien, die
uns unablässig vom Sex sprechen lassen und
uns glauben machen, sie führten zu unserer
Befreiung."

So spielt Bertolucci diese Szenen einfach
nach.Und die Auftritte der drei Menschen
kommen einem vor wie ein klinisches
Abhorchen der Gefühle.
Die Wirkung wird nicht verfehlt.
Die Unernsthaftigkeit dieser Thematiken
wird von Bertulluci leichtfüßig
erzählt. So negativ leichtfüßig agieren
auch die Schauspieler.
Der individualistische Zug, die
Abgeschlossenheit zu überwinden, kann
auch nicht durch den geworfenen Stein
zum kollektiven Interesse mutieren. Wie
einfach ist es doch, das im Kino
darstellen zu wollen.
Man kommt sich vor wie in "Die fetten
Jahre sind vorbei". Daniel Brühl fragt, wer
denn Hans-Joachim Krahl war?
Jetzt muss man an der Revolute teilnehmen.
Hat man nicht Cohn-Bendit gesehen? Wer
war Cohn-Bendit?
"Je ne regrette rien" singt Edith Piaf.
Es sind die verklärten Träume eines alten
Mannes, der seine Jugend nicht mehr
einholen kann. Das ist das eigentümliche
Geheimnis von Bertolucci.
Der Film hinterlässt somit keine
Tiefenwirkung (vgl. auch meine Kritik
auf dieser Seite).

Dietmar Kesten 30.1.05 10:54