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In the Cut

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KINO DER VOYEURE. Dietmar Kesten 8.12.04 15:35

IN THE CUT

KINO DER VOYEURE

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 8. DEZEMBER 2004.

Frannie Thorstin (Meg RYAN) ist allein stehende
Literaturprofessorin.
Bei einem Erlebnis im Keller einer Bar wird sie Zeugin einer
Oralsex-Szene. Ein Mann nimmt dort die Dienste einer
Prostituierten in Anspruch. Die blauen Fingernägel der Frau
sowie ein Tattoo an der Hand des Mannes bleiben ihr
im Gedächtnis. Letzteres wird später eine wesentliche
Bedeutung haben.
Kurze Zeit später wird sie wie aus heiterem Himmel mit einer
Frauenleiche konfrontiert, die man im Garten ihres
Apartmenthauses findet.
Vom Vorgehen der ermittelnden Polizisten beeindruckt, bricht sich
ihr Begehren Bahn. Sie beginnt eine sexuelle Affäre mit dem
Polizisten James A. Malloy (Mark RUFFALO), der versucht, den
Mord aufzuklären.
Doch schon bald wird sie misstrauisch und zweifelt an den
Motiven ihres neuen Liebhabers.

Mit „In The Cut“ begegnet uns ein erotischer Thriller. Der
Film stellt einen Versuch dar, die Grenze zwischen Erotik
und Thriller zu vermischen. Filme sind gefräßig.
Hier fressen sie im wahrsten Sinne den Zuschauer auf
wovon das Kino wenig weiß.
Vielleicht ist das der Grund für die Abneigung, die man
beim zusehen dieser Bilder empfindet.
In vielen Filmen sieht man heute junge Schauspielerinnen,
die ins Kissen heulen, die sich mit rotem Gesicht ihrem
Liebhaber nähern, und die sich lasziv auf dem Bett
räkeln.
Die Leinwand ist ihre Welt. Hier geizen sie nicht mit ihren
körperlichen Reizen, lassen sie Revue passieren und
reichern sie auch immer wieder durch neue Facetten an.
Manchmal erstarren ihre Träume zu Filmen. Und jede
Verfilmung bedeutet gleichzeitig auch Anfang und Ende
ihrer Phantasien. In diesen können sie sich ausleben,
verführen und betören.
Leicht haben es die Darstellerinnen nicht.
In solchen und ähnlichen Filmen haben sie eine
schwere Bürde zu tragen. Sie müssen aus ihrer alten
Vergangenheit heraustreten, das Niemandsland
überwinden, sich quasi mit dem Schopfe selbst aus dem
Sumpf ziehen und sich befreien.
Sie müssen aus ihrem alten Image, oder auch Ego, das
man ihnen filmisch anerzogen hatte, heraustreten.
Manchmal ist es das Licht, dass sie einfängt, manchmal
die Umhüllung der tiefen Nacht, in der sie das Licht
nicht sehen.

So geht es Meg RYAN, die für sich den Komödienstatus
schon fast verinnerlicht hatte.
RYAN, die mit „Schlaflos in Seattle“ (1993) bekannt wurde,
und die sich seit dieser Zeit mit mehr oder weniger von Erfolg
gekrönten Filmen durch den Filmalltag schlug, bewies kaum
ernstzunehmende schauspielerische Fähigkeiten.
In Filmen wie „When A Man Loves A Woman“ (1994) oder
“E-mail für Dich” (1998) war ihr der Kitsch auf den Leib
geschrieben, den sie auch ungehindert hofierte.
Diese Bilder blieben nicht haften, weil mehr und mehr der
Versuch der Routiniers, Kontrolle über die Gedanken
der Darstellsteller zu nehmen, obsiegte. Egal ob es sich
dabei um den Körper handelte, ob Treue vorgespielt,
Erotik gepriesen, oder Verrat zelebriert wurde: hier war
das schlecht Gewissen das Fanal für alle Genres, die ihr
zuhause sind.
RYAN zerfiel hier vollends zu Filmstaub, erstarrte zur
Salzsäule, und ihr Spiegel-Trick, ein aufgesetztes
Lächeln, funktionierte nur im Reiche des Kino-Kitsches.
Längst, so denkt man, hätte sie diese Grenzen hinter sich
gelassen, und strebt mit neuen Kulissen auch neuen
Ufern entgegen.

