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Twisted - Der erste Verdacht

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Auf der Suche-Wonach? Dietmar Kesten 22.5.04 11:45

TWISTED - DER ERSTE VERDACHT

AUF DER SUCHE - WONACH?

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 22. MAI 2004.

Jessica Shepard (Ashley JUDD) ist Polizistin mit einem
lockeren Lebenswandel.
Ihre beruflichen Fähigkeiten beweist sie dadurch, dass sie
quasi im Alleingang einen lange gesuchten Mörder zur Strecke
bringt.
Sie wird in die Mordkommission befördert, zur Freude ihres
neuen Partners Mike Delmarco (Andy GARCIA).
Gleich ihr erster Fall geht ihr weit näher, als ihr lieb ist.
Ein Toter wird aus der San Francisco Bay gefischt. Es
bleibt nicht der letzte Tote.
Das Opfer verweist auf sie und ihre freizügige Sexualität.
Dass ihre One Night Stands eine so nachhaltige
Wirkung zeigen, hätte sie sich nie träumen lassen.
Sie quält sich mit schweren Selbstzweifeln herum, während
gleichzeitig bekannt wird, dass sie jedes Mal um die Tatzeiten
herum von Blackouts heimgesucht wurde.
Dazu ist sie auch noch familiär vorbelastet.
Der Polizeipräsident John Mills (Samuel L. JACKSON),
der als Übervater agiert, bystander mit pädagogischem Habitus
ist, will sie nicht von dem Fall abziehen; denn einen besseren
Lockvogel als sie gibt es nicht.

Der Job führt zum Ergebnis.
Der klischeebeladene Film erinnert an „Taking - Lives“ (Regie:
D. J. CARUSO, 2003/4) mit Kiefer SHUTERLAND.
Aus zahllosen Thrillern weiß man, dass sich gegen eine Figur, die
im Zusammenhang mit einem Mord steht, eingeführt wird, oder
sich in diesem Dunstkreis bewegt, viele Verdachtsmomente
ergeben, die allesamt mit zur Psychoanalyse beitragen.
Die Ereignisse sind so angelegt, dass man diesen Filmen keine
neuen Ideen abverlangen kann. Hier hinterlassen die
Subplots, die kaum ernsthaft aufgelöst werden, nur Frustrationen,
die sich mit der puritanischen Sichtweise und den kaum überzeugenden
Ideen im Film dermaßen reiben, dass die Aufspaltung der handelnden
Figuren aus der rationalen Kontrolle herausfallen.

Wieder unheimliche Vögel, altmodische Musik, wieder Nebel,
streifende Kamerabewegungen über die San Francisco Bay, die
an „Mystic River“ (Regie: Clint EASTWOOD, 2003) erinnert.
Impressionen, weibliche Bestimmtheit, biographische Äußerungen.
Zudem wird man den Eindruck nicht los, dass sich hier ein
weibliches Rückenbild mit eindeutiger femininer Kombination von
Unterdrückung und Emanzipation niederschlägt, wenn sich
Jessica Shepard in die Frauenrolle hineindrängen
lässt, mit der schon Cate BLANCHETT als bewusste Tagträumerin
durch den Film stolperte (vgl. „The Missing“, Regie: Ron Howard,
2003).

