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Der Exorzismus von Emily Rose

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Das dunkle Geheimnis von Emily Rose Dieter Potzel 22.11.05 23:10
Kommentar vom Fachmann D. 30.11.05 11:31

Ist ein katholischer Priester durch Fahrlässigkeit schuldig am Tod einer jungen Frau geworden, an der er zuvor vergeblich den Exorzismus durchführte? Diese Frage müssen die Richterin, die Geschworenen und letztlich das Kinopublikum für sich beantworten, das den Film „Der Exorzismus von Emily Rose“ (Original: „The Exorcism of Emily Rose“) gesehen hat. Die wahre Geschichte, die den Film inspirierte, endete in Deutschland 1976 mit dem Tod der Studentin Anneliese Michel und 1978 mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung für den Priester. Der Bischof, der den Exorzismus genehmigt hatte und die katholische Kirche als Institution kamen sowohl in Deutschland als auch in der Filmhandlung, die in den USA spielt, ungeschoren davon. So viel kann man schon vorab verraten. Die Sympathien der Filmemacher gehören dem angeklagten Pater Richard Moore (Tom Wilkinson), der immer etwas mehr zu wissen scheint als andere, und seiner engagierten Anwältin, der Agnostikerin Erin Brunner (Laura Linney). Und auch die Menschen im Umfeld des Opfers Emily Rose (Jennifer Carpenter) und der „Verteidigung“ sind als Sympathieträger gezeichnet. Die „Anklage“ der Staatsanwaltschaft wird demgegenüber von dem streitbaren Methodisten Ethan Thomas (Campbell Scott) repräsentiert, dessen Korrektheit gelegentlich durch kleinere Gehässigkeiten gewürzt wird. Regisseur und Drehbuchautor Scott Derrickson lässt dabei vordergründig in der Schwebe, ob Emily Rose wirklich von Dämonen besessen war, wovon die Verteidigung ausgeht oder an einer psychotischen Epilepsie litt, was das schulmedizinische Lager der Anklage darlegt. Hintergründig ist die Sache aber klar – die Dämonen, die sich in einer Filmszene auch mit Namen offenbaren (Belial, Nero und Luzifer selbst sind darunter) entspringen nicht dem Gehirn der jungen Frau, sondern kommen aus einer anderen Realität, in die man als Zuschauer ein Stück weit mit hinein genommen wird. Daraus bezieht der Film seine Spannung und auch Teile seiner Botschaft.

Doch nicht nur auf der Leinwand tobt ein Kampf zwischen Gut und Böse, sondern der Zuschauer steigt fast automatisch selbst ein in das „Spiel“, wie es der Pater einmal während der Verhandlung formulierte. Man wird dabei unter anderem zu der klassischen Glaubensfrage „Warum lässt Gott das zu?“ geführt und erhält auch eine gespenstische Antwort, die den dunklen Gängen unterirdischer vatikanischer Bibliotheken entsprungen sein könnte. Das Geheimnis der Emily Rose wird am Ende des Films scheinbar gelüftet und der Zuschauer darf mit einer schaurigen „Erklärung“ nach Hause gehen … In diesem Zusammenhang entschied die gut inszenierte Gerichtsverhandlung die Frage nach „Dämonen oder epileptischer Psychose“ zumindest nach Gefühlspunkten zugunsten der Existenz der jenseitigen Mächte. Doch als wieder ernüchterter Analytiker kann man davon ausgehen, dass man nur um eine erste Ecke hat blicken dürfen bzw. nur die erste Kammer des Schreckens geöffnet sah. Dort sehen die Glaubenden, „was sie glauben wollen“, wie es der Staatsanwalt im Film einmal treffend formulierte. Und immerhin kann er einigermaßen überzeugend darlegen, dass die Blutungen aus den Handflächen von Emily Rose nicht die Wundmale Christi sind, sondern Verletzungen, die sie sich zuzog, als sie in den Stacheldraht einer Weide neben dem elterlichen Wohnhaus griff. Und auch vieles andere könnte ganz anders sein, wenn man noch um eine Ecke mehr blickt bzw. die Tür zur nächsten Kammer des „Übersinnlichen“ öffnet - entweder nüchtern erklärbar oder auf eine andere Weise „paranormal“ als es der Katholik gerne glauben möchte.