Die Verwandlung einer verschmitzten Verführungskünstlerin
braucht nicht zu bedeuten, dass damit auch der Bann
gebrochen ist.
Oftmals ist es geradezu die zwanghafte Vorstellung, die
zwar einerseits das alte Bild kippen lässt, aber andererseits
den Kitsch immer noch mitschleppt, der dann zwangsläufig
zum tödlich-kitschigen werden muss.
Das ist das Spiel des Films.
„Der Kitsch“ meinte Milan KUNDERA einmal, ist „eine
spanische Wand, hinter der sich der Tod verbirgt“.
So kehrt die Frau der Schwäche im Film ins Kino zurück.
Und das passiert durch eine andere Kulissenwelt.
Hektisch ist die Kamera, die die düsteren Impressionen
der Großstadt einfängt.
Der Blickwinkel ist auch für RYAN wie gemacht. Sie wird
gesehen und sieht- auch als Voyeur.
Über diesen Bildern liegt kein Glanz eines neuen Anfangs.
Sie verpuffen in der Überzeichnung, sind verkrampft
und unehrlich.
RYAN, die seltsam blass agiert, die in der düsteren
und gekünstelten Atmosphäre untergeht, verwandelt ihren
eigenen Markenartikel zum Imageschaden.
Das ist kein neuer Anfang, keine Lösung. Die Leere ist
geblieben.
Mit dieser kippen auch diese Bilder wiederum ins
Schwarzweiße.

„In The Cut“ zeigt bestechend, dass Spannungslosigkeit
auch Namen haben kann.
Es ist nicht nur RYAN, die hilflos den Kinosaal zu einem
wackligen Parkett macht.
Es ist auch Jane CAMPION, die Regisseurin, die
auf einer Linie mit RYAN quer durch das Bild schießt.
Hatte sie noch mit dem wunderbaren Film „Das Piano“ (1992)
ein Märchen des Jahrzehnts geschrieben, so legt sie
mit „In The Cut“ genau das Gegenteil vor.
Filme kann man nicht wiederbeleben. Sie sind wie ein
Museum, die das Gute an ihnen beherbergen.
Schneidet man sie neu zurecht, dann werden sie zu einer
abgenudelten Sammlung peinlicher Preziosen.
Und immer wieder tritt das alte Thema der erotischen
Unvernunft im Kinoreigen auf, wenn man nicht mehr weiter
weiß. Jene Krimihandlung scheint heute mit einem Schuss
Erotik unterlegt zu sein.
In diesem Falle ist es das ganze phallische Gehabe, dass
sich schwülstig über den Film legt.
Diese erotische Komponente ist deplaziert, weil dadurch
die alte Geschichte von Liebe und Tod ad absurdum
geführt wird. Zwar unauffällig, aber zur zunehmenden Mitte
des Filmes hemmungslos erscheint.
Angewidert sieht man ins Kino des Voyeurs.
Sollte da noch so etwas wie Spannung aufkommen?

Warum sollte man hier glauben wollen, dass die
Protagonisten eine Affäre mit einem Mann hat, der angeblich
ein brutaler Killer ist, der sogar Frauen nach dem Sex den
Kopf abschneiden soll?
Bei Malloy wird man das tragische Gefühl nicht los, dass
sein Kunstherz erst dann zu schlagen beginnt, wenn sein
Auge Exesse feiern darf.
Und die weibliche Psyche ist hier so frauenfeindlich
dargestellt, wie nur etwas frauenfeindlich sein kann.
Die Verzettelung mit Geschlechtsorganen macht keinen
guten, eher einen schlechten Film.
Wenn der Film mit erotischen Bildern unterhalten will,
dann ist das wie eine tibetanische Liebesmühle, um die
herum zwar die Lüsternheit aufgebaut ist, aber die
Farbseiten der Illustrierten, auf denen barbusige Frauen
zu sehen sind, sind besser als diese nackten und
glacierten Bilder.

Fazit: Wenn die Obszönitäten im Film überwiegen, dann
sind sie nichts anderes als hochschwangere Schnipselrollen.

Dietmar Kesten 8.12.04 15:35