15 Jahre nach „Blue Steel“ (Regie: Kathryn BIGELOW, 1989) soll
es wieder eine Geschichte von einer Frau in einer Männerdomäne
geben.
Eine Bestätigung dafür gibt es nicht.
Der unliebsame Streit geht hier weiter; denn wenn das
„Schweigen der Lämmer“ (Regie: Jonathand DEMME, 1991) mit
Jodie FOSTER als Entstehungsgeschichte der weiblichen Fahnderin
im postmodernen Kino neu gedeutet werden sollte, dann ist
„Twisted“ nichts anderes, als eine krude Zufallskombination aus
„24 Stunden“, der ‚Echtzeit’- Fernsehserie mit Kiefer SHUTERLAND,
in der ein Amerika gezeigt wird, an das niemand mehr
glaubt und das dennoch zu jeder Zeit neue Konflikte produzieren
kann, für die auf allen Seiten unzählige Menschen bereit sind zu
sterben, und „Das geheime Fenster“ (Regie: David KOEPP, 2004).
Es fragt sich, warum Philip KAUFMAN, der mit „Der unerträglichen
Leichtigkeit des Seins“ (1988), der Verfilmung des Romans von
Milan KUNDERA, eine „sehenswerte Literaturverfilmung“
(vgl. auch: Andreas KILB: „Was von den Bildern blieb“,
Potsdam 1997) ablieferte, sich nun einer vermeintlichen
‘Femmes Fatales’ verschreibt ?
Das bewusste Festhalten an gesundem Ehrgeiz,
martialischer Sicht, Innenleben und Inspiration, sexueller
Läuterung, hysterische Figuren, Konfliktbereinigung- und wie
sich Hollywood mit ‚sündigem’ Verhalten arrangiert, das
ist doch mehr als reichhaltiger Traditionszusammenhang.
Es ist ein illusionistischer Perspektivismus, der sich mit
dem Motivmangel reibt: hier ist es konkret der Form-Inhalt-
Widerspruch, der als Botschaft um die Handlung kreist:
eine unabhängig lebende Frau soll sich in Demut ergießen,
wenig trinken, klaren Verstandes sein und sich einen
(festen) Partner suchen.

Diese Irritationen entlassen den Zuschauer ins Leere.
Es gibt keinen emotionalen Schock, keine Phantasiearchitektur,
keine aufregenden Bilder. Es bleibt beim formalen Appell
des Films.
Irgendwo ist diese geistige Energie Heinrich HEINE zugeneigt,
der einmal meinte:
„Sie saßen und tranken am Teetisch
Und sprachen von Liebe viel.
Die Herren waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl!“
Hollywood weiß eben auch, dass ihre weiblichen Cops nicht
allzu männlich auftreten sollten.
Shepard kann und muss dem Film hinzugefügt werden.
In diesem Sinne mag HEINE mit Direktheit provozieren.
Frau Spehards Alpträume, die Fotos, die sie sich ansieht,
ihre Lügen, die Therapeutenschelte, ihre Hysterie und
hausbackenes Auftreten- das sind die Visionen aus
Schmerz und Erfüllung.
Es bedeutet zugleich, es dem verstümmelten Kulturbetrieb
heimzuzahlen: hier in der Form des Durchsetzungsvermögens.
Der verzweifelte Kampf gegen die Kulturregeln kann als
Dekade des Aufstands gegen Aggressionen gedeutet werden;
denn die Behebung des Aggressionsproblems hat im Film
viele mit Gewalt und pervertierender Erotik zu tun, die
umschlägt und auf die Entwicklung eines sich emanzipierenden
Weibes zusteuert.

Die Filmbilder sind kaum ausgelotet, es gibt kaum schöne Bilder,
sie sind nicht von Künstlern gemacht.
Die filmische Avantgarde ist hier außen vor.
Es gibt keinen Aufbruch, aber auch keinen konsequenten
Einbruch der Kamera.
Die Figuren verschwinden bevor sie richtig erscheinen.
Ist es Überfürsorge?
Auf der Suche - wonach? bleibt man mit Produzenten,
Regie, Drehbuch und Darstellern allein.
Man geht aus dem Kino und erwartet die nächste
Produktgeschichte, Schlüsselfilme, exemplarisch ausgewählt,
künstlerisch wertvoll, chronologisch vorgestellt,
herausragende Einzelwerke mit zeitgenössischer Bedeutung.

Fazit: Ich suche mir meine Männer selbst aus.
Das währe ehrlich.
Stattdessen: altbackene Botschaften mit Moralaposteln.
Am Ende weiß auch niemand, was er mit dem ‚serial killer’
anfangen soll, der auf einmal einfach da ist, um dem
Publikum als übertragener „Frosch mit der Maske“ seinen
Gummianzug überzuziehen.

Dietmar Kesten 22.5.04 11:45