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Terminal

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FLUGHAFENEINERLEI Dietmar Kesten 9.10.04 11:24

TERMINAL

FLUGHAFENEINERLEI

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 9. OKTOBER 2004.

Nach einem Putsch in seinem Heimatland
(fiktives Land: Krakohzia) kann
Viktor Navorski (Tom HANKS) nicht mehr zurück in
seine Heimat. Sein Pass ist nicht mehr gültig, ein Visum
bekommt er auch nicht.
So wird er zum Staatenloser, der weder zurückfliegen noch in
die USA einreisen darf. Schon bald gerät Viktor in Konflikte
mit dem Flughafenbeamten Frank Dixon (Stanley TUCCI), dessen
wohlwollende Haltung er mehr und mehr überstrapaziert.
Die nächsten Monate verbringt er in der Lounges
des Terminals (Gate 67).
Steven SPIELBERG knüpft mit diesem Film an die wahre
Geschichte des Exilanten Merhan Karimi NASSERI an, des
Iraner, der seit 16 Jahren im Terminal des Pariser Flughafens
Charles de Gaulle sein Leben verbringt, weil er seine
Ausweispapiere verloren hat.

„Terminal“- eine moderne Robinsonade?
Wer verbringt seine Zeit auf dem Flughafen?
Die filmische Exposition von „Terminal“ scheint irreal zu sein.
Der Film würde auch stumm funktionieren; denn zunächst
gibt es nichts, was sonderlich auffällt.
Was man sieht, ist die Vereinsamung eines Gestrandeten:
Viktor in der Wartehalle, Viktor beim schlafen, Viktor auf der
Jagd nach Essensgutscheinen, Viktor als Handwerker, als
Menschenfreund, als Dolmetscher und Eheanbahner.
Viktor und eine Liebesgeschichte. Absurditäten reihen sich
aneinander, Statusdenken, Amüsement, Großzügigkeit,
Ehrgeiz. Eine verkehrte Welt, die man auf dem
internationalen Flughafen J. F. Kennedy, der naturgetreu
nachgebaut wurde, bestaunen kann.
Für Viktor wird nach und nach der Flughafen zu (s)-einer
natürlichen Umgebung, die nach seinem mehr zwanghaften
Aufenthalt zur zweiten Heimat wird, die er mit List und
Tücke zu beherrschen versucht.

Die Duftmarken, die SPIELBERG setzen will, sind schwer
durchschaubar. Zum einen mag sich hier das Desaster
der Moderne widerspiegeln: der Mensch, der durch die
Zivilisation nachhaltig vergiftet worden ist, erscheint in der
Rolle von Viktor als modernes dressiertes Wesen, das sich
jeder Eigenständigkeit gegenüber beraubt sieht.
Tatsächlich verbringen wir statistisch betrachtet fast ein
Drittel unseres Lebens auf Flughäfen, Rolltreppen,
in Einkaufparks und Vergnügungszentren jeglicher Art.
Der öffentliche Raum ist gerade auch durch die neuen Medien
nahezu verschwunden, die Kommunikation abgestorben und
durch die Unterhaltung/Unterhaltungsindustrie und Internet
ersetzt worden.
Jeremy RIFKIN (Vorsitzender der Foundation on
Economic Trends in Washington) meinte in seinem Buch
„Access“ zu dieser Entwicklung:
„Einkaufszentren werden zu Orten, an denen man Zugang
zu gelebten Erfahrungen jeglicher Art kaufen kann... Einkaufszentren
sind ausgeklügelte Kommunikationsmedien, dazu geschaffen,
Elemente der Kultur in kommerziell simulierten Formen zu
reproduzieren. Sie alle wären nichts ohne die neueste
elektronische Technik, die Voraussetzung für das künstlich
geschaffene, kulturelle Milieu.“ (Jeremy RIFKIN: Access,
Frankfurt/M. 2000).

Ähnliches gilt für die heutigen modernen Flughäfen.
Auch dort ist der Siegeszug unveränderlich:
McDonalds, Döner, Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken.
Wir spüren die kulturelle Gleichförmigkeit, die Trivialkultur,
die uns dort begegnet.
Überall Boss, Swatch, Louis Vuitton. Überall Turnschuhe
und Baseballkappen. Überall Macintosh, Marlboro, Boss
und Apotheken.
Überall hetzende Menschen. Gelebte Erfahrungen werden
hier zur letzten Ware in der Zirkulation des Kapitals.
Der Tourismus- das Trauma der Kulturindustrie. Hier werden
Wünsche wahr. Eine Form der kulturellen Produktion
bricht sich Bahn. Tourismus und Unterhaltung verschmelzen
schon auf den Flughäfen. Und niemand nimmt heute
daran sonderlich Anstoß.
Und mehr noch: der desolate Gau der Entfremdung des
Verlorenseins, der Heimatlosigkeit, des Ausgeliefertseins und
das Schicksalhafte beginnt sich auf diesen Flughäfen, in
den Terminals und an Bord ungemindert fortzusetzen.
Viktor steht mit beiden Beinen in dieser Entzauberung.

