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Das Leben der Anderen

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vermutlich überschätzt Spoiler! Valerij 28.3.06 18:03
vermutlich überschätzt Nini 8.4.06 20:30
Ein guter Mensch? Valerij 10.4.06 12:00
Ein guter Mensch? Nini 10.4.06 21:19
haha, danke Rokko 4.4.06 18:43
vermutlich überschätzt Georg 30.3.06 20:20

Am Anfang ist es ein bisschen wie in der ZDF-Krimi-Reihe „Der letzte Zeuge“, Ulrich Mühe, diesmal nicht als Gerichtsmediziner mit kriminologischem Spürsinn und dem Hang, sich einzumischen, sondern als Verhörspezialist Hauptmann Wiesler und tschekistische Allzweckwaffe. Sein Chef, Oberstleutnant Grubitz alias Ulrich Tukur, ehemaliger Kommilitone von Wiesler, ein Karrierist in der Hierarchie schneller und höher gestiegen als dieser, setzt ihn auf den Dichter Dreymann an. Und Wiesler fängt sofort Feuer, übernimmt sogar selbst den Fall, ungeachtet aller Kompetenz - wie er das auch als Gerichtsmediziner getan hätte. Die Stasi fährt ihre Technik auf. Dreymanns Wohnung wird verwanzt, Kameras installiert und schließlich, nachdem es den Spezialisten gelingt, das Sicherheitsschloss zum verlassenen Dachboden zu knacken, wird im selbigen die Überwachungszentrale eingerichtet. Hatte ich erwähnt, dass wir uns im Jahr 1984 (Reminiszenz an Orwell?) in der DDR befinden?

Fortan sitzt Wiesler hinter der hochkomplexen Apparatur, starrt auf blaue Leuchtziffernanzeigen, Kopfhörer Marke Edison tragend. Er überwacht das Leben der Anderen, die manchmal sogar "vermutlich Geschlechtsverkehr" haben wie in der Akte vermerkt wird. Wahrscheinlich schien gerade dieser Punkt des Eindringens in Anderer Leben dem Regisseur und Autor Florian Henckel von Donnersmarck besonders markant und pikant zu sein, weshalb man sie im Film auch gleich zweimal zu sehen bekommt.

Der vermutliche Geschlechtsverkehr macht Appetit, also lässt Wiesler sich am Abend nach Wachablösung eine hauptamtliche Stasinutte in sein braungraues Heim der Marke Möbelkombinat Spanplatte kommen. Wie nicht anders zu erwarten kommt der Akt schnell zum Absch(l)uss. Bei Künstlers ist es einfach schöner denkt sich Wiesler vielleicht und sucht das Geheimnis in Brechts "Erinnerung an die Maria A.", ein Gedicht über die Flüchtigkeit des Augenblicks der Liebe.

Dreymann hat unterdessen vermutlich schon wieder Geschlechtsverkehr mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Christa Maria Sieland. Oder aber die Sieland hat vermutlichen Geschlechtsverkehr mit Minister Hempf, vermutlich aber nicht gerne, denn Hempf ist dick und dampfend. Warum sie dennoch manchmal mit ihm geschlechtlich verkehrt ist unklar. Vermutlich tut sie es, weil er ihr droht, andernfalls ihre Karriere zu zerstören. Vermutlich glaubt sie nur, er würde dann ihre Karriere zerstören. Außerdem ist sie noch tablettensüchtig. Vermutlich weil alles so schlimm ist.

Da ist der Regisseur Jerska (Volmar Kleinert), ein Lichtblick in diesem Film, ein Freund Dreymanns, der allerdings mit Berufsverbot belegt ist, seit Jahren nicht mehr inszenieren durfte. Dreymanns Besuch bei Jerska, der in einem Zimmer zur Untermiete haust, umgeben von Bildern und Erinnerungen ist ein Höhepunkt. Diesem Regisseur möchte man länger zuhören und öfter begegnen. Leider bringt er sich kurz darauf um. Für den Zuschauer wie für Dreymann ein schlimmer Verlust. Darüber hinaus erfährt Dreymann von Sielands Verhältnis mit Hempf. Es kommt zu einer blutarmen Auseinandersetzung und anschließend vermutlich zu ... dem was dann so in der Akte steht.

Dreymann entschließt sich zu handeln, was in seinem Fall bedeutet einen Artikel für den Spiegel zu verfassen. Es geht aus gegebenem Anlass um die verdeckte Selbstmordstatistik in der DDR. Die wirklich schöne Einleitung zu diesem Artikel fand der Regisseur und Drehbuchautor gleich so schön, dass Dreymann sie zweimal vorliest.

Aber wie naiv sind diese Künstler! So glaubt Dreymann tatsächlich, er werde bestimmt nicht überwacht. Zum Glück, denn so bekommt Wiesler die Chance zu zeigen, dass Gutes in ihm schlummert in dem er den artikelschreibenden Künstler deckt. Das heißt, er zeigt das Gute nicht sofort. Provoziert von der Arroganz der Künstler, die sich über die dumme Stasi lustig machen läuft er mit den Neuigkeiten über Dreymann sofort zu Karrierist Grubitz. Dieser, eben Professor geworden, zitiert noch im richtigen Moment aus einer ihm vorliegenden Dissertation über die Behandlung von renitenten Künstlern. Als er hört, was mit Dreymann passieren würde, tut dieser ihm leid. Also behält Wiesler die Nachrichten für sich und beginnt ab sofort, Dreymann aktiv zu schützen. Die Szene ist anrührend und gehört zu den besseren im Film. Leider kann man die Frage, warum gerade Dreymann Wieslers Mitgefühl weckt nur damit beantworten, dass sonst der Film vermutlich hier zu Ende wäre. Außerdem hätte man dann nicht das schöne, extra von der Spiegel-Redaktion beigesteuerte fiktive Titelbild zur Ausgabe mit Dreymanns Artikel zu sehen bekommen.

