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Zatoichi - Der blinde Samurai

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Kill Bill auf Japanisch Dietmar Kesten 27.6.04 15:22
Kill Bill auf Japanisch mikel 6.7.04 13:20
Kill Bill auf Japanisch Dietmar Kesten 7.7.04 16:30
Kill Bill auf Japanisch Dietmar Kesten 7.7.04 16:00

ZATOICHI - DER BLINDE SAMURAI

KILL BILL AUF JAPANISCH

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 27. JUNI 2004.

„Kill Bill“ von Quentin TARANTINO ( Volume 1, 2003,
Volume II, 2004) war eine blutige Schlacht von Gewalt und
Vernichtung, ein Massaker des Fleisches, ein Krieg der
blutrünstiger Bilder, in denen niemand verschont wurde.
„Kill Bill“ setzte auf das asiatische Martial-Arts-Genre und
schickte ‚Die Braut’ (Uma THURMAN) als Schlächterin durch
die Geschichte.
Nun kommt mit „Zatoichi- der Blinde Samurai“ (Regie:
Takeshi KITANO, 2004) fast ein Abbild des Rächerfilms in
die Kinos, das der Gewaltbereitschaft im Film ein Denkmal
setzt. Und fast bekommt man den Eindruck, dass jetzt in
Europa die Werke des japanischen Regisseurs ebenso gefeiert
werden, wie die Filme von TARANTINO.
Katja NICODEMUS schrieb jüngst in „Die Zeit“:
„Zwischen den einzelnen Gegnern fällt der blinde Zatoichi
immer wieder in meditative Unbeweglichkeit zurück, ganz so,
als ob ein gottgleicher Spieler mal kurz den Finger vom
Ballerknopf gehoben hat. In solchen Momenten liegt die
Meisterschaft von Zatoichi: Kitano verbindet die klassische
Kampfkunst des asiatischen Martial-Arts-Genres mit Elementen
der modernen Clip- und Spielästhetik. So gelingt es ihm, das Kino
in einen anderen Wirklichkeitsmodus zu schalten, zwischen
ernstem Gemetzel und Lara Croft, jungenhaften
Allmachtsfantasien und der Abrechnung mit einer Welt, in der
jeder jeden und Zatoichi alle zusammen bekämpft.“
(Die Zeit Nr. 27/2004).
Peter ZANDER von der „Berliner Morgenpost“ meinte
„Vergesst "Last Samurai"! Hier sieht man, wie man's richtig
macht. Dazu sind auch keine Computertricks nötig. Die verwendet
Kitano nur für die Blutspritzer. Dann allerdings exzessiv.
Fontänenweise prasselt sich das Blut zu regelrechten
Kalligraphien auf die Leinwand.
Trotz aller Gewalt aber wird die Schlachtplatte immer mit einem
Schmunzeln erzählt.“ (Berliner Morgenpost, 26. Juni)
Bernd HAASIS von den „Stuttgarter Nachrichten“ erklärte:
„Von anmutiger Schönheit und blutiger Brutalität sind Kitanos
Kampfszenen. Er ist in beide Richtungen kompromisslos, wie er es
in all seinen bisherigen Filmen war.... Kitanos Film, auch eine
Verbeugung vor den Samurai-Klassikern des Altmeisters
Akira Kurosawa, ist eine zeitgemäße Reflexion der Wurzeln
der japanischen Kultur.“ ( Stuttgarter Nachrichten vom 24. Juni)

Worum geht es in „Zatoichi- Der Blinde Samurai“ eigentlich?
Der blinde Masseur (Takeshi KITANO) wandert als Schwertkämpfer
Zatoichi durch die Lande. Der scheinbar harmlose alte Mann, der
auch dem Würfelspiel zugeneigt ist, ist in Wirklichkeit ein Meister der
Schwerkunst und muss sich gegen seine Häscher verteidigen.
Ob räudige Wegelagerer oder korrupter Elitesoldaten- vor Zatoichis
Klinge, die er in einem knallroten Blindenstock verbirgt, ist niemand
sicher, muss letztlich klein beigeben.
Eigentlich ist das schon alles.
Manche Film sind kurz, manche lang, bei manchen lohnt sich die
Besprechung gar nicht, und bei vielen ist es so, dass alleine
schon der Name angeblich für die Qualität des Films sorgt.
Die einen nennen es den neuen „Wirklichkeitsmodus“ im
Film, die anderen meinen, dass diese „Schlachtplatte immer mit
einem Schmunzeln“ erzählt wird, und andere wiederum sehen
in der „blutigen Brutalität“ die „anmutige Schönheit“ auf dem
Vormarsch.