Und was macht SPIELBERG aus diesen vielleicht profanen,
jedoch viel tiefer liegenden Gedanken, die man einem
solchem Thema abgewinnen könnte?
Er versucht mit Komik, Gestik, Mimik, Akrobatik und
Pathos einen Film zu schneidern, der an triste Architektur
erinnert: der unfertige Bau schlägt sich in
Montagekunstmittel des Regisseurs nieder.
SPIELBERG setzt auf eine saloppe Inszenierung, auf
ein spielerisches, gar freundlich erscheinende Chaos auf
einem Flughafen.
Das Ganze ist ja keine Entlarvung der Situation auf den
Flughäfen, sondern eher eine ehrfurchtgebietende
Verneigung vor dieser.
Das alles erscheint als fabrizierte Evidenz.
Die Bilder sind eher bestätigend als trügerisch, weil sie die
Absurdität falsche Vorstellungen suggeriert, nämlich
zu meinen, hier in irgendwelche menschlichen Abgründe
vordringen zu können. Sentimentalität und Ethos
sind vielleicht die Stimmungsbilder, die „Terminal“
auszeichnen.

Mit einem Blick für die bleibende Realität hat das
allerdings nichts zu tun.
Bedenkt man, dass „Terminal“ nach dem
11. September 2001 gedreht wurde, dann verschenkt
hier SPIELBERG ein zweites Mal eine große Möglichkeit,
die sich mit Viktor hätte ergeben können.
Angst und Hysterie bei der Verfolgungsjagd nach
Terroristen auf Flughäfen, Willkür, Gefangenschaft,
Unrecht und Verfolgung- all das spart SPIELBERG aus.
Der gestrandete Viktor ist kein politischer Held. Er ist
auch niemand, der in der kriegerischen Konfrontation
lebte, auch niemand, der in zweifelhafter Mission
unterwegs war. Sein eigentliches Herkunftsland
verschweigt SPIELBERG. Warum?
Denn in der Darstellung der Aufdeckung von Vorurteilen
und politischer und persönlicher Destabilisierung
könnte er Größe zeigen. Aber eben diese Konfrontation
vermeidet er.
Hängt das mit seiner politischen Einstellung zusammen?
Viktor spricht den Dialekt, der darauf schließen lässt, das er
aus einem osteuropäischen Land kommt.
Hinter uns liegt der Krieg in Bosnien, der Jugoslawienkrieg,
vor uns die Auseinandersetzungen in Tschetschenien.
Zwar gibt es darauf einige vage Anspielungen, aber stringent
werden diese Verweise nicht näher hinterfragt.
Viktor bleibt so nur Hintergrundmasse für den Vorwand
des Regisseurs, um seine Story zu stricken, auch die
Story vom Glauben an die Unbesiegbarkeit der
Toleranz, die guten Seiten im Menschen oder
Gutmenschlichkeit.

Diese vehemente Propaganda-Botschaft stört sehr.
Und hier verschenkt er auch ein drittes Mal sein
Können.
Sie ist ja im amerikanischen Film gang und gebe
geworden. Nach siegreichen Schlachten gibt es die
abgeleierten Kommentare, die sich in subtiler Weise
ihrer Bedeutung entledigen und abgestanden wirken.
Wer genau hinsieht, der sieht, was hinter der Idylle
Viktor lauert: ein Outlaw auf der Suche nach seiner
Heimat, nach Sinn und Moral, selbst wenn darauf alle
Schatten des Lebens fallen. Diese Thematik ist
SPIELBERG eigen. Vor allem mit der Figur David
hatte er in „A. I. - Künstliche Intelligenz“ (2001)
jenes Wesen erschaffen, dass durch seine bloße
Gegenwart die Seelen seiner Eltern erregte und mit
einer vorgefassten Idee zur materiellen Welt
herabstieg. Ein elternlose Existenz wandert durch
den Schrebergarten der menschlichen Zivilisation um
dann in der idealistischen Konzeption vom
Durchreisenden zur Manifestation des Lebens
zu werden.
Das „Geworfensein“ (HEIDEGGER) findet Erfüllung
im Märchen, in der Bestätigung der Wünsche, in der
Ebene der Straße, die nicht mehr durch die Leere
führt.
Die feindselige Welt, die Viktor durchdringt ist zwar
die heutige Zivilisation, doch sie bleibt am Ende
nichts anderes als Organisation der Bilder in unserer
Zeit.