So gesehen trifft der Film den Nerv eines Publikums, das nicht glauben will, dass ein irgendwann mit dem Tod endendes undramatisches Alltagsleben alles sein soll. Da gibt es zumindest noch die Sehnsucht, dass das eigene Leben einen übergreifenden größeren Sinn haben mag und gleichzeitig die Erfahrung, dass es manchmal nur am seidenen Faden hängt oder eben nicht so leicht in den Griff zu kriegen ist (vor allem, wenn einem nicht nur diesseitige Zeitgenossen das Leben schwer machen). Entsprechend bescheiden gibt sich die Anwältin in ihrem Schluss-Plädoyer, wenn sie nicht von „Fakten“ spricht, sondern von „Möglichkeiten“. Ein gutes Beispiel, um noch einige weitere Fragen zu stellen, wozu der Film einen geradezu herausfordert.

Ist es demnach möglich, dass es zwar „Besessene“ gibt, aber dass der Exorzismus der römisch-katholischen Kirche dafür keine geeignete Antwort ist? Gibt es neben den Untersuchungen zum Tod der Deutschen Anneliese Michel noch weitere Berichte, die darlegen, wie weit ein Exorzismus sogar ein Leiden verschlimmert hat? Kann es sein, dass die „Dämonen“ in der jungen Frau sich gegen eine grausame Kirche wehren, von der sie einst in eine angeblich ewige Hölle geschickt wurden und wohin sie im Exorzismus „katholisch korrekt“ erneut verbannt werden sollen? „Man verbrannte früher Frauen“, heißt es an einer Stelle im Film, und war es nicht die Kirche, auf deren Geheiß dies jahrhundertlang geschah? Und wenn die katholische Kirche derzeit durch Papst Benedikt XVI. den Exorzismus wiederbelebt - soll er langfristig wieder eine humane Psychotherapie ersetzen, die herauszufinden versucht, warum jemand zum „Besessenen“ wird. Nur weil er „hypersensitiv“ ist? Oder ist gerade ein ernst genommener katholischer Glaube mit irrationalen Dogmen und ewiger Verdammnisdrohung ein großer Risikofaktor für eine Besessenheit, weil besonders empfindsame und intelligente Katholiken damit nicht mehr klar kommen? Und was soll das für Gott sein, der in der Filmhandlung angeblich in dunklem und dusterem Milieu den Teufel handeln lässt, um den Menschen auf diese Weise seine Existenz nahe zu bringen?
Der Exorzismus trieb in der Kirchengeschichte (im Mittelalter und in der Neuzeit) vor allem dann seine schrecklichen Blüten, wenn man nicht annähernd bereit war, Abweichungen vom offiziellen lehramtlichen Glauben zu dulden. Der Andersdenkende sei eben mit dem „Bösen“ im Bunde und damit ein Fall für die Exorzisten, was für die Kirche ein viel bequemeres Deutungsmuster war und bis heute ist als sich mit seinen kritischen Fragen auseinanderzusetzen. Deshalb braucht sich niemand zu wundern, wenn es unter Benedikt XVI., dem spirituellen und juristischen Nachfolger der alten Großinquisitoren, wieder verstärkt damit los geht.

Angesichts der neuen Exorzismus-Kurse für Priester im Vatikan ist der Film „Der Exorzismus der Emily Rose“ im wahrsten Sinne des Wortes brandaktuell. Schon etwas länger nährt sich dabei ein Verdacht, den der bekannte russische Dramatiker Fjodor M. Dostojewski (1821-1881) in der Erzählung Die Brüder Karamasov dem damaligen Großinquisitor der katholischen Kirche in den Mund legte. Gegenüber dem auf die Erde zurückgekehrten Jesus erklärt der Kirchenmann: „Wir sind schon seit langer Zeit nicht mehr mit dir im Bunde, sondern mit ihm.“

Wer weiß, ob Hollywood nicht vielleicht in ein paar Jahren eine Fortsetzung schreibt. Vom tapferen und weisen Pater Richard Moore, der im Greisenalter die Kirche verlässt und eine neue Geschichte von Emily Rose erzählt …

Autor des Textes: Dieter Potzel (46), Theologe, ehemaliger evangelisch-lutherischer Pfarrer, Autor der Untersuchung „Todesfalle Kirche – Warum musste Anneliese Michel sterben?“ in www.theologe.de/theologe9.htm

Dieter Potzel (Homepage) 22.11.05 23:10