Krass betrachtet ist „Zatochi-Der blinde Samurai“ nichts anderes
als ein brutaler Action-Film, der sich in nichts von „Kill Bill“ oder
„The Last Samurai“ (Regie: Edward ZWICK, 2004) unterscheidet.
Immer wieder geht es bei der Interpretation diesen Streifen auch
darum, die Hintergründe zu beleuchten, aus denen sie entstanden
sind. Hier erklärt man schnell, allzuschnell Regisseure zu
Kultregisseuren und erhebt deren Filme in den sog. Kultstatus.
Schnell hat man die Namen zur Hand: GODARD, HITCHCOCK,
PASOLINI, WELLES, FELLINI, KUBRICK, LYNCH, WENDERS;
RODRIGUEZ, TARANTINO, MALLE, KUROSOWA und viele
andere.
Natürlich darf dann auch KITANO nicht fehlen.
KITANO scheint in Japan so etwas wie die Inkarnation des
Fernsehens und Kinos zu sein. Die 26 Serienfilme
(von 1962-1989) um einen Samurai, Zatoichi, der Held, etwa
zu vergleichen mit „Winnetou“, „Bonanza“ oder „Colombo“, war
dort Rächer der Enterbten, der Robin Hood japanischer
Provinzen. In seinem ersten Historienfilm spielt der Chef
den Hauptdarsteller selbst. Gleichzeitig ist der 57jährige
Takeshi KITANO aus dem japanischen Fernsehen nicht mehr
wegzudenken. Er ist Regisseur und Bühnenakteur in einem,
Showmoderator und will nur so zum Ausgleich Kinofilme machen,
Gangster oder Polizisten mit pessimistischem Grundtenor spielen,
die er in ein historisches und ironisierendes Gewand hüllt.
„Kill Bill“ wurde nachgesagt, dass es TARANTINO letztlich
um den Familiensinn in einer brutalen Gesellschaft ging.
„Zatoichi“ wird nachgesagt, dass in seinen überaus aggressiven
Gewaltausbrüchen ein „Gesamtkunstwerk“ steckt, das
aus allerlei Anleihen aus dem japanischen 13. 17. und
19. Jahrhunderts besteht. In diesen Film soll sich seine
sprichwörtliche Ruhe und buddhistische Einkehr zeigen.
Und hier soll sich der Samurai haargenau einfügen.

Es kann nicht bezweifelt werden, dass sich KITANO hier
bedient. Bedient hatten sich auch „The Last Samurai“
„Der Herr der Ringe“ (Regie: Peter JACKSON, 2001-2003)
vor allem „Kill Bill“. Und selbst Filme wie „Freddys Nightmare“
(ab 1989ff.) kamen nicht ohne Säbel, Messer, Dolche und
dem sprichwörtlichen Säbelgerassel aus.
Das Schwert scheint in diesem Kinosommer die Waffe
schlechthin zu sein. Denn in „King Arthur“ (Regie:
Antoine FUQUA, 2004) wird uns wieder der lange Dolch
begleiten. Und schon werden die Waffen gezogen.
Kitano, der blinde Samurai zieht blitzschnell
sein im Stock verstecktes Schwert: Gedärme spritzen,
abgehackte Extremitäten, überall Blut, Blut spritzt aus allen
Körperteilen, die Schlachtplatte des Grauens durchzieht den
gesamten Film. Selbst in den Momente, wo scheinbare Ruhe
einkehrt, werden die nächsten Schlachten vorbereitet.
Die japanische Version des Killermediums ist hier unterlegt
mit Kampfchoreographien, was nicht bedeutet, dass er deshalb
weniger exzessiv gewaltbereit ist.

Man fragt sich, wer hier wen ausgeplündert hat: KITANO sich
selbst, Hollywood die japanische Kultur, Samuraifilme,
fernöstliche Filme insgesamt, oder das aufstrebende japanische
Kino Hollywood mit all dem, was dazu gehört.
Denn es gibt ja nicht viel außer Kampfszenen und brutaler
Action zu sehen.
Es mag sein, dass seine Filme mit sprichwörtlicher Ironie
unterlegt sind, dass er bei all seinen Kämpfen Weitsicht und
künstlerischer Freiheit walten lässt, dass die Zen-Weisheit
„Selbst mit offenen Augen kann ich nichts sehen“, jenen
Kulturschub einleitet, der vielleicht das japanische Kino als
Kino des Schauens bestätigt und interpretiert, dass im
tänzerischen Pop-Plot die westliche Kultur im Film
desavouiert wird, und dass im Freudenfest mit viel
Getrommel, Tanz und Gesang, mit Bühnenshows die den
Festakt beim Bau eines Hauses untermalen helfen,
die ironische Umkehrung von Gewaltritualen manifestiert.

Selbst dann, wenn man das konzedieren sollte, bleiben die
brutalen Gewaltakte übrig, die selbst dann, wenn sie zwischen
Tradition und Gegenwart des alten und des neuen Japans
gelesen werden sollten, nichts an der globale Gleichschaltung
der Gewalt im Film ändert.
Überhaupt scheint der Ehrenkodex der Samurai, der heute
nicht einmal mehr ein leeres Haus zu füllen vermag, eine
ziemlich fragwürdige Angelegenheit zu sein scheint.
Wenn er dann noch im Film wieder und wieder aufbereitet
wird: erst Dialog, dann der Kampf, dann ist das so, als ob
diese Geschichte wie ein Sprengsatz wirkt, der sie in
Stücke reißt.