Diese Bilderzwänge finden Gestalt in Tom HANKS
und Catherine ZETA-JONES, die als Amelia Warren
unterwegs ist. Das ist sein viertel Makel.
Eine Romanze, auf die man irgendwie gewartet hatte;
denn HANKS erreicht trotz verbreiteter Kurzweiligkeit
nicht die Brisanz, die ihn in seinen wenigen ernsten
Rollen auszeichnete.
Vielleicht hat deshalb SPIELBERG auf diesen Gestrandeten
gesetzt, der mit HANKS ja jenen Alleskönner für
seine Hauptrolle engagieren konnte, die vielleicht auch
kein anderer kunstsinniger hätte ausfüllen können. HANKS
hatte mit „Forrest Gump“ (Regie: Robert ZEMECKIS, 1993)
und „Cast Away“ (Regie: Robert ZEMECKIS, 2000)
schon diese Rollen perfekt ausgefüllt. Hier konnte er
sich ohne viel Dekor und Schminke beweisen. Hier verlieh er
seinem Image als Bild durch die Gegenüberstellung mit
anderen oder ähnlichen Bildern seine Attraktivität, die
ihn auch zu einem der fähigsten Schauspieler
Hollywoods machte.
Mit „Saving Private Ryan“ (Regie: Steven SPIELBERG, 1998)
„The Green Mile“ (Regie: Frank DARABONT, 1999) und
„Road to Perdition“(Regie: Sam MENDES, 2002)
verkörperte er jenen individuellen Realismus, vielleicht auch
in gewisser Weise Patriotismus, der seine Vervollkommnung
in diesen dramatischen Gattungen zeigte.

Allerdings scheint er sich nun einer anderen
Entwicklung, einem anderen Filmtrend zu verschreiben
Mit „Ladykillers“ (Regie: Joel COEN/Ethan COEN, 2003)
und nun mit „Terminal“ betritt er durch Blicke und
Gebärden das Filmniemandsland.
Mit Anleihen an Charlie CHAPLIN, Buster KEATON und
Harpo MARX holpert er sich in die Schablonen hinein.
Seine angedachte Umgebung ist für ihn eher ein
Hindernis. Das führt m. E. dazu, dass die Gestaltung
einer Figur hier gar nicht richtig nicht zustande kommt.
Viktor ist eine schlechte Dichtung. Und HANKS
quält sich mit seinen Widersprüchen ab.
Das ist so abstrus, dass HANKS nur sichtbare Gebärde ist
und als Missverständnis vorgeführt wird.
ZETA-JONES mag zwar nett anzusehen sein. Als
Zufallsereignis bleibt sie aber flach wie bereits schon
in vielen ihrer anderen Filme (vgl. auch:
„Maske des Zorro“ (Regie: Martin CAMPBELL, 1998),
„The Haunting“ (Regie: Jan DE BONT, 1999) und
„Ein (un)möglicher Härtefall“ (Regie: Joel COEN/
Ethan COEN, 2003).
Durch sie wird man dann auch buchstäblich erlöst.

Fazit: Spielberg verschenkt alle guten Ansätze.
Aus einem Film, den man nach allen Seiten offen
gestalten könnte, macht er eine plumpe Komödie
mit dramatischen Versatzstücken (etwa: gegen
Flughafenbürokratie).
Davon lebt der amerikanische Film, aber er versagt
auch damit.
Hier wird mittels Film ein mögliches Alltagsleben auf
einem Flughafen konstruiert.
Hinweise auf das tägliche Leben gibt es nicht.
Auch nicht auf einen tieferen Sinn. Gebe es den,
dann könnte er nur in einer tiefsinnigen Philosophie
bestehen, die mikroskopisch den Wechselbalg
zwischen Sorge und Befriedigung, Zwiste und Feste,
Bedürfnisse und Bestrebungen beschreibt.
Tom Hanks hat man schon in besseren Rollen
gesehen. Die Immobilien des Flughafengebäudes
zwingen ihn dazu, sich selbst als Spiegelbild zu
betrachten, wenn nicht sogar zu verkaufen.
Die Filmleinwand ist halt eine „Wohnstätte“.
Sie zu „vertiefen und inniger zu gestalten“,
ist Aufgabe des Kinos meinte Siegfried Kracauer.
Das Kino erschließt uns die Welt, in der wir
leben. Der Terminal hat einen Vorteil gegenüber dieser:
dort gegen nie die Lichter aus.

Dietmar Kesten 9.10.04 11:24