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Don't Come Knocking

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VIRTUOS Dietmar Kesten 19.1.06 17:19

DON’T COME KNOCKING

VIRTUOS

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 25. AUGUST 2005.

Howard Spencer (Sam SHEPARD), Westerndarsteller, stellt eines Tages fest, dass er zu alt für den Job ist. Er lebt nur noch von seinem früheren Ruhm mit Weibern und Alkohol. Der Held reitet eines Tages ohne ein Wort zu sagen weg vom Setting und lässt die Mythen ruhen. Ihn zieht es zu seiner Mutter, die ihm offeriert, dass er ein erwachsenes Kind hat. Spencer macht sich auf in die Bergwelt von Butte, Montana. Dort trifft er auf seine frühere Liebe Doreen (Jessica LANGE) und versucht die Scherben seiner Existenz zusammenzukitten.

Wim WENDERS hat wieder einmal einen Film vorgelegt, der durchaus als Highlight dieses Filmjahres bezeichnet werden kann.
Alles beginnt mit bekannten Westerneinstellungen. Schöne Landschaften, kahle Felsen. Doch der Blick, der so wunderschön ist, täuscht. Man sieht einen erodierten Felsbogen, der an eine Szene aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ (Regie: Sergio LEONE, 1968) erinnert. Doch der Bogen aus der Wüste Nevadas wird zur Brille. Man beginnt zu verstehen, besser, zu sehen, dass man im Leben nicht der ist, der man gerne sein will, und dass man meistens ganz anders ist. Spencer begreift das, um das vorwegzunehmen, erst viel zu spät, er begreift aber seine eigene Geschichte, er begreift, dass er nicht einfach davon reiten kann, und stellt sich der Herausforderung.

Wim WENDERS („Paris, Texas“, 1984, „“Bis ans Ende der Welt“, 1991, „Am Ende der Gewalt“, 1997, „The Million Dollar Hotel“, 1994, „The Soul of Man“, 2003, „Land of Plenty“, 2004) erzählt vom Leben, er erzählt von den Eskapaden, davon, dass das Leben wie eine Wundertüte ist und Überraschungen bereit hält, und davon, dass es eine Suche ist, eine Suche nach Wahrhaftigkeit, nach den Dingen, die noch wichtig sind, und dass man nie aufhören sollte zu suchen. WENDERS erzählt auch viel vom Leben Spencers, in dem sich eigentlich nichts ereignet hat.

Mit diesen Fragen lässt WENDERS ihn losziehen, in die Weite von Montana.
Landschaften aus Licht und Stille, Steinwüsten, rote Erde, Bewegungen wie im Rausch, einsame Plätze, verzauberte Städte begegnen uns. Visionen der Zeit, die verfließt, und der Dinge, die bleiben. Hier sucht er seinen Sohn. Die Bilder werden dichter; denn die Weite ist jetzt keine Momentaufnahme mehr, kein unbegrenzter Raum mehr, sie sind vielmehr nun zur Innenansicht geworden, es sind Bilder, mit denen WENDERS nun seine Eingangssequenzen vom Mythos befreit.

Die armselige Wahrheit des Westernhelden entpuppt sich als fälschliche Betrachtung. Man kann nicht einfach losreiten, um dann zu meinen, dass man schnurstracks in die Freiheit reitet. Amerika ist kein Land der ‚unbegrenzten Möglichkeiten’ mehr. Der Ritt des Mrs. Spencer ist ein Galopp, der in zwei verschiedene Richtungen führt: wie in „Paris, Texas“ oder „Bis ans Ende der Welt“ erfährt man, dass die Heimat in die äußere Ferne gerückt ist, rückwärts zum Anfang und vorwärts bis zum Ende der Welt.

WENDERS erzählt somit zwei Geschichten in einer. In der Heimat findet Spencer seine alte Liebe wieder, einen Sohn und später noch eine Tochter. Und rückwärts gerichtet muss er erfahren, dass er viel zu spät kam und zu seinem alten Anfang zurückkehren wird. Das dramatische Kalkül von WENDERS besteht darin, dass er sich nicht konzentrieren kann für welche Geschichte und für welchen Blick er sich entscheidet. Deshalb bringt er seinen Helden so nahe an das Geschehen heran, dass er selbst zum Erzähler der Ereignisse wird. Und hier läuft WENDERS zur Hochform auf.