Immer wieder wird im übrigen behauptet, dass KITANO
hier eine große Verbeugung vor KUROSOWA, der
„Träume“ (1990) gemacht hat, macht.
Nicht Spiele und Verwandlung (wie in „Zatochie“) waren
seine zentralen Themen, sondern Schlachten, Kriege und
Verbrechen. Seine Geschichten waren episch und
monumental, was man in der Konsequenz bei KITANO
nicht findet.
Seine Helden hatten etwas Erhabenes, vielleicht
„das Erhabene“, wie es Immanuel KANT definiert
hatte.
Das „Erhabene“ war die Darstellung des Schreckens, der
Schock, die reine Gewalt. Das „Erhabene“ bei KUROSOWA
war das Ringen um die Wahrheit, wie er es in
„Rashomon“ (1950) darzustellen vermochte.
Erhabenheit war bei ihm die Bedingungen für das Tragische
filmisch darzustellen, ein Mysterienspiel. Erlösung gab es
bei ihm nur im Wahn oder im Tod.

Die Pervertierung der Ideale, der Zerfall der Moral und die
Verdrehung der Werte ins absolute Gegenteil, das war
KOROSOWA.
Bei KITANO bekommt man eher den Eindruck, dass diese
ernsten Fragestellungen durch die Schübe von Ironie, Gestik
Geruch, Mimikri, Gebärden und Outfit verpuffen.
„Träume“ sind bei KOROSOWA auch die Versöhnung des
Erhabenen mit dem Kindlichen, der Tragödie mit dem
Mysterium.
Akira KUROSOWA ging stets ein Spiel mit dem Tod ein. Und
er gewann. Es gibt bei ihm kein Schicksal und keine
Geschichte.
Selbst seine Verwandlungen sind nur scheinbar.
„Zatoichi“ verwandelt sich zwar auch: aber seine Verwandlung
ist nur der Hang zum Buddha-Bildnis- stoisch, erhaben und
gelassen.
Bei KOROSOWA ist das eine alterslose Chiffre. Und die Träume
im Traum bleiben unberührt.

KOROSOWA erzählte in schlichten Bildern und in schlichten
Worten.
Er erzählte von dem Andenken, dass er sich selbst erträumte.
In Jubel und Wehmut vermischen sich seine apokalyptischen
Bilder. Die mit dem Leben davon gekommen sind, sind die
Momente des Erwachens. „Mono-no-aware“- Trauer um den
Fluss der Dinge. Requiem , so könnten seine Geschichten
heißen.
KITANO, bei aller Toleranz für gegenteilige Auffassungen,
ruft am Ende der Schlacht, die die einzigen ruhenden
Bilder hervorbringen, nach dem Kitsch.
„Moderne Clip- und Spielästhetik“, wie Katja NICODEMUS
meinte, ist das Abbild des Videothekars TARANTINO.
Hier gleichen sich beide dann ziemlich genau.
Sie leben in einer Welt für sich und sind von der Wirklichkeit
sehr weit entfernt.
Die Helden von TARANTINO und KITANO verschwinden aus
der Geschichte, sie tauchen unter und machen sich davon.
Das Leben findet sie nicht. Es wäre das Wahre gewesen,
das sie niemals mehr bekommen.

Fazit: Die Bilder von KITANO sind Affektbilder aus
technischen Tricks und Kopierwundern. Das ist das Kino
von TARANTINO auch.
Sie sind per Definition auf Wiederholung angelegt.
Denn der Clip ist nicht nur Bild und Ton, sondern auch
Werbung.
Denn die Tatsache, dass es Video und Spiele gibt, lässt
den Film als Bibliothek erscheinen, aus der sich jeder
bedienen kann.
Im Film kann man blättern, man kann in Büchern lesen.
Man kann alles mehrmals sehen, wiederfinden und
neu entdecken. Japans Filmemacher unterscheiden
sich somit kaum von den synthetisierten
Hollywoodbildern.
Der Zerstörungswahn im Film, die Gewalt, selbst wenn
sie verbrämt erscheinen sollte, bleibt Gewalt.
Unterhaltung kann etwas Tödliches sein. Mit
„Kill Bill“ wurde das zur Alltagsgegenwart. Das spezielle
Montage-Vergnügen von KITANO scheint zu sein,
das Medium von TARANTINO umzuformen, um als
neues Medium in verwandelter Gestalt aufzutreten.
Die Beschickung des Kinos mit Gewalt setzt auf
Monopolansprüche. Je unverhohlener sie betrieben
werden, um so erfolgreicher sind sie auch.
Wir sind entlassen in die endlose Schleife der
Kinotyrannei und der Gewaltfolklore.

Dietmar Kesten 27.6.04 15:22