Dreymanns Artikel erscheint anonym. Die Situation eskaliert. Grubitz wird vermutlich von Mielke am Telefon zusammengepfiffen und schaltet sich bei der Suche nach dem Verfasser des Artikels nun selbst ein. Gesucht wird die Schreibmaschine, auf welcher der Artikel getippt wurde. Den Schriftexperten der Stasi gibt ein bekannter Komiker und für einen Moment glaubt man, der Filmvorführer hat zum „Comedy Quatsch Klub“ umgeschalten.

Es kommt zu Wohnungsdurchsuchungen nach GeStaPo-Art im Hause Dreymann. Die Sieland, von Hempf verstoßen, wird von der Stasi aufgegriffen und unter Druck gesetzt. Man droht ihr damit, dass sie nie wieder auf einer Bühne stehen wird. Sie bietet umgehend Geschlechtsverkehr und Informationen an. Zum Glück gibt es Wiesler, der das Schlimmste, das Auffinden der Schreibmaschine bei Dreymann zu verhindern weiß. Leider ahnt die Sieland nichts davon und wirft sich stattdessen vor einen LKW - ein weiterer, statistisch nicht erfasster Selbstmord. Ein wirklich tragischer Moment, vor allem Dreymanns dreimal wiederholtes: "Ich verzeihe dir" während sie in seinen Armen stirbt. Überhaupt holen die Schauspieler mit ihrem Können in diesem Film oft das Maximale aus dem Text.

Jetzt könnte der Film zu Ende sein: Dem letzten Künstler sind die Augen geöffnet, der korrumpierbaren Schauspielerin sind sie geschlossen, Grubitz wird vermutlich wie von Mielke am Telefon angekündigt an die Wand gestellt und in Wiesler ist das Gute geweckt. Leider ist der Film nicht zu Ende und schwingt sich dazu auf wie jeder Film, der künstlerisch auf sich hält, die Schallmauer der Überlänge zu brechen. Grubitz versetzt Wiesler zum Briefe aufdampfen in die Katakomben der Normannenstraße. Schade für ihn, wo der doch so gerne Gerichtsmediziner, wollte sagen Verhörspezialist war. Bis zur Rente soll er dort dampfen. Aber dann, eines schönen grauen Tages vermeldet einer seiner Kollegen, der heimlich vermutlich Westradio hört: „Die Mauer ist offen“. Alle stehen auf und dampfen ab. Vorhang!

Nein, immer noch kommen ein paar Szenen. Eine weitere Viertelstunde lang holpert sich der Film zum Schluss. Dreymann ist in einer Schaffenskrise, erfährt, dass er überwacht wurde, nimmt Akteneinsicht, entdeckt Sielands Verrat, findet in seinen Akten sogar ihre Verpflichtungserklärung, alles ungeschwärzt, und holt sich nachher mal schnell den Namen jenes Stasi-Mannes, der da so offensichtlich schützend seine Hand über ihn gehalten hat. Er sucht und findet ihn. Wiesler ist inzwischen Postbote, vermutlich weil er sich mit Briefen auskennt. Dreymann will ihn ansprechen, tut es aber nicht sondern schreibt stattdessen ein Buch mit dem Titel „Sonate vom guten Menschen“ und widmet es dem edlen Stasi-Mann, was dieser dann auch entdeckt, als er das Buch käuflich erwirbt mit dem Satz: „Das Buch ist für mich“. Aber wer will das wissen? Und wozu?

Gut, man weiß natürlich nicht, was Dreymann in diesem Buch geschrieben hat, aber ist Wiesler ein guter Mensch? Ist da unser Künstler nicht mal wieder ein wenig zu naiv? Lässt er sich nicht aus einer Sentimentalität heraus blenden? Wiesler hat Dreymann gedeckt, das ist wahr aber ebenso wahr ist doch, dass er anschließend, obwohl seiner Karrieremöglichkeiten laut Grubitz beraubt, obwohl er das Schlechte im System und in seiner Arbeit erkennt die restlichen Jahre Briefe aufdampft.

Aber vielleicht ist das auch die subtile Botschaft des Films an dessen Anfang Minister Hempf Dreymann belehrt: „Sie glauben immer an das Gute im Menschen, aber die Menschen sind nicht so wie sie glauben.“ Und da hilft auch die „Sonate vom guten Menschen“ nicht, die ausgerechnet Jerska Dreymann zum Geschenk macht, bevor er sich umbringt, vermutlich um dessen gutgläubige Naivität zu verspotten. Aber all das bleibt in diesem Film leider vermutlich und unbefriedigend wie der abgelauschte Geschlechtsverkehr der Anderen.

Valerij 28.3.06 18:03