Die Stadt erzittert vor der Anklage von Doreen. Sie schimpft, liest Spencer die Leviten, bricht mit dem Müll des Männlichkeitswahns, mit den geheuchelten Gefühlen, und mit den Helden, die sich aus dem Staub machen, um dann irgendwann einmal wiederzukommen. Was Doreen erzählt, hat einen leisen Ton der Melancholie. Sie berichtet von einer Frau, die Davongekommen ist, aber doch nicht so ganz.

„Don’t Come Knocking“ ist bitter und tröstlich. Mit sanften Augen blickt WENDERS über seine Figuren. Ruhige Neugierde liegt über jeder Einstellung. Im Laufe der Zeit gibt es keine Vorbilder mehr. Weder auf der Leinwand noch im wahren Leben. Alle, die, die Spencer etwas bedeutet haben, werden von ihm verlassen, oder er verlässt sie. Was muss in einem Menschen vorgehen, der das miterlebt? WENDERS bleibt sich treu, indem er Fragen stellt, aber keine Antworten gibt. Er stellt Aufgaben, aber er löst sie nicht. WENDERS leidet, aber er ist kein Mitleidsapostel. Und WENDERS übt harte Kritik, aber sie verpufft nicht.

Amerika ist ein Land der Outlaws geworden. Das macht seine Erzählung deutlich. Amerika muss mit einem anderen Rhythmus betrachtet werden, nicht mehr durch einen Ritt quer durch die Leinwand hindurch. Die Bilder, die WENDERS hier entwirft, treffen den Kern: sie besitzen eine Schönheit, die von dieser Welt sind, sie besitzen aber auch den Blick des Vergangenen und des Vergehenden.
Die beste Szene im Film ist ein Lichtwechsel. Spencer sitzt auf einem Sofa. Und die Schatten der aufgehenden Sonne an einer gegenüberliegenden Häuserwand symbolisieren die Veränderung, die nun unabänderlich ist. Das Bild ist ein Drama für sich. Weil es von unbestechlicher Wahrheit ist, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Größe. Es ist ein Bild, dass einem Illusionen nimmt und gleichzeitig desillusionierend ist. Dieses Bild ist ein Blick in die tiefe Seele Amerikas, aber auch ein Blick mitten in unser Herz hinein.

Wie in „Land of Plenty“ will WENDERS alles, vielleicht manchmal zu viel. Doch er bezahlt dafür mit seiner Wahrhaftigkeit, die er den Figuren einhaucht. Das sympathische an WENDERS ist, dass er immer wieder zum Ausgangspunkt seiner Erzählungen zurückfindet. Bei ihm erfährt man das Wunder des Sehens, selbst dann noch, wenn man blind ist. Immer wieder erinnert man sich an Schemen, die man wahrnimmt, wenn man in die Sonne schaut und dann die Augen schließt: WENDERS entwickelt ein subjektives Bild, ein Bild, mit dem sich jedermann anfreunden kann, wenn er denn lange genug seine Augen geschlossen hält.

Es ist schön, WENDERS in seiner Einsamkeit wiederzutreffen. Menschen kommen, Menschen gehen, die, um die wir uns bemühen, bleiben etwas länger, manche sogar ganz lange, und manche gehen nie. WENDERS ist in der Alten und in der Neuen Welt gefangen. Es sind letzte und feste Orte, an denen wir zu Hause sind, gerne dort hingehen möchte, wo wir Ruhe und Geborgenheit finden. Das ist ergreifend. Spencer hat die Menschen und die Orte, die er sehen wollte, wieder gesehen. Jetzt ‚reitet’ er mit seinem Agenten zurück. Ein letztes Mal ist für ihn die Welt noch in Ordnung. Dann küsst er am Set seine Filmgeliebte noch einmal und reitet fort.
„Ich trage Dich im Herzen“ sind seine letzten Worte. So lässt der Film die Figur los, die er geschaffen hat. Man verliert sich aus den Augen. Und die Sonne versinkt langsam hinter dem Horizont.

Fazit:

Ein Film mit Tiefgang und vielen Gefühlen. Absolut sehenswert.

Dietmar Kesten 19.1.06 17:19